Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

Monat: September 2022 (Seite 1 von 2)

Schrecksekunden

Die Sonne scheint, als ich aufwachte. Es ist jetzt acht Uhr, meine Navi zeigt jedoch neun Uhr an. Ach ja, ich habe eine Zeitzone überschritten und muss die Uhr wieder eine Stunde vorstellen. Zum Frührstück mache ich mir zur Abwechslung mal wieder Pfannkuchen, dieses mal mit Erdnussbutter.

Um zehn kehre ich wieder zurück auf den Highway. Bis Winnipeg sind es dreihundert Kilometer, immer geradeaus. Die Straße ist wieder wie mit der Schnur gezogen und fast könnte ich Winnipeg an ihrem Ende sehen, wenn da nicht der Horizont wäre. Wieder mal Zeit zum Cruisen! Ich stelle den Tempomat wie gewohnt auf achtzig Kilometer ein und los geht’s. So fahre ich etwa eineinhalb Stunden und muss nicht viel mehr dabei tun als das Lenkrad festzuhalten. Doch da geschieht das, was mir unvermittelt das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Die Sekunde des Erkennens

Beinahe instinktiv straffe ich meinen Gurt, setze mich ganz eng angelehnt im Sitz zurecht und lehne mich instinktiv nach rechts. Kalter Schweiß tritt auf meine Stirn, mein Herz rast, da spüre ich auch schon, wie mich die Fliehkraft in den Sitz presst, meine Gesicht folgt der Gravitation und dann war auch schon alles vorüber. Alles was ich höre ist das vertraute Brummen meines FidiBus. Ich schaue zurück und da liegt sie, nur etwa zwanzig Meter hinter mir, die erste Kurve seit gefühlten Tagen.

Nachdem dieser Schreck überwunden war ging es ohne weitere Katastrophen weiter nach Winnipeg. Mal sehen, wo ich heute schlafen werde.

Nach einem Sightseeing-Tag werde ich wohl übermorgen in Richtung Toronto aufbrechen.

Von Jill und Stephan habe ich gehört, dass der Tornado hauptsächlich die Ostküste Nova Scotias und Neufundlands getroffen hat. Hierhat das Meer über hundert Häuser fortgerissen. Viele Menschen gelten noch immer als vermisst. In Halifax wurden Bäume entwurzelt, der Strom und das Telefonnetz fielen kurzzeitig aus, aber die Schäden halten sich hier im Großen und Ganzen noch in Grenzen. Dieser Hurrican war der schwerste, der je in der Region Atlantic Canada registriert wurde. Ich bin froh, nicht in ihn hinein geraten zu sein.

Im Weizenland

Vor mir liegen nun die grenzenlosen Weizenfelder. Jetzt verstehe ich, was es bedeutet diese Felder zu bearbeiten. Allein entlang der Straße zieht sich ein Feld über zehn Kilometer nur in der Länge dahin, die Breite kann ich gar nicht abschätzen. Teils wurden sie bereits abgeerntet, zum Teil ist man noch mitten in der Ernte. Am Abend habe ich in Morse die Gelegenheit mit einer Erntehelferin zu sprechen. Susan ist zweiundzwanzig und ist aus Edmonten nur für die Ernte angereist. Sie wohnt mit sechs anderen Erntehelfern neben mir auf dem Campingplatz in einem dieser gigantischen Mortorhomes. Sie fährt, wie ihre Kollegen einen Mähdrescher. Sieben Stück sind auf dem Feld im Einsatz. Gesteuert werden sie per GPS um die Überlappung der Spuren so gering wie möglich zu halten. Achtzig Zentimeter sind die Zielvorgabe. Ein Warnsystem verhindert, dass die Maschinen miteinander kollidieren und Daneben stehen die Fahrer und die Fahrerin in ständigem Funkkontakt.

Alle Hindernisse sind im Feld markiert und in den Fahrweg einprogrammiert. Der Weizen wird dann mit Trucks in die Verladeterminals gefahren wo er erst in gigantischen Silos gelagert wird und dann mit der Bahn zu den Mühlen oder den Verladestationen in den Häfen transportiert wird.

