Das Feuer brennt weiter

Angekommen in Frankfurt war es nicht mein Freund Achim der mich, wie abgesprochen, sechseinhalb Stunden nach meinem Start in Halifax in Empfang nahm, sondern Katja samt Familie. Die Überraschung war ihnen gelungen. Zuhause wurde mir ein Empfang bereitet, der alle Befürchtungen und die Angst in ein leeres Haus zurückzukehren hinwegfegte. Meine Schwestern standen in der Haustüre, Achim und Karin warteten mi Sekt auf mich, Kleine Willkommensgeschenke aus der Nachbarschaft zeigten mir, dass mein Haus nicht leer ist. Noch lange saßen wir beieinander und sie alle ließen mich die Traurigkeit vergessen, die der Abschied von Freunden auf unbekannte Zeit mit sich bringt.

Sollte ich ein Fazit aus dieser Reise ziehen, so ist es ein sehr buntes. Nie ist mir die Größe eines Landes so bewusst geworden wie auf diesem Roadtripp. Immer wieder schätzte ich Entfernungen falsch ein, plante das eine Mal zu viel, das andere Mal zu wenig Zeit ein. Sowohl in Kanada, besonders aber zuhause stellte man mir immer wieder die Frage, wo es mir denn nun am besten gefallen hätte. Eine Antwort darauf kann ich nicht geben. Zu vielseitig und zu unterschiedlich war das, was ich sah und erlebte. Da war die Einsamkeit des Yukon, die Weite Manitobas und Saskatchewans, die phantastische Bergwelt der Rockies, die Schönheit British Columbias und jede dieser Regionen bringt ihre eigenen Menschen hervor. Manchmal schrullig, durch das harte Leben als Goldgräber und Trapper geprägt oder urban modern, wie in den südlichen Provinzen mit den großen Städten.

Überall aber durfte ich die grenzenlose Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit erfahren mit der das Reisen für mich zu einem Kinderspiel wurde. Vom ersten Tag an, noch bevor ich den Boden von Halifax betrat, hatte ich die ersten Menschen kennengelernt, die mir seither gute und liebe Freunde sind. Kaum angekommen wurde ich von Ihnen mit einem fulmiinanten Geburtstagsessen überrascht. Nur wenige Tage später schloss ich eine weitere Freundschaft mit Stephan und Tanja, deutschen Auswanderern. Auf meinem Weg traf ich auf Reisende denen ich immer wieder einmal zufällig begegnete um mich später ganz gezielt mit ihnen zu verabreden und ein Stück gemeinsam zu reisen. Nie sagten wir „Leb wohl“ sondern immer sagten wir „Auf Wiedersehen“ und „travel save“.

Manchmal war es nicht leicht allein zu reisen. Oft vermisste ich einen vertrauten Menschen an meiner Seite, vermisste meine geliebte Frau Brigitte, denn schließlich wir es einst, diese Reise gemeinsam anzutreten. Es gab Orte, wo mich die Erinnerung auf deprimierende Art und Weise überwältigte und andere, in denen mein Herz vor Freude Purzelbäume schlug. Allein zu reisen heißt auch, mit sich selbst ein gute Freund zu sein, mit dem man in fiktiven Zwiegesprächen die Auseinandersetzung ertägt. Allein zu reisen bringt es für mich aber auch beinahe zwangsweise mit sich, mich zu öffnen, der Einsamkeit zu entfliehen indem ich auf andere zugehe, mich für sie interessiere und Anteil nehme.

Die Frage „Hast du dies gesehen?“ oder „Hast du das gemacht“ muss ich oft mit nein beantworten. Ein halbes Jahr reicht nicht aus um alles zu sehen, alles zu tun was möglich ist. Ich habe kein Polarlicht gesehen, beziehungsweise habe ich es das einzige Mal, an dem es möglich gewesen wäre, verschlafen. Ich konnte nicht so viel und so weit wandern wie ich es gern getan hätte. Vielleicht war ich im Bärenland zu vorsichtig, zu ängstlich aber gewiss nicht zu bequem. Mein Kanu hatte nicht so viel Wasser gesehen, wie ich es ursprünglich plante und so kann ich die Aufzählung fortsetzen. Und doch habe ich unendlich viel gesehen, im Sinne des Wortes erfahren und erlebt. Das ist weit mehr als das, was ich versäumt habe.

Jede meiner Reisen bringt für mich eine Veränderung. Neue Blickwinkel erschafft neue Perspektiven. Neue Erfahrungen führen zu neuen Verknüpfungen mit den bereits gewonnenen. Mein Bild des Lebens wird bunter, größer und intensiver und immer wieder zeigt sich, dass es besonders die Menschen sind, die darüber entscheiden, ob ich mich dort, wo ich bin, wohlfühle, angeregt und neugierig. Auf dieser Reise habe ich alle Voraussetzungen gefunden, die nicht ein einziges Mal den Gedanken in mir aufkeimen ließen Nachhause zu wollen. Dieses Land, seine Natur, seine Menschen und der Himmel mit seinen Sternen, der sich über alles spannt, haben mich reich gemacht. So gesehen bin ich sogar glücklich darüber noch nicht alles gesehen zu haben. So bleibt mir die Neugier und die Sehnsucht, so bleibt mir der Satz „das nächste Mal“

14. Oktober 2022