Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

Monat: August 2022 (Seite 1 von 2)

Reise in die Erinnerung

In Fort St. John angekommen sehe ich bereits den Hinweis zu ‚Historic Site‘. Wie Schuppenfällt es mir von den Augen, als ich das Eingangsgebäude zum Fort sehe. Hier war ich mit Gitte auf unserer Reise nach Vancouver. Mit einem gemieteten Van fuhren wir durch die Rockies. Prince George war unser nördlichster Punkt. Im Fort sind dann alle Erinnerungen wieder da und ich höhre Gittes markante Schritte auf dem Boardwalk, ihre Anfeuerungsrufe als wir im Fort beim Hühnerwettrennen auf ein besonders fettes Huhn setzten, das aber wohl zu fett gefressen war, als dass es wegen der paar Körner am Ziel besondere Anstrengungen unternehmen sollte.

Tatsächlich fühlte ich mich plötzlich nicht mehr allein.

Gegenüber des Forts befand sich in einem Provincial Park ein Campground wo wir übernachteten. Ich bin neugierig und fasse den Entschluss auch heute dort die Nacht zu verbringen, falls es den Platz überhaupt noch gibt. Es gibt ihn noch, doch alle Plätze sind belegt oder reserviert. Enttäuschung macht sich breit und so fahre ich zu Eingang zurück. Doch da, tatsächlich ist ein einziger Platz frei. Platz Nummer einunddreißig. Es ist der alte Platz. Um sicher zu gehen vergleiche ich ein Foto von damals, dass ich für WhatsApp als mein Profilbild verwendet mit dem Blick vom Platz. Es stimmt. Ich mache zum Beleg ein Foto aus der gleichen Position über den See, sonst glaubt man mir diese Geschichte womöglich nicht. Es wird dunkel und es ist der gleiche Sonnenuntergang wieder versinkt die Sonne in einem glutorangenen Schleier hinter dem Horizont. Auch die belege ich mit einem Vergleichsfoto. Ich erinnere mich, wie wir am Ufer des Sees standen und fasziniert zusahen, wie sich der Tag verabschiedete und dann schwammen wir noch ein wenig in dem klaren Wasser und legten uns in unsere Halfpipe, wie wir unser Lager bezeichneten, denn die Matratze, die wir für den VAN bei Canadian Tire erstanden hatten war zu breit um ganz in den Wagen zu passen und so wölbten wir sie links und rechts nach oben. Auf diese Art und Weise erlebten wir das ‚Zwangskuscheln‘. Mit dem Gefühl, heute nicht allein gewesen zu sein schlafe ich ein. Doch verspreche ich Gitte vorher noch, dass wir morgen noch so einen Ort der Erinnerung besuchen werden. Wir fahren nach Barkerville. Auf dem Highway ist die Fahrt langweilig. Erst die letzten siebzig Kilometer sind landschaftlich wieder reizvoll. Von Westen fahre ich in das Cariboo Gebirge,

das wegen seine Goldreichtums noch heute zahlreiche Minen birgt. Wir kommen am späten Nachmittag in Barkerville an. Die Siedlung entstand während des Goldrauschen im Jahr 1897 und sie entwickelte sich schnell zu einem Mittelpunkt des Handels und des Gesellschaftlichen Aufstieges, bis sie im Jahr 1928 durch einen Blitzschlag vollständig abbrannte. Noch im gleichen Jahr begann der Wiederaufbau und noch in den siebziger Jahren waren ein paar Häuser dauerhaft bewohnt. Erst als die Siedlung in einen Historischen Park umgewandelt wurde verließ auch der letzte Bewohner Barkerville. Nirgendwo kann man das Leben zur Zeit des Goldrausche so eindrucksvoll nachvollziehen wie hier. Ich gehe in den Candyshop und kaufe zwei Tüten von den Candies, die wir auch damals kauften. Eine mit Caramell und Pfefferminzbonbons für Gitte und für mich eine Tüte Lakritz und Schokobonbons. Später habe ich auch die Pfeffermins und Schokobonbons gegessen und war danach erst einmal erledigt. Es war ein schöner Tag mit Gitte. So gar nicht traurig sondern sogar auf eine seltsame Weise sehr aufregend. Ich bin froh, die vierhundert Kilometer Umweg gefahren zu sein. Ich verabschiede mich aus Barkerville und sage Adée zu meinen Erinnerungen.

Ich werde meine Reise nun wieder allein fortsetzen.

Nathan und die alten Zeiten

Die Straße ist breit, gut geschottert und sehr fest, aber auch sehr staubig. Es ist eine Logging Road, das heißt, dass hier die Holztransporter das geschlagene Hol mit einhundert Kilometer pro Stunde in die Sägewerke oder Papierfabriken von Smithers oder Prince George bringen. Alle Kilomezter steht ein Kilometermarke und alle zehn Kilometer ein Hinweis mit dem Funkkanal, auf dem die LKWs mithören. An diesen Marken hat man sich über Funk zu melden. Was tun, ich habe keinen Funk? Ich fahre ganz rechts und schön langsam um diesen Ungetümen nicht in die Quere zu kommen. Dann überholt mich ein normaler Doge Truck und ich bedeute ihm anzuhalten. Das tut er auch direkt. „You have a radio?“ frage ich ihn direkt und als er das bestätigt, bitte ich ihn für mich anzumelden, dass ich bis Kilometer siebenundzwanzig in Richtung Süden unterwegs bin. Er macht das gerne, gibt mir noch einen Zustandsbericht der Strecke und weiter geht’s.

Nach einer dreiviertel Stunde entdecke ich das Schild, biege rechts ab fahre einen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder ins Tal und da öffnet sich der Blick auf einen See, an dessen Ufer einige Häuser stehen „Little Bear Farm“ steht an einer alten Scheune. Links steht ein wunderschönes, recht neu wirkendes Blockhaus zwei Stockwerke hoch, einen Wintergarten zu See hin und einer riesigen Terrasse. Rechts befindet sich eine große Halle. Eine Hütte und mehrere Ställe vervollständigen das Arrangement. Ich sehe ein Schild, das mich traurig stimmt: „Brewery on Mondays closed“. Etwas ratlos stehe ich auf dem Gästparkplatz und überlege. „Hi, I’m Nathan, how can I help You?“ Also erzähle ich ihm, dass ich extra gekommen bin um in seiner Brauerei ein Bier zu trinken. Ja , das tut ihm leid, aber Montags ist der einzige Tag an dem er sich um andere Dinge auf der Farm kümmern kann. Aber morgen, und solange könne ich doch bei ihm campen. Er hat ein paar schöne Plätze am See und als ich die sah, stand meine Entscheidung fest. Hier bin zuhause, hier bleibe ich. Noch während ich mich einrichte kommt Nathan zu mir und fordert mich auf mitzukommen. Ein weiterer Gast ist auf seinem Motorrad gekommen und bei dem Betrieb macht er halt doch die Brauerei für eine halbe Stunde auf. Ralph, wie der Motorradfahrer sich zu erkennen gab ist achtundsiebzig und war als Prospector und Surveyor hier in die Gegend gekommen. Und dann berichtet er aus seinen Tagen als junger Surveyor, als er noch zu Fuß die Gegend erkundetet um Zufahrtswege für die Minen zu erkunden. Mit dem Flugzeug ließen sie sich im Busch absetzen und mit einer Gruppe Geologen schlugen sie sich ihre Weg zu den Bergen und Seen, in denen sie vor allem Kupfer vermuteten. Er kartierte die Strecken mit Kompass und Sextanten. Ich merke, wie er sich in dieser Zeit verliert. „Wir waren Pioniere, hatten unser ganzes Gepäck auf dem Rücken, fuhren die Flüsse und Seen mit dem Kanu und ich musste immer wieder herausfinden wie es weiter geht. Oft endete der Weg im Sumpf.“ Er erzählte von Wölfen, die neugierig ihr Lager besuchten, von Bären und dabei zeigt er mir eine Bärenklaue, die er an einem Lederband um den Hals trägt. Das war sein erster selbst erlegter Bär. Ein Braunbär, der sein Lager störte.

In die Erzählung platzt dann Nathans Mutter hinein. Eine echte Dame! Sie und Ralph entdeckte in ihren Geschichten gemeinsame Bekannte und sofort wurden die, jeweils bei Ihr und bei Ralph vorhandenen Lücken mit ergänzenden Berichten geschlossen.

Ob sie schon immer hier wohnten frage ich Nathans Mutter, sie hat sich mir zwar vorgestellt, aber ich habe jetzt tatsächlich ihren Namen vergessen. So nenne ich sie einfach Theresa. Der Name passt zu ihrer Erscheinung.

Oh nein, sie wohnten weiter im Norden und als der Damm gebaut wurde, mussten sie dem Wasser weichen. Es war schrecklich, mit anzusehen, wie ihre Farm langsam und allmählich vom Wasser verschluckt wurde, erst die Weiden, dann die Ställe und am Schluss das Haus. Sie sind nach Florida gezogen. Doch eines Tages kehrte sie mit ihrem Mann zurück und da entdeckten sie diesen wunderschönen Fleck, an einem See gelegen, überall Graslandschaft, Wald und Stille. Da beschlossen sie ihre Farm in Florida zu verkaufen und wieder einen Neuanfang zu wagen. Ihr Mann baute einen Hanger, schob sich eine Piste und freute sich über die neu gewonnene Freiheit, bis er eines Tages von einem Flug nicht mehr nachhause kam.

‚Aber mein Sohn Nathan, der ist fleißig, er hat die Rinder verkauft, die Pferde behalten und nun arbeitet er für Parks Canada‘ (ein Regierungsjob). Die Flugzeuge hat er auch verkauft, er wollte damit nichts mehr zu tun haben. In dem ehemaligen Hanger befindet sich heute die Brauerei.

Ralph muss wieder weiter, er muss heute wieder nach Witset zurück, aber er besteht darauf mein Bier zu bezahlen.

Zurück an meinem FidiBus mache ich mir mein Feuer und dann beginnt es zu grummeln. Erst recht weit entfernt, doch der Himmel färbte sich schwarz und dann zuckten auch schon die Blitze über den Himmel. Außer ein paar Tropfen fiel kein Regen. Das sind die Gewitter, aus denen die Waldbrände entstehen, Nathan erklärte mir am nächsten Morgen, dass sie bei den Feuerfightern als „Dry Lightnings“ bezeichnet werden. Später, bei Sonnenuntergang zeigte sich tatsächlich im Süden und im Osten der deutlich graue und rötliche Schein der Feuer. Vernichtend schön!