Bis Mitte Oktober wird Susan noch im Einsatz sein, dann muss sie sich einen neuen Job für den Winter suchen. Wahrscheinlich findet sie einen Job in einer Bar als Bedienung, das wäre ihr Wunsch.

Das Gold des Getreides und der blaue Himmel erinnern mich an die Fahne der Ukraine, die hier in beinahe jeder Gemeinde im Winde weht. Noch empfinde ich dieser Landschaft, trotz gegenteiliger Informationen und Befürchtungen meiner kanadischen Freunde und anderer Reisender keine Langeweile. Immer wieder drängt sich mir der Vergleich mit der Wüste Libyens auf. Selbst das Farbenspiel über den Tag hinweg ist ähnlich. Nur Berge, ja Berge sucht man hier vergeblich. Das Wattenmeer ist im Vergleich zu den Weiten Albertas und Sasketchewans ein veritables Mittelgebirge. Nicht, aber auch gar nichts stört hier den Blick. Aber es ist gerade diese Unendlichkeit, die in Mir eine wohltuende Ruhe erzeugt.

Heute, am dritten Tag dieser Fahrt durch Felder und Prairien kommen die ersten Zeichen von Ermüdung es ist Zeit Strecke zu machen.

Stephan, den ich am zweiten Tag meiner Reise im FidiBus traf hat mir geschrieben. Er erwartet mich und wünscht sich, dass ich aus einem Liquor Store in Ontario Eierlikör mitbringe. Den bekäme man in Nova Scotia nicht. Meine Besuchsreihe ist groß und wenn ich das ohne Stress schaffen möchte, dann muss ich mich ein wenig sputen. Morgen werde ich dann mit Winnipeg ein weiteres Ziel meiner Reise erreichen. Weitere Ziele sind dann Toronto, Quebec Stadt und Prince Edward Island. Am vierzehnten oder fünfzehnternOktober werde ich wohl in Halifax ankommen. Die Termine für den Rückflug und die Rückverschiffung meines FidiBus stehen unverändert. Am einundzwanzigsten Oktober bringe ich meinen FidiBus zum Hafen, nachdem ich ihn gründlich gereinigt und für die Reise hübsch gemacht habe. Allein der Gedanke an all die Vorbereitungen meiner Abreise lastet schwer auf mir und so konzentriere ich mich noch einmal auf die Tage, die noch vor mir liegen und in denen mein FidBus mir noch ein Zuhause bietet.

Hoodoos und alte Knochen

Hoodoos und alte Knochen

Um sechsuhrdreißig wache ich auf. Irgendwo da draußen heulen sich die Coyoten an. Ja, genau so stelle ich mir die Prairie vor. Es fehlt nur noch der ‚lonesome rider‘ um die Westerngeschichte vollständig zu machen. Langsam steigt die Sonne hinter den Hügeln hervor und mit ihren Strahlen fühle ich, wie die Wärme in die Eiseskälte der Nacht eindringt. Es tut gut.

Nach dem Morgenkaffee bin ich pünktlich um halb acht auf dem vereinbarten Parkplatz und schaue in die zerfurchte Landschaft deren meist fotografierte Naturgebilde die Hoodoos sind, Erdpyramiden, auf deren Spitze ein Stein ballanciert, bis die Pyramide eines Tages unter ihm hinweg erodiert ist. Und da sehe ich was ich heute morgen nur hören konnte. Zwei Coyoten schleichen durch die Graslandschaft. Doch bevor ich meine Kamera aus dem FidiBus holen konnte waren sie schon verschwunden und alle Mühe, sie irgendwo noch einmal zu Gesicht zu bekommen, doch mein Hoffen ist vergebens. Später wird mir Lois, die Rangerin, die unsere Gruppe durch die Badlands zu dem Bonefield führen soll, erklären, dass ich Glück hatte, überhaupt diese scheuen Tiere zu Gesicht bekommen zu haben. Die beste Chance hat man, wenn man mit einem nicht zu großen Hund der unangeleint umherspringt, diese Kollegen zu beobachten. Sie haben Hunde zum Fressen gern.