Ich möchte weiter. Nathan kommt noch einmal zu mir und erklärt mir den Weg, der auf meiner Karte nicht verzeichnet ist. Er ruft wieder über den Meldekanal seines Funkgerätes an und meldet meine Absicht. Zwei Forstfahrzeuge begegnen mir und ich bitte sie jeweils meine Position und Fahrtrichtung zu melden. Es wird ausgemacht, dass jeder Holztruck nun Meldung macht wenn er mich sieht. Am Winken der Fahrer erkenne ich, dass sie die Meldungen verfolgen. Es ist schon sehr beeindruckend, wenn diese Ungetüme vollbeladen und mit Anhänger auf einen zurasen. Zum Glück erkenne ich es bereits von Weitem an der kilometerlangen Staubwolke, die sich hoch über die Bäume erhebt, wenn wieder ein solcher Zug auf mich zurast. Und dann sieht man nichts mehr. Einghüllt in eine Wolke aus feinstem Staub warte ich ab, bis ich die Piste wieder erkennen kann.

Nach fünfeinhalb Stunden und einhundertsiebenundachtzig Kilometern verlasse ich diese Forstpiste und befinde mich wieder auf dem Highway 16, dem Yellowhead Highway oder, wie er seit einigen Jahren auch genannt wird „The Highway of Tears“.

Allerdings geht diese lange Zeit nicht auf das Konto der Piste. Zwei Stunden nutzte ich für eine Wanderung durch den Wald auf einem alten Trail zu den Stromschnellen des Netchako Rivers. Welch ein Tosen. Da half auch mein ständiges Reden nichts um die Bären auf mich aufmerksam zu machen. In solch einer Lage verlässt man sich besser auf sein Bärenspray und die Bear-bangers, Knallpatronen, die ich bei Bedarf mit einem Stift abschießen kann und die zwei Mal fürchterlich knallen und blitzen. Ich habe mir sagen lassen, dass es unerfahrene Wanderer gibt, die damit in Richtung Bär schießen. Ein fataler Fehler, denn der zweite Knall erfolgt dann hinter dem und der rennt vorwärts und dann…. Grrrrrrr

Um acht Uhr abends bin ich dann in Fort St. John und plötzlich holt die Erinnerung mich ein.

Ootsa Lake, ein Paradies von Menschenhand

Der weitere Weg von Morricetown oder heute Witset spendierte mir noch einen letzten Blick auf diese Berge. Der Highway erscheint mir uninteressant und so beschließe ich nördlich des Highways auf einer geschotterten Piste zunächst nach Smithers zu fahren. Eine gute Entscheidung wie sich herausstellen sollte. Die Straße verlief auf der Höhe eines Bergrückens durch Wald und dazwischen immer wieder gepflegte Farmen. Auf den Weiden grasten Kühe und hier und da mischten sich Ziegen unter das Weidevieh. Ein heimatliches Gefühl kommt da auf. Da es keine Wegebezeichnung gibt und dieser Weg weder auf der Karte noch auf meinem Navi zu finden ist muss ich immer wieder nach dem Weg fragen oder einfach mein Glück versuchen. Einmal treffe ich den Farmer den ich nach dem Weg frage. Wir wechseln einige Worte über die schöne Landschaft. Er wohne im Paradis erklärt er mir. Doch bevor er mir die richtige Richtung weist, muss er erst noch die technischen Details meines FidiBus‘ wissen. Ob ich ihn verkaufe, will er gleich wissen, er könne ihn auch in Halifax abholen. Auch von der Ersatzteilsituation für ein europäisches Modell lässt er sich nicht schrecken. Bevor er einen Preis nennen kann klopfte ich meinem FidiBus auf den Kotflügel und versprach ihm, dass ich ihn nicht verkaufe. Wir sind doch Partner!

Und weiter geht’ts. Schaue ich zurück, erblicke ich noch ein letztes Mal die hohen Berge mit ihren schneebedeckten Gipfel, noch einmal das blaue Eis der zu Tal fließenden Gletscher.

An einer Kreuzung treffe ich vier Frauen, die mit ihrem Rad unterwegs sind. Gerade recht, denn wieder gibt es keinen Richtungshinweis. Wieder wird meine Frage freundlich beantwortet und dann wollen sie aber doch wissen woher ich komme. „Oh, mein Mann ist auch aus Deutschland. Er kommt aus Bad Homburg. Und schon bekomme ich die ganze Familiengeschichte zu hören. Als Zimmermann ist er hergekommen, in seiner Kluft auf Reisen. Er hat bei ihren Eltern gewohnt und ist geblieben. Sie hätten sich vom ersten Tag an ineinander verliebt. Nun haben sie zwei Kinder und fünf Enkel und betreiben ein Bed & Breakfest in Smithers. Am Ende fragt mich eine der Frauen, ob sie sich meinen FidiBus mal von innen ansehen dürfe. Ich öffne meine Pforte und sie staunt. So klein und alles vorhanden! Als nun auch diese Neugier gestillt war, bestiegen die Frauen ihre Räder und auch ich startete nun auf bekanntem Weg Richtung Smithers. Meine Kühltruhe muss dringend wieder gefüllt werden.

Es ist verdammt heiß und als ich eine kleine Brauerei sehe ist das die Gelegenheit, mich mit einem Bier zu erfrischen. Gegen die Hitze vernebelt die Gastwirtschaft Wasser über der Terasse es kühlt zwar, aber nach einer Weile wird es ganz schön feucht.

Noch einmal befrage ich die Karte und beschließe einer Empfehlung zu folgen und zum Ootsa Lake zu fahren noch einhundertfünfzig Kilometer und eine Fähre. Es ist halb vier und für die einhundertfünfzig Kilometer schätze ich zwei Stunden. Es könnte als klappen, die letzte Fähre um 6 Uhr noch zu bekommen. Fünfzehn Kilometer vor der Fähre überholt mich ein Motorradfahrer, dann bleibt er stehen und fährt wieder hinter mir her. RCMP! Ist mein erster Gedanke. An der Fähre, die mir gerade vor der Nase wegfuhr hält er neben mir an und bedeutet mir die Scheibe runter zu kurbeln. Kein RCMP! Ich atme auf. „Hey, bist du ein echter Deutscher?“ tönt es mir mit deutlich westfälischem Akzent entgegen. Und wieder muss ich die Geschichte erzählen, wie es FidiBus über den großen Teich geschafft hat. Und dann kommt seine Geschichte. Nach der Grundschule in Bielefeld Papa besucht, weil’s so schön war da geblieben, Schule besucht, Job bei einer Pipelinefirma gefunden, Frau gefunden, Zwei Kinder und hin und wieder vom Heimweh nachhause getrieben. An dauerhafte Rückkehr nicht zu denken. Dann erklärt er mir die Vorzüge seines Jobs, wenn er einer Gewerkschaft angehört. Über die Gewerkschaft bekommt er, wenn ein Job beendet ist automatisch einen neuen Job angeboten, oder sie zahlen das Überbrückungsgeld für den Winter, wenn ab Minus fünfunddreißig Grad die Maschinen nicht mehr arbeiten. Für die Unternehmen zahlt es sich aus, mit der Gewerkschaft zusammenzuarbeiten, da es auf diese Weise immer zu neuen Arbeitskräften kommt. Doch es fehlen Arbeitskräfte. Ich höre das Immer wieder. In Geschäften fehlt Verkaufspersonal es fehlen Lehrer, es fehlen Fachkräfte, nur Regierungsmitarbeiter gibt es in Hülle und Fülle. „Ach ja die Fähre kommt gleich, sie fährt bis elf Uhr Nacht jede Stunde“. Na bitte, wieder mal Glück gehabt. Rolf steigt auf sein Motorrad und fährt zurück in sein Camp.

Die Fährfahrt dauert zwanzig Minuten und ist kostenlos. Sie ist Teil des Highway Systems und ist staatlich. Nach einer weiteren Stunde erreiche ich mein Ziel, den Ootsa Lake Spillway Campground. Direkt am See gelegen bietet er etwa zehn Campsites. Jeder Campsite so groß, wie ein halbes Fußballfeld, durch Hecken geschützt oder in der Sonne. Ich such mir den sonnigen Platz etwas über dem See gelegen, sodass ich den einzigen Camper, der heute hier steht nicht sehe. Ich bin allein. Der See läd zum Baden ein und der Platz bietet alles was ich brauche. Ein Outhouse (Plumpsklo) und Feuerholz und… er ist kostenlos. Grund genug, zwei Tage zu bleiben. Kurz überlege ich, noch einen weiteren Tag an diesem Platz zu bleiben und eine Wanderung am Ufer entlang zu machen, doch die Entscheidung wird mir abgenommen. Ein Truck kommt zu meinem Platz und der Fahrer erklärt mir, dass auf dem Campground ein Fest der Parkmitarbeiter stattfindet und er deshalb für die Allgemeinheit gesperrt wird. Ich bedanke mich bei ihm für den gut gepflegt Platz, das Feuerholz und die Sauberkeit des Plumpsklos, denn schließlich haben diese Annehmlichkeiten eine gute Zeit beschert. Er freut sich darüber und schon ist der Damm gebrochen. „I’m Rob“: „Matt“ und dann berichtet er mir von dem Damm, der diesen See aufgestaut hat und dass der Strom ausschließlich für das beinahe tausend Kilometer entfernte Aluminiumwerk in Kitimat, nahe Terrace produziert wird. Viele Familien verloren damals ihr Zuhause und in der betroffenen Bevölkerung machten sich heftige Proteste gegen die Aluminiumwerke breit. Am Ende zahlte das Werk und der Staat so hohe Entschädigungen, dass viel die neue Chance nutzten und Sich mit dem Geld eine neue Farm in höher gelegenen Regionen neu aufbauten. Aber er hat noch einen Tipp für mich. „Wenn du auf der Forststraße vierundzwanzig Kilometer nach Süden fährst, dann triffst auf ein Schild BREWERY. Biege rechts ab und nach vier Kilometern kommst du zur Ursa Minor Brewery. Dort kannst du auch campen.“

Das hört sich doch gut an und so mache ich mich auf den Weg.

Beinahe verhaftet

Heute also verlasse ich Prince Rupert. Am Ortsausgang steht ein junger Mann mit Hund und Rucksack. „Wohin möchtest du?“ „nach Terrace“. Ich schaffe Platz und beide steigen vorn ein. Der Mann ist schlank, hat ein fein geschnittenes Gesicht, fröhliche Augen und einen Dreitagebart. Auf dem Kopf trägt er eine Kappe, wie sie oft bei den Landwirten getragen wird. Der Hund ist ein Mischling namens Goofy, so groß, dass er sich ganz schön zusammenrollen muss, wenn er bei seinem Herrchen sitzen will. Er will.

Er sei Landwirt, hielt Geflügel und nachdem er sich im Sommer von seiner Freundin getrennt hatte, die immer nur neue Arbeit für ihn hatte, tagein tagaus, da hätte er sich auf und davon gemacht um ein paar Monate einfach durch das Land zu tippeln. Er erzählt mir die Geschichte, wie eines Tages die Raben sein ganzes Essen gestohlen haben und ein alter Mann ihn daraufhin mit einer großen Tüte Lebensmittel aus dem Garten und aus der Laden geholfen hat. „Mann ich sage dir, das war gut gemeint, aber ich musste alle tragen!“. Eineinhalb Stunden erzählt er ohne Pause. Nur hier und da frage ich, wenn ich etwas nicht verstanden hatte und natürlich interessiert mich, wie er ohne Arbeit durch das Leben kommt. „Oh, no problem“. „Das Geld liegt in BC auf der Straße, du musst es nur einsammeln“, so lautete seine Antwort und dann erzählt er mir von seinem Hund. Mit ihm führe er in der Ortschaften Tricks vor. Er spring auf seine Schulter, stellt sich tot, gibt ihm Küsschen auf die Wange und noch vieles mehr. Manchmal machen sie damit mehr als einhundert Dollar die Woche.

Kurz vor Terrace eröffnet er mir, dass er hofft, seine Freundin hätte die Farm gut verkauft. Er liebe sie noch immer. Sie sei eine tolle Frau, aber sie habe eben immer nur Arbeit im Kopf. „Das ist doch nicht richtig“. Er wird sich eine Cabin bauen und sein Geld damit verdienen, für die alten Leute Feuerholz zu machen, es zu spalten und zu verkaufen. Das Geld liegt auf der Straße und im Wald.

In Terrace, gibt er mir als Bezahlung noch eine Vorstellung. Ich lache mich über die Kapriolen seines Hunde kaputt. Er singt oder besser jault mit ihm ein Lied und läuft dabei zweibeing herum. Er springt Danny auf die Schulter und lässt sich wie einKind auf den Schultern seiner Eltern herumtragen und küsst Danny dabei auf die Wangen immer links und rechts. Zum Abschied hockt sich Goofy vor mich, sitz auf seinem Hintern, bei de Pfoten streckt er in die Luft und beginnt mich mit kreisrund geformter Schnauze anzujaulen und dann winkt er. Ich winke zurück, steige in meinen FidiBus, lasse Danny noch eine Dose Bier zurück und mache mich davon.

Mein Ziel ist das einhundertfünfzig Kilometer entfernt Gingolx oder auch Kincolith.am Portlandfjord, nur wenige Kilometer südlich der Grenze zu Alaska. Der Weg dorthin auf dem Highway einhundertdreizehn führt durch große Lavafelder eines Vulkans, der 1700 mit seinem Lavasstrom mehrere Dörfer der dort leben den Nisga’a First Nations unter sich begrub.

Luftaufnahme des großen Lavastromes

Auf dem Weg liegen ebenfalls heiße Quellen, auf die ich mich wirklich freue. Ein Bad täte mir mal wieder gut. Kurz vor Gingolx steht der Bau des Niga’a Museums. Es ist ein sehr moderner Bau, wie er in jeder großstadt hätte stehen können. Keinesfalls hätte ich so etwas hier

Die Hohlraum in der Lava ist der Abdruck eines umflossenen und verbrannten Baumes

erwartet. Das Museum ist geschlossen. Auch die heißen Quellen sind mit einem Tor verschlossen und es sieht so aus, als würde dieses Tor in diesem Sommer auch nicht mehr geöffnet. Am Ende des Tals, Am Fjord gelegen fahre ich von den Hügeln hinunter in Dorf. Hier, wie auch in den vorherigen Dörfern leben fast ausschließlich First Nations, die einst von ihren Feinden als Skalpjäger sehr gefürchtet waren.

Der Campground befindet s

olithBlick auf Ginglox (Kincolith)

ich außerhalb des Dorfes, neben einem Parkplatz zwischen alten Zedern an einem kleinen Fluß, der hier in den Fjord mündet. Später kommen noch zwei Männer aus Montreal, die im Fluss Lachse fischen waren und hier die Nacht verbringen wollen. Da ich das letzte Feuerholz in dem Holzschuppen für mich bereitgelegt habe, aber mein Essen bereits fertig war, biete ich ihnen mein Feuerholz an um ihren Lachs zu grillen. Doch stellt sich heraus, dass sie noch genügend Holz im Auto hatten. Das hinderte sie jedoch nicht daran, mir ein Stück ihres Lachfilet anzubieten. Auf dem Rückweg beschließe ich, es noch einmal im Museum zu versuchen, es sollte geöffnet sein.

Eine junge Nisga’a First Nation begrüßte mich und bot mir eine Führung an. Das Angebot nahm ich gern an.

Das Niga’a Museum

Sie erzählte von den Bräuchen ihres Volkes und den verschiedenen Riten, den Schamanen und den „supernatural spirits“. Anfangs las sie Zeile für Zeile von einer Karteikarte ab. Erklärte mir bei Fragen zu bestimmten Bedeutungen der Masken, dass es ich um Artefakte eines anderen Stammes handele und sie darüber nicht erzählen dürfe. Die Nisga’a kennen leben nach den Regen iherer Spirituellen Leittiere Wolf, Frosch, Rabe und Grizzly daneben auch Schwertwal, Adler und Biber. Sie sei Wolf und somit sei es ihr nicht erlaubt die Geschichte der anderen Clans zu erzählen. Ich merke, wie sie von ihren Karten löst. Ihre Stimme füllt sich ,mit Leben und sie zieht mich hinein in ein Welt der Mythen. Sie berichtet von ihrer Familie, die Rolle der Frauen und dass jedem Stamm, jedem Clan neben einem männlichen Häuptling auch ein weiblicher Häuptling vorsteht . Die Gesellschaft ist matrilinear geordnet. Es ist nicht erlaubt innerhalb desselben Clans zu heiraten, doch gehören die Kinder jeweils dem Clan der Mutter an. Immer lebhafter wird ihre Geschichcte und dann erklärt sie mir, dass auch sie auserwählt wurde, eine Sigidimhanak, ein weiblicher Häuptling zu sein. Dreimal wurde sie im Wasser des Flusses geweiht. Ihr Großvater musste für zwei Wochen allein in den Wald, und durfte solange nicht sprechen. Nach dem dritten Mal legte man ihr einen flachen Stein unter die Zunge, der sie daran erinnern sollte, welche Last sie zukünftig als Häuptling zu tragen habe. Weder am Tag noch in der Nacht durfte der Stein herausgenommen werden. Als ihr Großvater zurückkehrte, brachte er eine hölzerne Nadel mit, durchstach ihr das Ohrläppchen und überreichte ihr ein paar silberner Ohrringe. Jedes Jahr werden die Ohrringe schwerer, jedes Jahr wird die Last ihrer Verantwortung größer.

Als ich sie nach den Ort frage an dem ihr Volk das berühmte Fischfett herstellte und wo man den hierfür benötigte Fisch Oolith fing, bietet sie mir an, mir in ihrer Mittagspause diesen Ort zu zeigen. Eine fatale Entscheidung, wie sich zeigen sollte.

Fishery Cove, Ort der Oolith-Verarbeitung

Wir gehen als in ihrer Pause zu meinem FidiBus, sie steigt ein und wir fahren hinaus zu einem Platz, wo wir FidiBus abstellen. Der Weg durch den Wald ist stark vom Unterholz überwuchert.

Ich frage sie, danach welche Geschichte erzählt wird davon, wie die Menschen auf die Welt kamen und sie erzählt von ihrem Gott, dass die Welt einst ohne Licht war und nur durch einen schwachen Schein, dem Mondlicht gleich, das Dunkel durchbrach. Es gab noch kein Land und Gott entschied sich einige seiner Helfer in Tiergestalt auf die Welt zu schicken um die Welt bewohnbar zu machen. Die göttlichen Tiergestalten wurden schwanger und gebaren Menschenkinder und als letztes brachte der Gott über allen Göttern das Licht. Es gibt weitere Erzählungen, wie sie bei anderen Clans erzähl t werden, doch darüber könne sie nicht sprechen. Doch dann denkt sie nach und entschließt sich nicht die Geschichte der anderen Clans zu erzählen sondern nur zu erzählen wo sich deren Geschichten von ihrer unterscheidet Wir kommen auf eine Lichtung und vor uns tauchen halb verfallene Hütten auf. In der größten Hütte stehen zwei hözerne Tröge, etwa zwei mal drei Meter lang und cirka achtzig Zentimeter hoch. Hier wird der Oolik langsam gekocht und dabei stetig gerührt, bis das Fett an die Oberfläche kommt. Das kann Tage dauern. Am Schluss lässt ma den Brei abkühlen und schabt das Fett ab. Drei Mal wird der Prozess wiederholt, wobei sich das Fett immer dunkler verfärbt. Das fertige Fett dient als Nahrungsmittel zu Fisch, man verwendet es zum Backen und Kochen aber auch als Medizin. Mit einem Sack neuen Wissen steigen wir in den FidiBus und fahren zurück ins Museum. Vor dem Museum steht ein Polizeifahrzeug und ich frotzele „die warten schon auf mich“. Und so war es! Die Leiteren befiehlt meiner Begleiterin unverzüglich in ihr Büro zu kommen, während der Polizist sehr bestimmt meine Papiere verlangt. Aus dem Büro der Custodin höre lautes Gebrüll und verstehe die Worte „Vergewaltigung“, „Entführung“ und „ You are out“ Verlasse auf der Stelle das Büro und das Museum. Ach herrje, was wird daraus werden. Ich sehe mich bereits in Handschellen in irgendeinem Lokalgefängnis bei dünner Suppe und pappigem Brot. Die Custodin kommt aus dem Büro auf mich zugestürmt, hinter ihr bitterlich weinend meine Gästeführerin. Ich werde angebrüllt, wie ich dazu käme, eine Angestellte, noch dazu eine junge hübsche Indigene aufzufordern mit ihr in den Busch zu gehen um angeblich ein Fischdorf zu besichtigen. Irgendwie gelingt es mir, dass das Gebrüll zu durchdringen und bitte sie in ruhigem Ton weder mit mir noch mit ihrer Angestellten in diesem Ton zu reden. Die Junge Frau schafft es daraufhin ihr zu erklären, dass sie es war die den Vorschlag machte und dass es doch in ihrer Freizeit geschah.

Der Polizist mischt sich nun ein. Ich habe nichts zu befürchte, ich habe nichts falsch gemacht und dann klärt er mich auf: Diese Gegend und die Highways #113 und #16 tragen den Beinamen „Highway of tears“. Mehr als vierzig überwiegend indigene junge Frauen verschwanden auf dem Highway #16 und in angrenzenden Regionen. Einige wurden ermordet, ander gelten noch heute als vermisst. Ich erinnere mich an die Plakate, die ich entlang des Highways immer wieder sah und auf denen junge Frauen als vermisst gemeldet wurden, zwei davon stammten aus diesem Jahr und dann erinnere ich mich an die Geschichte des jungen Mannes, der in Watson Lake in mein Auto stieg und die er von seinem vermissten Bruder erzählte. Beinahe alle Fälle blieben unaufgeklärt.

Deshalb habe die Direktorin und Kustodin des Museums den Fall als Entführung an die RCMP gemeldet. Da ich die junge Frau ja offensichtlich gesund und wohlbehalten zurückgebracht habe, sei der Fall für ihn abgeschlossen.

Ich fuhr das weinende Bündel Mensch anschließend die kurze Strecke nachhause. Unter bitterem Schluchzen erklärte sie mir, sie habe keine Wut auf Mrs. Schober aber die Scham und die Enttäuschung wäre so schmerzhaft. Wut sei ein sekundäres Gefühl, dass nie über das wahre Gefühl herrschen dürfe, Scham komme aus der Seele

Ich habe mir die Email-Adresse der Direktorin geben lassen und schrieb ihr gleich am nächsten Morgen von einem Campground bei Hazelton eine Mail in der ich mich für den Vorfall entschuldigte. Ich Verständnis für ihre Reaktion und ihren Auftritt als Sorge um das Leben der Frau interpretiert. Gleichzeitig bat sie um die Wiederbeschäftigung der Gästeführung und appellierte daran, dass die Sorge um ihre Angestellten auch die Sorge um ihre sozialen Verhältnisse umfassen sollt. Die sehr freundliche Antwort kam prompt. Für ihren Ton entschuldigte sie sich. Sie habe die Angelegenheit an die Personalabteilung weitergereicht und deren Entscheidung bleibt abzuwarten.

In mir bleibt ein düsteres Bild von einer indigen Frau, stolze Vorsteherin eine Clans, die von der großen weißen Frau in Grund und Boden gebrüllt wurde.

Ja, das war nun das Update für das ich mich zwei Tage auf einem wunderschönen Gemeinde-Campground der Widzin First Nation zurückgezogen habe.

Morgen werde ich gemächlich weiterziehen und ich wünsche mir, dass auf dieser Reise nie wieder ein Mensch direkt oder indirekt durch mich zu Schaden kommt.

Prince Rupert und die drei Damen

Was soll nach dem tollen Tag im Sägewerk noch folgen. Sowohl Cäcilia und Hans als auch ich verabschieden uns von John Lammerts van Bueren, so sein voller und ganz und gar holländischer Name, mit einem Gefühl, das man am ehesten mit Ehrfurcht umschreiben kann. Welch eine Geschichte.

Die Nacht verbringen wir auf einem komfortablen Campsite am Lakelse nahe Terrace. Schwimmen im See und dann ist der Zeitpunkt gekommen meinen Lachs aus der Kühltruhe zu holen. Tiefgefroren braucht er eine Weile bis ich ihn zubereiten kann, doch zwischenzeitlich würfle ich die Karotten, die Schalotten, dazu Frühlingszwiebeln, das Korottengrün, eine gelbe und eine rote Paprika, die ich in Olivenöl in der Pfanne anröste. Später lege in die Lachstranchen obenauf und pochiere alles noch einmal für etwa acht Minuten abgedeckt über dem Grill. Ein Sonntagsessen!

Am Morgen weckt mich die Sonne beizeiten. Noch einmal springe ich in den See und genieße die Ruhe umgeben von uralten riesigen Zedern. Vögel und Eichhörnchen springen in ihnen herum und ich spüre nichts als Frieden.

Dann ist es so weit. Es ist nun an der Zeit, mich von meinen beiden Freunden, Cäcilia und Hans zu verabschieden. Zwar heben wir mit Prince Rupert das gleiche Ziel aber andere Zeitpläne. Ich gebe zu, ein wenig Trauer liegt in den letzten Umarmungen, aber wir werden uns in Deutschland oder in der Schweiz wiedersehen.

An Prince Rupert habe ich relativ wenig Erwartungen. Die Stadt ist eine jener nordamerikanischen Städte die schnell gewachsen sind und ebenso schnell ihre Blütezeit hinter sich gelassen haben. Im Hafen hoffe ich auf Informationen zu den Fährfahrplänen zu erhalten, dort dort wird lediglich auf das Internet verwiesen. An der Waterfront stelle ich mich zu einer Gruppe Menschen, die hier auf das Erscheinen der Wale oder wenigstens eines Seehundes hoffen, doch bleibt das Hoffen unerfüllt. Also fahre ich zurück. Mit Nachdruck legte mir John bei unserer Besichtigung nahe, einen Cappuccino im Café Cowpuchino zu trinken. Er sei der beste Cappuccino am Nordpazifik. Das Café liegt in dem alten Viertel von Prince Rupert und schon der Gedanke an einen guten Kaffee lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Wegbeschreibung dorthin, die von den Einheimischen bekam war eindeutig. Genauso eindeutig machte man mir jedoch klar, dass das Café wegen einer privaten Feier geschlossen sei. Dann werde ich Die Stadt wohl verlassen, ohne in diesem wirklich hübschen Lokal den berühmten Cowpucino Cappuccino probiert zu haben. Der alte Ortsteil,

Hafen von Prince Rupert


Cow Cove ist recht hübsch. Ehemalige Schiffsausrüster, einige alte Häuser direkt am Hafen und eine Bar mit Bordell wurden hübsch restauriert und das Bordell empfängt auch heute noch seine Gäste die mit wohl gefüllter Geldbörse hier sicher auf ihre Kosten kommen. Heute allerdings wird man nach leicht bekleideten und lasziv am Tresen lehnenden Damen lange Ausschau halten müssen. Dafür erwartet freundliches Personal den Gast zu einem kulinarischen Vergnügen in gediegener Atmosphäre. Nebenan befindet sich ein Lokal mit einer hübschen Terrasse die einen schönen Blick über den Hafen und hinaus auf den Pazifik verspricht. Eigentlich, so beschließe ich habe ich mir nach drei Monaten einmal wieder ein Glas Wein verdient. Ohne lange Diskussionen mit meinem inneren Schweinehund sitze ich fünf Minuten später auf eben dieser Terrasse vor einem Glas Rotwein und genieße die warmen Strahlen der August-Abendsonne. „Ahhh, wunderbar“. Siehe da, als Zugabe zu der Karaffe Rotwein bekomme ich einen Seehund zu sehen, der neugierig durch das Hafenbecken schwimmt und sich durch die Sonnenstrahlen den Bauch wärmen lässt. Der Sonnengang findet hinter den Bergen statt. Schade, aber schnell wird es kühl, ich zahle und und verabschiede mich gut gelaunt. So schlecht ist Prince Rupert doch nicht. Mein Quartier beziehe ich, mangels eines besseren Platzes auf einem Wanderparkplatz, etwa fünf Kilometer nördlich der Stadt. Ich bin nicht der Einzige. Vier weiter Autos stehen dort, zwei davon Camper-Vans. Naja, für eine Nacht wird’s gehen.

Etwas bohrte am Morgen in mir. Es war das Verlangen doch noch einmal zu versuchen, ob ich nicht heute zu meinem Cappuccino komme. Also fahre ich noch einmal in die Stadt. Wenn ich schon mal da bin, kann ein Besuch im Visitor Center nichts schaden. Ich frage die Dame hinter dem Tresen nach Fährverbindungen zu den Insel, doch außer den teuren BC-Ferries hatte sie keinen Tipp für mich und von einer Fährgesellschaft, die sich Pacific Highway nannte, die wie ein Bus zwischen den Insel verkehrt, wusste sie gar nichts. Empfehlungen, was es in der Stadt und ihrem Umfeld zu sehen gibt nannte sie nur das Übliche. Museum Waterfront und die Shopping Mal. Erst die Nachfrage ob es sich lohnt in das nahe Port Edward zu fahren, brachte sie auf die Spur, dass ich das in jedem Falle tun solle. Dort gäbe es eine Alte Konservenfabrik, in der Lachs in Dosen für den weltweiten Handel produziert wurde. Die acht Dollar Eintritt seien jedoch bar zu bezahlen, da dort kein Netz für die Kartenzahlung vorhanden sei. Ein Bus führe alle Stunde. Eine Aussage die sich, sowohl was die Kartenzahlung als auch die Busverbindung anbelangt schon bald als falsch herausstellt. Eine ältere Dame stand die ganze Zeit schweigend hinter mir und gab mir den gewünschten Tipp, dass die von mir gesuchten Wassertaxis direkt unten im Hafen ablegten und zu einem festgelegten Fahrplan, aber auch nach Wunsch zu den vielen kleinen Insel fahren. Ich bedankte mich für den Hinweis, und ging zum Anleger, doch das Tor war noch verschlossen. Zeit für den Cappuccino Tatsächlich hatte John recht. Der Cappuccino war köstlich ich sitze auf der Bank vor dem Café und sehe die Dame aus der Tourist-Info zu mir herüber winken. Ich winke zurück und da kommt sie herüber. „Ich hoffe, sie nehmen es mir nicht übel, dass ich sie so einfach anspreche, ich tue das sonst nicht“ spricht sie mich sichtlich peinlich berührt an. „Ich habe vernommen, dass sie heute nach Prince Edward zu der „Old Cannery“ fahren möchten. Habe ich das richtig verstanden?“ „Ganz genau, ich versuche die Führung um ein Uhr zu erwischen“. „Wissen sie, ich habe zwei Freundinnen, die ebenfalls heute dorthin fahren wollen, doch der Bus fährt schon lange nicht mehr dort hinaus und wenn ich mit dem Auto fahre, wäre es dann wohl möglich meine Freundinnen mitzunehmen?“ Natürlich gab es da kein Zögern. Ich müsse ein wenig Platz schaffen, da ich nur einen freien Sitz habe, doch wenn eine der Damen mit meiner Kühltruhe als Sitz vorlieb nähme spricht nichts dagegen. „Wissen Sie, eine der Damen ist sehr groß“. Mit einer Geste deutet sie an, was sie mit „groß“ meinte. Eine viertel Stunde später wurden mir Anneke und Margriet, zwei holländisch stämmige Damen um die siebzig, vorgestellt. Schon auf der Fahrt in die Old Cannery entwickelt sich lebhaftes Gespräch. Die beiden sind Cousinen, die bereits seit Jahrzehnten gemeinsam durch die Welt reisten. Einst als Hippies, mit allem Drum und dran und später so, wie es sich für erwachsene Lady gehörte. Am Ziel angekommen bestehen die Damen darauf, meinen Eintritt zu übernehmen. Der Besuch des alten Fischereibetriebes ist sein Geld wert.

Old Cannery in Port Edward

Die Anlage ist liebevoll restauriert und die Führung beschreibt anschaulich die Arbeit in der Konservenfabrik. Sie führt aber auch vor Augen, welch strenge Hierarchie bei der Verteilung der Aufgaben herrschte. Da waren die Weißen. Zumeist hatten sie die „Kragen und Krawattenjobs“ in der Verwaltung. Dann kamen die „Indiginousginous peoples“. Die Männer hatten die schwere Arbeit zu leisten und die Frauen die schmutzigste und krankmachende Arbeit bei der Reinigung und beim Ausnehmen der Fische.

The Old Cannery in Port Edward

Den ganzen Tag, oft zwölf oder dreizehn Stunden am Stück hatten sie ihre Hände im kalten Wasser und dann gab es schließlich noch die Chinesen, die bekannt waren, für den Umgang mit den Messern. Sie zerlegten bis zu fünfundvierzig Lachse in der Minute. Ich sehe sie förmlich vor mir, die scharfen blutigen Messer, die mit gekonntem Schwung einen ganzen Lachs vom Kopf und Schwanz sowie den Flossen und Finnen befreiten, so schnell, dass man den Vorgang kaum mit den Augen verfolgen konnte. Später wurde die Arbeit der Chinesen, die man hier die „Chinks“ nannte, durch eine Butchetry-Maschine ersetzt. Der offizielle Name dieser Maschine wäre heute undenkbar. Auf dem Messingschild des Herstellers prangte als Maschinenbezeichnung der Name „Iron Chink“.

The iron Chink eine diskriminierende benennung der chinesischen Mitarbeiter. Heute ist die Bezeichnung glücklicherweise tabu

Während der Rückfahrt erhält Anneke einen Anruf von ihrer Freundin Carol. Später erzählt mir Anneke mit der rauen Stimme einer Kettenraucherin, Carol hätte sie gefragt wie der „german Guy“ sei. „is he okay?“. Die Antwort muss wohl positiv ausgefallen sein, denn für den nächsten Tag werde ich eingeladen um mit den drei Damen Carol, Anneke und Margriet auf die kleine Insel Dodge Cove zu fahren. Über dies Einladung freue ich mich wahnsinnig, auch wenn das bedeutet, dass ich eine weitere Nacht auf dem Parkplatz vor den Toren Prince Ruperts zu verbringen habe. Erst einmal wartet aber ein Glas Rotwein auf meiner Terrasse auf ich.

Pünktlich um elf treffen wir uns im Cowpuccino, trinken Kaffee, essen ein Schinken-Käse-Bagel und dann rauschen wir im Wassertaxi hinüber nach Dodge Cove. Carol holt uns am Hafen ab und gemeinsam gehen wir den Schotterweg bis zu ihrer Cabin. Die Insel ist ein Traum. Alte Blockhäuser stehen verstreut in wunderschön angelegten Gärten. Neben bunten Blumen ist es Gemüse das hier üppig wächst. Anneke wird hier mit Hallo begrüßt. Sie ist nicht nur bekannt sondern ganz offensichtlich auch sehr beliebt. Lange Zeit wohnte sie auf einer Nachbarinsel und arbeitet als Briefträgerin, in der Konservenfabrik in Prince Rupert und wurde bekannt durch ein Buch, in dem das Leben junger Frauen an der Nordküste British Columbias beschreibt und in dem Sie ihr Leben und Reisen mit ihrer Cousine als ihren feministischen Beitrag zu der damals nur zögerlich in Gang kommenden Feminismus Diskussion. Sie beschreibt zwei Frauen, die sich nicht von Vorurteilen und frauenfeindlichen oft Frauen verachtenden Bemerkungen erschrecken lassen, sondern einfach ihren Weg gehen.

Carol stellt mich ihrem Freund und Lebenspartner Bill vor. Ein Mann mit weißem Haar, dass in allen Himmelsrichtung von seinem Kopf absteht. Der Bart ist grau und ebenso ungezähmt wie sein schütteres Haupthaar. Am auffälligsten aber sind seine lachenden Augen. Ich mag Bill auf Anhieb. Er stellt sich mir als Bill vor, dem man nichts glauben darf. „I’m a big genious liar“ und wolle ich die Wahrheit wissen, dann solle ich mich an Carol halten. Carol bestätigt mir, dass Bills Spezialität Anglerlatein, Seemannsgarn und unglaubliche Stories seien. Wir sitzen im Garten vor dem Haus, trinken ein Glas Limonade und schauen über die alten hölzernen Docks aufs Meer. Alte Geschichten werden in die Gegenwart geholt, alte Lieben neu zum Leben erweckt und die Luft ist gefüllt von Fröhlichkeit und unserem Lachen. Nicht eine Sekunde bin ich fremd. Stolz führt uns Bill durch seinen Shop, die Werkstatt. Erst auf den zweiten Blick eröffnet sich mir das System, das aus unendlichen Mengen scheinbaren Schrotts ein wohldurchdachtes „geordnetes Chaos“erkennen lässt. Es ist wunderbar Bills Freude zu sehen, wenn er mit strahlenden Augen einen alten Bootsmotor freilegt und erklärt, wie er ihn zum Laufen gebracht hat.

Eine Werkstatt die keine Wünsche offen lässt. Margriet und Bill

Zur Zeit arbeitet er daran ein altes, ehemaliges Fischerboot wieder flott zu bekommen. Sein Freund helfe ihm dabei, auch, wenn er genau genommen an beiden Händen nur Daumen habe. Aber die Frau seines Freundes wäre froh, ihn auf diese gut auf seinem Spielplatz untergebracht zu haben. Carol hat inzwischen das Mittagessen fertig Sokey-Lachs mit Reis und Pilzen und zum Nachtisch ein Crumble mit Beeren aus dem Garten. Ein Freund wird gerufen. Cai ist vor einigen Jahren aus Deutschland hierher gezogen und lebt mit seiner kanadischen Frau nun in Kanada. Wir unterhalten uns angeregt und die Frage, was es für ihn bedeutet Kanadier zu sein verwirrt ihn, doch nach einigem Nachdenken ist es die Freiheit die er erfährt. Was zählt ist die Erfahrung, die Persönlichkeit, die ihm ein freies Leben garantiert. Beinahe jeder Job stünde ihm offen. Wohlstand spielt nur eine untergeordnete Rolle, und dann ist es diese unendliche Natur und das Leben, das man in völligem Einklang mit ihr führen kann. Ungehetzt und stressfrei. Jeden Morgen beginnt ein neuer Tag.

Blick von Bills Haus auf den Kanal

Später gesellt sich noch ein ehemaliger Abgeordneter aus Ottawa zu uns, der sich seit einem schweren Unfall aus der Politik zurückgezogen hat und sein Leben hier auf Dodge Cove genießt. Viel zu schnell vergeht der Tag. Das Schnellboot wird uns in einer viertel Stunde wieder abholen. Der Abschied ist herzlich, Carol bleibt auf der Insel bei Bill. Als ich Carol erkläre, dass dies ein ganz besonderer Tag für mich gewesen sei, gerade so, als sei ich bei meiner eigenen Familie zum Sonntagsbesuch, da strahlt sie und nimmt mich noch einmal in ihre Arme. Es tut gut. Angekommen in Prince Rupert lade Anneke und Margriet zu einem Wein und einem Snack ein. Es bleibt nicht bei einem Wein, was unsere Laune weiter hebt. Am Ende verabschieden auch wir uns. In meine Adresssammlung füge ich nun die Adressen der beiden Damen hinzu und muss Margriet versprechen unbedingt anzurufen wenn ich in der Nähe von Ottawa bin oder Anneke sobald ich weiß wann ich Vancouver erreiche. Beide boten mir an gern bei ihnen wohnen zu können. Noch einmal fahre ich zu meinem Parkplatz und noch einmal höre ich die Geschichten eines „Mitbewohners“ von der Schwierigkeit eine bezahlbare Wohnung zu finden, selbst wenn man einen gut bezahlten Job als „Longman“ im Hafen hat. Longman, also die Schauerleute werden gesucht wie die Nadel im Heuhaufen und entsprechen gut ist der Lohn. Zwischen fünfundvierzig bis sechzig Dollar die Stunde. Aber nicht jeden Tag gibt es Arbeit und manchmal nur für ein paar Stunden.

Ich gehe schlafen. Morgen geht es weiter. Noch ein letztes Mal hinauf in den Norden.

Ein Baum wird zu Musik

Es dauert ein wenig, bis wir herausfinden, wo wir Johns Sägewerk finden. Doch endlich sind wir auf dem richtigen Weg. Er führt uns hinaus aus Terracce, ein paar Kilometer auf dem Highway 113 nach Norden. Fdoch dann sehen wir das Tor zur Einfahrt. Wir werden bereits erwartet. Es gibt erst einmal einen richtig guten Espresso in Johns Büro. Es ist gemütlich ja sogar wohnlich. Holländer haben’s wohl doch gern gemütlich. John erledigt noch ein paar Schecks für Mitarbeiter, Lieferanten und Dienstleister, die alle lieber einen Scheck in der Hand halten, als sich auf die Wunder der elektronischen Geldübermittlung zu verlassen. Dann hat er Zeiet. Sechzig Prozent seines Geschäfts wickelt er mit Steinway ab, die restlichen vierzig Prozent gehen in das Geschäft mit anderen Musikinstrumentenhersteller, zumeist in die Produktion akustischer Gitarren, Schiffsbauern und in den Flugzeugbau.

John van Bueren verwandelt Bäume in Musik

Hier in Terrace werden nur die ersten Schritte gemacht.Er sucht im Sommer die Bäume aus, die er für geeignet hält, wozu er mit dem Hubschrauber in die Wälder zu den Flächen fliegt, die für den Einschlag freigegeben sind. Der Baum muss gerade gewachsen sein und im unteren Stamm dürfen sich nur wenige Äste befinden. Die Fichten sind zumeist zwischen zweihundertfünfzig und sechshundert Jahre alt. Sie sind in sich völlig unverdreht und kerzengerade. Die Bäume werden markiert, geschlagen und dann im Anschnitt noch einmal von John beurteilt. Was nicht seinen Kriterien entspricht, verkauft er an andere Sägewerke weiter. Der Zuschnitt ist eine Wissenschaft für sich, die Maschine, aus der Schweiz geliefert und unbeschreiblich teuer, schneitet die Bretter in einer Genauigkeit von 0,5 mm. Unvorstellbar, besonders hier in Kanada, wo es solche Sägen nicht gibt. Da verläuft ein solcher Schnitt über zwölf Meter schon einmal um zwei Zentimeter. Der Schnitt erfolgt stets genau senkrecht zu den Jahresringen. Bei diesem Verfahren wundert es dann auch nicht, dass es etwa vier Stunden dauert, bis ein solcher Stamm zugeschnitten ist. Die Säge arbeitet so fein, dass dieses Holz bereits ausschaut wie gehobelt. Ich streiche über die Oberfläche und es ist kein Widerstand zu spüren, kein Spahn stellt sich meiner Hand entgegen. Normalerweise eine Arbeit von zwanzig Minuten. Es wird die Dicke, die Breite und die Feuchte gemessen, bevor die Lagen zum ersten Trocknen im Freien gelagert werden. Von hier aus gehen die Zuschnitte über Land nach Prince Rupert und auf dem Seeweg nach Vancouver. Dort erfolgt der genaue Zuschnitt, die Feinarbeit und eine weitere Trocknung und wieder geht es auf die Reise, dieses Mal nach Holland. Dort wird der zukünftige Klangboden des Flügels aus den einzelnen Zuschnitten zusammengesetzt und mit Knochenleim verleimt. Das Holz wird zuvor wieder bis auf ein paar wenige Prozent getrocknet um anschließend den, dem jeweiligen Holz entsprechende natürliche Feucht aufzunehmen. So ist gewährleistet, das der Klangboden wie aus einem Stück auf immer und ewig zusammen hält. Jetzt ist der Zeitpunkt das Holz auf seine vorerst letzte Reise zu schicken: Zu Steinway nach Hamburg. Hier wird dem Klangboden die Musik ins Holz gegeben, der Korpus geformt und dann ist es so weit. Der Baum erklingt. Ja, immer werde ich daran denken, wenn ich in Zukunft in einem Konzert sitze und den Namen Steinway auf einem Flügel sehe, Ich werde den Stamm vor mir sehen und die Hände, die aus ihm ein solch perfektes Instrument zum Erklingen bringen.

Cäcilia und Hans staunen über die Johns Führung durch das Sägewerk

Und dann erzählt uns John noch eine andere Geschichte:

Er schlägt auch die Bäume für den Bau japanischer Tempel. Hierzu kommt der Architekt, und es gibt nur jeweils einen Architekten, der dazu bestimmt ist den Tempel zu bauen, der vvor dem Schlagen der Zeder rituelle Gebete und das glückliche Gelingen zu Ehren der Götter spricht. Ist der Baum geschlagen, wird der, auf seine Länge zugeschnittene Baum nach Japan verschifft. Dort wird er ähnlich dem Klangboden getrocknet und so zugeschnitten, dass man die Segmente bis zu der gewünschten Höhe aufeinander stellen kann. Wieder aht der Architekt und Priester die Gebete zu sprechen und die rituellen Handlungen zu vollziehen, bevor der Bbau des Tempels begonnen werden kann. Alle Verbindungen werde so gesteckt und in exakte Profile gelegt. Und wie bei Steinway sorgt die Aufnahme der spezifischen Feuchte dafür dass die Verbindung über jahrhunderte stabil und sicher ist. Kein Leim, kein Zapfen, kein Nagel und keine Schraube hält das Holz zusammen. Es ist seine eigene Kraft, die auf Ewigkeit eine Einheit bildet. Und noch etwas ist bemerkenswert. Stirbt der Architekt vor Fertigstellung des Tempels, so bleibt dieser unvollendet. Niemand darf den Tempel fertigstellen. Er ist im Kraftfeld des Architekten, es ist sein Baum, es sind dessen Gebete. ohne ihn ist der Tempel ohne seinen göttlichen Segen.

Wir werden still. Kann ein Baum mehr Würdigung?

Begegnung mit der Heimat

Vom Salmon Glacier fahre ich nun wieder hinunter nach Steward. Noch einmal das WiFi der Tourist Info nutzen einen Kaffee trinken und auf nach Prince Rupert. Das ist der Plan, doch wieder soll es ganz anders werden.

Als ich aus der Tourist Info komme stehen eine Frau und ein Mann neben meinem FidiBus .

„Du bist aus Erbach und ich kenne deine Frau aus der Bücherei“ werde ich empfangen. Ich bin überrascht und erstaunt. Gitte, ja kann ich mir vorstellen, aber mich? Woher kennt sie mich? „ Ich habe dich auf der Beerdigung deiner Frau gesehen“ klärt sie mich auf. Mein Gott, das ist ja schon eine Weile her. Wir kommen ins Gespräch über ihren Job als Lehrerin, er ist Zimmermann, war bei der Baulust und so gab es viele gemeinsame Berichte und Begebenheiten. Wieder zeigt sich wie klein die Welt ist und wie hoch die Wahrscheinlichkeit überall auf der Welt auf Menschen zu stoßen, mit denen sich gemeinsame Erlebnisse verbinden. Nach einer gefühlten Ewigkeit verabschieden wir uns und dann noch eine letzte Empfehlung. Unbedingt soll ich nach Vancouver Island übersetzen und von dort auf die Insel Gabriola, dort wohnt ein befreundetes Künstlerehepaar. Dort kannst du wohnen, sie freuen sich auf dich. Wieder ein neues Ziel.

Ich sitze im Café und denke darüber nach, wieviel Glück ich auf dieser Reise erfahren habe. Im Leben hätte ich es mir nicht erträumt, einmal so reich an neuen Erlebnissen von einer Reise zurückzukehren. Es ist die Reise meines Lebens. Und während ich so über alles nachdenke kreuzt ein grauer Sprinter neben mir auf. Cäcilia und Hans. Sie sind also doch noch nicht auf dem Weg nach Prince Rupert. Anders als ich hatten die beiden noch einmal bei der Bärenplattform Stopp gemacht und tatsächlich zwei Bären erlebt, die sich am Fluss den Magen ordentlich voll geschlagen haben. Ein wenig neidisch bin ich schon auf die tollen Bilder. Wir trinken gemeinsam Kaffee und im Laufe des Gesprächs stellen wir fest, dass wir uns sehr gut gut vertragen. Ja, es fühlt sich nach einer neuen Freundschaft an. Der Entschluss, gemeinsam ein paar Tage zu reisen ist schnell gefasst und so brechen wir nun zusammen auf. Auf der Suche nach einem geeigneten Platz zum übernachten einigen wir uns auf den Decker Lake, der auf meiner App als besonder ruhig geschildert wird. Und das war er dann auch. Als ich auf die Forststraße zu dem See einbiege hoffe ich, dass der Hans es sich nicht doch noch anders überlegt. Der Weg wird schmal, sehr schmal und die Schlaglöcher sind nur im Schleichgang zu durchfahren. Aber dann, nach einer halben Stunde heftiger Schaukelei öffnet sich vor uns eine Lichtung in den Fichten. Zwei Picknicktische, eine Feuerstelle und der wunderschöne stille Decker Lake liegen vor uns. Heute gibt es zu Feier des Tage gegrillte Würstchen. Es ist einer jener unvergesslichen Abende, von denen ich so sehr geträumt habe.

Decker Lake BC

Wenn wir schon zusammen reisen, dann können wir auch gemeinsam Johns Sägewerk besuchen.

Tags darauf, kurz vor Terrace schreibe ich john eine Email und informiere ihn, dass ich noch Freunde mitbringe und John ist begeistert.

Also, auf geht’s

…und noch einmal Alaska

Von Jade City aus war der Weg nach Meziadin war der Weg recht ereignislos, sieht man einmal davon ab, dass schon von Weitem etwas entdeckte, dass wie ein Bär aussah und sich am Ende als ein Prachtexemplar eines Schwarzbären bestätigte.

Schwarzbär am Cassiar Highway

In aller Ruhe pflückte er am Straßenrand Beeren. Später wurde meine Aufmerksamkeit auf ein Karibu gelenkt, das ich auf einem kurzen Spaziergang aus den Büschen auf mich zukommen sah. Wieder einmal zeigt es sich, dass ich wirklich immer alle Foto- und Filmtechnik im Rucksack haben muss, zusätzlich zu dem Bärenspray, dass man selbst zum Pinkeln immer griffbereit halten soll. Gebraucht habe ich es bisher noch nicht und ich hoffe, dass das auch so bleibt.

An einem Restaurant treffe ich ein Schweizer Ehepaar wieder, mit denen ich bereits in Whitehorse ausgiebig geplaudert hatte. Wieder wechselten wir ein paar Worte und dann zog jeder wieder seiner Wege. Die Schweizer in Richtung Prince Rupert und ich in das Café.

Am Abend entschied ich mich dazu, Lake Mezaidin Camp Ground zu übernachten, denn es gab in der Nähe nichts, wo ich hätte stehen können. Es war eng auf dem Campground und so frage ich meine Nachbern, ob es ihnen recht sei, dass ich meinen FidiBus neben ihnen Parke. Eine folgentreiche Frage! Noch während ich mich einrichte werde ich gerufen und an das Campfeuer des besagten Ehepaares gerufen. Sie waren so angenehm davon überrascht, dass ich sie um Erlaubnis fragte, dass sie diesen netten „Gentleman“ näher kennenlernen wollten. Wie sich herausstellt, sind die beiden Texaner. Im Verlauf des Abends laden Norman und Barbara mich zum Essen ein und ich bin begeistert. Ein wunderbares Steak mit Kartoffeln und Röstzwiebeln. Besser als in jedem Restaurant.

Norman holt seine letzten Bierdosen hervor und es wird ein sehr fröhlicher Abend. Ich vermeide alles, was geeignet wäre ein Gespräch über Trump zu provozieren. Doch Erna tut’s dann doch. Ich bin nach dem Bier nicht mehr bereit zu diskutieren oder mir an einem so schönen Abend die Stimmung zu ruinieren. Meine Sorge ist unbegründet. Einmütig erklären beide, Trump sei in Idiot, ein Lügner und ein Verräter. Aus tiefstem Herzen stimme ich ihnen zu und erkläre, er sei es gar nicht wert, auch nur über ihn zu sprechen. Und so war’s das mit Trump.

Früh am Morgen starte ich zunächst nach Steward, von wo aus eine Straße nach Hyder und auf einer recht üblen Schotterpiste hinauf zum Salmon Glacier führt. Im Tourist Information Center von Steward erledige ich die Formalitäten für die Wiedereinreise aus Alaska nach Kanada. Selbst wenn man das Land nur für Stunden verlässt, so hat man bei der Einreise die aktuelle ArriveCan-App nachzuweisen. Bürokraten sind überall auf der Welt zuhause und zumeist lästig.

Zwei Kilometer hinter Stewadrd überschreite ich die Grenze in Hyder, Alaskas südlichstem Grenzübergang.

Hier gibt es eine Beobachtungsstation, von wo aus man die Bären beim Lachsfischen aus nächster Nähe beobachten kann. Für acht Dollar versuche ich mein Glück und ziehe nach zwei Stunden erfolglosen Wartens weiter. Schließlich habe ich noch sechzig Kilometer vor mir und die haben’s in sich. Um mich herum eröffnet sich eine spektakuläre Landschaft.

Bear Glaciar

Hohe schneebedeckte Berge, Riesige Wasserfälle und tiefe Schluchten. Immer wieder halte ich an und sauge die Eindrücke in mich hinein und das erste Mal befällt mich ein Gefühl, dass mir sagt: Matthias, hierher wirst du nie wieder zurückkehren. Ich muss die Bilder festhalten, nicht nur auf meinem Foto, sondern ganz besonders im Kopf.

Unerwartet taucht die Zunge des gewaltigen Salmon Glacier vor mir auf. Graue und weiße Streifen sind Zeichen seines Fließens. Am Abbruch schimmert das Blau des uralten Eises, dass nun noch einmal eine Verwandlung erfährt und zu einem trüben aber reißenden Gletscherfluss wird. Welch ein Schauspiel.

Salmon Glacier

Um drei Uhr habe ich mein Ziel erreicht. Ich stehe über dem Gletscher und schaue hinab. Mein Gott, wie beeindruckend diese Landschaft aus Eis und Fels ist. Und doch – Deutlich sind die Spuren seines Abschmelzens zu erkennen. Zehn oder gar zwanzig Meter hat er sich von den Berghängen bereits zurückgezogen und auch dieser Riese wird schon bald keinen Fluss mehr nähren. Es ist erschreckend. Eine Kette von Folgen wird das Ergebnis sein. Erst der Gletscher, dann der Fluss, die Ebene wird trocken. Es fehlen die jährlichen Überschwemmungen, kein Wasser in den Wasserfällen und den Bächen, keine Lachse, keine Bären…

Salmon Glacier

Dennoch jetzt genieße ich das Szenario dass sich meinen Augen bietet. Und… der graue Sprinter des Schweizer Ehepaares schwenkt auf den Parplatz ein. Irgendwie gewöhnt man sich auf Reisen schnell aneinander und so scheint es mir, als freute es uns beide, uns hier oben wieder zu treffen. Also beschließen wir hier oben zu übernachten. Ich habe Feuerholz dabei und schon spenden uns die Flammen genug Wärme um uns zusammenzusetzen und von unseren Plänen zu erzählen. Cäcilia und Hans wollen, je nach Budget weiter über die USA nach Südamerika reisen. In der Nähe von Vancouver besuchen sie Verwandte, die sie nie zuvor getroffen haben und sie sehen sich als „Budget Traveller“, gerade so wie ich. Später gesellen sich noch ein deutschen und ein österreichisches Paar zu uns und wiedereinmal haben wir einen spannenden Erzählabend.

Bevor die Österreicher, Erna und Harry am nächsten Morgen weiterziehen, bringen sie mir noch ein großes Päckchen selbst gefangenen Sokey-Lachs. Super und nun bin ich doch froh, meine Kühltruhe mitgenommen zu haben. Dort hinein wandert mein Lachs, ich stelle den Regler auf gefrieren und freue mich auf eine festliche Gelegenheit ihn zuzubereiten. Cäcilia und Hans machen sich auf den Weg und ich bin erst einmal allein.

Mit einigem Schrecken stelle ich fest, dass sich mein Dachgepäckträger in Auflösung befindet. Eine Gummihalterung hat sich bereits irgendwo auf der Holperpiste verabschiedet, die anderen Träger sind alle Locker oder werden nur noch durch das Gewicht der Ladung gehalten. Während ich das also korrigiere kommt ein Truck mit drei Männern, von denen zwei sofort auf einem Berg verschwinden.

„John“ stellt er sich vor und bei dem üblichen Woher, Wohin zeigt sich, dass er Holländer ist, der seine neuen Mitarbeiter an diese Stelle bringt um sich von der Gewaltigkeit dieses Gletschers beeindrucken zu lassen. John, so erzählt er mir hat in Terrace ein Sägewerk. Doch es ist ein besonderes Sägewerk. Er schneidet dort das Holz, das später zu einem Steinway-Flügel verarbeitet wird. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Wieder so eine besondere Begegnung. Meine Neugier ist erneut geweckt und ich denke mir, dass ich nichts verlieren kann wenn ich ihn bitte, sein Werk besuchen zu dürfen. John scheint auf die Frage nur gewartet zu haben und schon habe ich seine Karte. Und ich solle mich melden, sobald ich in Terrace sei. Es ist so einfach immer wieder etwas Neues zu erfahren. Neugier ist der Schlüssel zum Erleben. Immer wieder zeigt sich die alte Weisheit als so zutreffend.

Jade

ade City ist ein Ort mir gerade einmal achtzig Einwohnern und sind ausnahmslos im Mining-Business beschäftigt. In jedem Reiseführer findet sich die Beschreibung des Jadegeschäftes, das man tatsächlich nicht verpassen sollte. Ein großes Schild verkündet gut sichtbar „Free Coffee“ .Neben den üblichen Souvenirs findet man dort auch wirklich kunstvoll verarbeiteten Schmuck aus Jade und Silber. Man kann den Künstlern bei der Arbeit zuschauen oder einfach ein nettes Gespräch mit Jonas führen, wenn das Geschäft noch nicht so voll im Gange ist.

Free Coffee in Jade City

Da ich die Nacht auf dem einfachen, dafür aber kostenlosen Campingplatz verbracht habe, bin ich bereits um neun Uhr im Geschäft und identifiziere auf Anhieb Jonas, einen deutschen Mitarbeiter, der mir von Lina und Philipp wegen seiner Geschichten über den Jadebergbau ans Herz gelegt wurde. Doch bevor er erzählt bekomme ich den kostenlosen Kaffee angeboten, der nicht nur „free“ war sondern auch „dark rosted“und gut. Der Eigentümerin des Geschäftes ist auch die Eigentümerin einer Jademine, die hoch in den Bergen etwa achtzig Kilometer östlich von Jade City in den Bergen gelegen ist. Dieses Jahr kann sie jedoch wegen des noch immer dort liegenden Schnees erstmals nicht betrieben werden. Circa zehn Meter hohe Schneefelder versperren den Zugang zur Mine.

Und noch etwas setzt mich in Erstaunen. Jade City steht für etwa achtzig Prozent der weltweit geförderten Jade in dieser Qualität. Wegen ihre Zähigkeit und Härte gilt sie als besonders widerstandsfähig und damit als besonders wertvoll. Bisher war ich im Glauben, China und der asiatische Raum sei für die Hauptfördermenge dieses begehrten Gesteins verantwortlich. Nun, ich werde dieser neuen Information im Laufe meiner Reise nachgehen.

Doch Jonas hat noch einen weiteren Tipp für mich auf Lager: Etwas abseits gäbe es eine Piste zu einer ehemaligen Asbestmine. Sie schlängelt sich etwa zwanzig Kilometer auf einer Schotterpiste, vorbei an Geisterorten ehemaliger Goldminen, aber auch vorbei an gut gesicherten zu noch betriebenen Minen. Nach einer halben Stunde taucht die alte Mine aus dem Busch auf. Auf dem Gelände stehen zahllose Minenfahrzeuge, Bagger, Trucks, Schlepper und vieles mehr herum, ein wahres Freilichtmuseum. Die alte Mine jedoch verbirgt sich hinter einem hohen Zaun. Ganz klar, dies ist ein Fall für meine Drohne, die stets einsatzbereit in meinem FidiBus auf Arbeit wartet. Mit ihrer Hilfe verschaffe ich mir einen Blick über den Zaun. Riesige Halden bergen, wenn man ein wenig sucht wunderschöne Jadebrocken – oder eher Bröckchen und wenigstens eines davon sammele ich ein. Ein Mitbringsel für Gitte.

Relikt einer vergangenen Zeit
Verlassene Asbestmine nahe Jade City

Auf dem Weg zurück ins Tal fallen mir die vielen bunten Blumen am Wegesrand auf. Ja, für ein paar Wochen zeigt sich nun die Sommerflora, bevor der kurze Herbst und dann der lange Winter kommt.

Zurück in Jade City versucht Jonas mich zu überreden über den Winter hier zu bleiben. Seine Chefin suche dringend Ersatz für ihn, denn er wird nach drei Jahren Kanada im September wieder nach Deutschland zurückkehren. Seine Chefin zahle gut und es gehe hauptsächlich um Wartung der Maschinen, ein Job, der keine speziellen Vorkenntnisse erfordere. Einmal im Monat, sofern die Straße befahrbar sei müsse ich ich nach Prince Rupert zum Einkaufen fahren. Zwölf Stunden Fahrt im Sommer, im Winter wohl etwas mehr, für eine Richtung. Im Großmarkt werden dann für etwa sechstausend Dollar Lebensmittel für die gesamte Gemeinde eingekauft. Inklusive Benzin sei das immer noch billiger als in dem knapp einhundertfünfzig Kilometer entfernten Watson Lake einzukaufen, wo es keinen Großmarkt gibt. Mir wird schwindelig bei dem Gedanken auf der gefrorenen Schneepiste bei Nacht und Schneetreiben mit Truck und Anhänger unterwegs zu sein.

Ich lehne also das Jobangebot dankend ab. Oh ja, Jobs liegen auf der Straße, wenn man in der Grauzone des Arbeitsgesetzes Geld verdienen möchte. Seit Covid hat sich die Nachfrage in den abgelegenen Gebieten nach Personal drastisch verstärkt. Doch die jungen Menschen versuchen in den Städten ihr Glück.

Mich zieht es nun weiter. Telegraf City ist mein nächstes Ziel. Der Weg dorthin zählt zu den großen Attraktionen eines Kanadareisenden. Von Jonas lasse ich mir den Weg beschreiben, der abermals vom Cassiar Highway nach Norden abzweigt. Zwanzig Prozent Steigung/Gefälle, eine raue, nur vier Meter breite Schotterpiste, auf der einen Seite steil aufragender Fels, auf der anderen Seite einhundert und mehr Meter tiefe und ebenso steile Abhänge. Besonders gefährlich bei Regen, wenn sich die Piste in eine Rutschbahn aus Schlamm verwandelt. Okay, ich weiß Bescheid.

Kurz hinter Jade City stoße ich auf den Abzweig nach Telegraph City. Nun geht es also einhundert fünfzehn Kilometer mit etwa zwanzig bis dreißig Kilometern pro Stunde bergauf. Und dann beginnt es zu regnen und tatsächlich setzt sich das Profil meiner Reifen sofort mit dem lehmigen Schlamm zu und ich komme ins Schlingern. Meine Vernunft schaltet sich ein und nach ein paar weiteren Kilometern finde ich eine Stelle, die breit genug ist um zu wenden. Ein Manöver, das mir die Schweißperlen auf die Stirne treibt, doch nach einigem Vor und Zurück zeigen die Scheinwerfer meines tapferen FidiBus wieder ins Tal. Zurück zum Cassiar Highway nach Meziadin, dem Ausgangspunkt eines weiteren Abstechers nach Alaska.

Alaska Highway – Zurück nach Watson Lake

Für die Weiterfahrt in Richtung Watson Lake ist noch einiges zu erledigen.

Meine Lebensmittel müssen dringend ergänzt werden, meine Telefonkarte muss erneuert werden und dann gehe ich noch einmal Kaffee trinken und meine Mails checken. Ein Update über das Weltgeschehen ist auch von Nöten, denn wenn man mich hier zu den neuen Entwicklungen in Europa im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine befragt möchte ich nicht ganz mit leeren Händen dastehen. Doch dann, am Mittag endlich fahre ich los, nachdem ich meinen FidiBus wieder aufgetankt habe. Glücklicherweise haben sich die Dieselpreise wieder etwas beruhigt und man bekommt den Liter Diesel wieder für zwei Dollar neun.

Die Fahrt über den Highway führt mich auf bekanntes Terrain. Dennoch bieten sich immer wieder Möglichkeiten anzuhalten und in Gedanken den Weg der Stampeders nachzuzeichnen. Lake Schwatka und Marsh Lake, welche körperlicher Einsatz der Pioniere, die diese Route erkundeten, bevor sie den Männern und Frauen eröffnet wurden und damit der große Zug der zigtausend Menschen begann. Dreihundert Kilometer vor Watson Lake und kurz vor … geriate ich in ein schweres Gewitter. Der Wind wird zum Sturm, der Himmel verfärbt sich schwarz und der Regen prasselte herab. Blitze schlagen irgendwo in den Bäumen ein und meine Scheibenwischer schaffen es kaum noch, mir die Sicht auf die Straße frei zu wischen.

Meine Uhr verrät mir, dass es bereits fünf Uhr ist, Zeit um die Fahr für heute zu beenden. In Johnsons Crossing ist ein Campground und den steuere ich heute an. Inzwischen hat das Gewitter aufgehört und als sei nichts gewesen scheint die Sonne. Zeit für ein Campfeuer. Holz ist genügend vorhanden. Und es dauert nicht lange bis ich mir genug Holz gespalten habe um auch für morgen noch einen Vorrat zu haben.

Von hier bis Watson Lake sind es etwas mehr als dreihundert Kilometer, eine bequeme Tagesreise.

Kurz hinter Watson Lake passiere ich den Abzweig auf die Canol Road zum Campbell Highway. Soll ich? Soll ich nicht? Ich soll! Also mache ich kehrt und versuche auf den Highway zu gelangen, der mir auf dem Hinweg wegen der Waldbrände verwehrt geblieben ist. Die Canol Road wurde gebaut um nach dem Angriff auf Pearl Harbour eine Pipline zu bauen, die die Ölversorgung Yukons und der Northwestern Territories sichern sollte. Meine Karte weist diese Straße als ungewartet aus und wahrlich, das war sie auch. Nach zwanzig der zweihundert Kilometer langen Strecke gebe ich auf. Bis hierher tastete ich mich mit zehn oder fünfzehn Stundenkilometern vorwärts. Vor mir nichts als zweihundert Kilometer aneinandergereihte Schlaglöcher und nach zwei Stunden nicht ein Auto. Das Risiko einer Panne und keiner Hilfe scheint mir zu groß. Ich wende und versuche meinen FidiBus heile wieder auf den Alaska Highway zu fahren. Nach weiteren zwei Stunden kann ich aufatmen. Asphalt. In Gedanken verbeuge ich mich vor den Arbeitern, die dieses Straße so bequem gemacht haben. Am Abend bin ich in Watson Lake, kaufe an der Tankstelle noch einen Sixpack Bier und dann gönne ich mir im Recreation Center eine heiße Dusche und eine Sauna. Das ist mir doch glatt vier Dollar wert. Donnerwetter tut das gut! Alle Verspannungen des anstrengenden Tage fahren mit dem Schweiß aus mir heraus. Schlagartig werde ich müde. Campsite ich komme.

Bevor ich heute, am fünften August Richtung Jade City aufbreche besuche ich das Watson Lake Northern Light Center. Für acht Dollar bekommt man hier eine Show geboten die mich zutiefst beeindruckte Die Entstehung des Polarlichtes wird hier ebenso erklärt, wie die Bedeutung die die First Nations dieser Himmelserscheinung zuwiesen. Und dann die Polarlichter selbst aus der Sicht der ISS aber am eindrucksvollsten von einem Filmemacher mit einer Spezialkammera aufgenommen. Schnell wird aus dem Film die Illusion direkt unter diesem wundervollen Lichtspektakel zu stehen. Zwanzig Minuten staune ich über das, was sich um mich herum und über mir abspielt. Unsere Welt, sie ist so schön.

Cassiar Highway

Bis Jade City werde ich es heute schaffen, die Northern Light Show hat mich viel Zeit gekostet, Zeit die ich aber besser nicht hätte nutzen können.

Auf dem Cassiar Highway nehme ich einen Mann mit, der hier trampt, was schnell zu einem Geduldsspiel werden kann. Nur wenige Autos fahren den Highway in dieser Richtung. Er sei First Nation. Es sei ja nicht weit bis nach Good Hope Lake. Praktisch der nächste Ort. Nicht weit heißt in diesem Fall einhundert Kilometer. Wir unterhalten uns über die Waldbrände, über die Jagd und seinen Job. Er ist ein „dies und das“. Seine Aufgabe ist es wie die der anderen Clanmitglieder zu fischen, zu jagen und ein wenig zu handeln. Sein Bruder Cousin sei im Juni verschwunden, erzählt er mir. Betrunken und bekifft sei er nach einem Streit in den Wald gelaufen und bisher noch nicht zurückgekehrt. Ob er sich keine Sorgen macht und ob man ihn sucht frage ich. Nein, suchen kann man ihn nicht. Der Wald sei groß, dicht und unwegsam. Da würde das Search and Rescue Team gar nicht erst aufbrechen. Aber sein Cousin kennt sich im Wald aus. Wenn er nicht wiederkommt, dann sei er wohl verunglückt. Das kann hier schnell passieren.

Hmm, Ich werde nachdenklich. In Good Hope Lake steigt er aus und ich setze meine Fahrt für die letzten zwanzig Kilometer bis nach Jade City fort. Später werde ich die Suchanzeigen an der Straße und in den Terrace finden. Dieser Highway und der Yellowhead Highway sind dafür berüchtigt, dass hier immer wieder junge Menschen, zumeist junge Frauen verschwinden. Trampen ist daher verboten und sowohl Tramper als auch diejenigen, die Tramper mitnehmen erwartet eine saftige Strafe.

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