Lois, unserere Rangerin (re)
Hoodoos im Dinosaur Provincial Park

Lois weiht uns in ihre Tour ein. Drei Stunden werden wir durch diese Landschaft wandern und dabei verschiedene seltene Kakteen sehen, vielleicht ein paar Hirsche, doch vor Klapperschlangen und Skorpionen brauchen wir uns nicht mehr zu fürchten, für diese Tiere ist es bereits zu kalt. Erstaunlich sind ihre Schilderungen der hier vorkommenden ‚falschen‘ Klapperschlage. Ein harmloses und ungiftiges Reptil, dass sich jedoch die Erfurcht, die man ihrer echten Schwester nachsagt zu eigen macht, indem sie sich wie eine Klapperschlange aufrichtet und das Ende ihres klapperlosen Schwanzendes hin und her rüttelt. Das Klappergeräusch erzeugt sie mit ihrem Maul. Angeber gibt’s halt auch im Tierreich. Lois eigt uns das Ziel am Horizont und es scheint als hätten wir noch einen mehrstündigen Marsch vor uns, doch handelt es ich hier um eine optische Täuschcung, wie man sie in den Badlands so häufig antrifft.

Die ‚Zitadelle‘ . An ihrem Fuß befinmdet sich das Bonefield

Nach nur fünfzehn Minuten haben wir unser Ziel erreicht. Schon seit einiger Zeit bemerken wir knöcherne Teile in dem Sandstein. Ein Oberschenkelknochen und einen Wirbel von der Größe einer vierhundertfünfzig Gramm Konservendose. Wir sind auf dem Grund einer fünfundsiebzig millionen Jahre alten Flußlandschaft und dann erreichen wir das Bonefield. Man kann nur schwer einen Schritt tun, ohne auf die Knochen eines Dinauriers zu treten. Palaeonthologen schätzen, dass hier die Knochen von über eintausend Dinos verstreut liegen. Die Grabungen sind noch nicht abgeschlossen. Vermutet wird, dass durch eine Sturzflut diese Herde von Hadrosauriern überrascht wurden. Noch ehe sie sich in höhere Regionen retten konnten schoss das Wasser über sie hinweg. Die Tiere ertranken und wurden in dem Sediment rasch vergraben. Spätere Fluten lösten die Skelette auf und verteilen die Knochen in einem weiten Umfeld.

Wirbel eines Hadrosaurus
Saurierknochen

Es wurden nur wenige intakte und vollständige Skelette gefunden. Die Orginale befinden sich im Tyrell Museum in Drumheller. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, wenn ich daran denke, wie diese mächtigen Tiere durch den Wald trampelten. Zeugen einer Zeit und einer Welt, wie sie vor vielen Millionen Jahren existierte, als von den Menschen noch nicht einmal ein Vorgänger existierte. Später wurde alles zugedeckt von einer mächtigen Eisschicht, an deren Boden weitere Sedimente herbei transportiert wurden. Als diese Decke schmolz und das Schmelzwasser in weit mäandernden Strömen die Canyons und Schluchten, die Hoodoos und Täler in die ehemals völlig flache Ebene zu schneiden, entstanden die Badlands. Nach dreieinhalb Stunden war ich wieder zurück bei meinem FidiBus. Schnell noch eine Dusche in Der Touristeninfo, eine Trommel Wäsche waschen und dann zieht es mich noch weiter nach Nordwesten zurück, nach Drumheller. Dieses Museum muss ich sehen.

Am Abend bin ich in Drumheller. Campingplätze sind sauteuer und iOverlander hat auch keinen Vorschlag für die Nacht. Also übernachte ich völlig unromantisch auf dem Walmart-Parkplatz, die stehen Camper immer und offiziell zur Verfügung.

Tyrell Museum in Drumheller

Am nächsten Morgen bin ich schon um acht am Museum. Zu früh, es öffnet erst um zehn Uhr. Ich nutze die Zeit für einen gründlichen ‚Hausputz‘. Dann ist es so weit. Ich erbitte Einlass. Doch diese Rechnung hatte ich ohne den Wirt gemacht. Alle Karten sind ausverkauft. Zwölfuhrdreieißig könnte noch etwas möglich sein, wenn ich mich sofort per Internet anmelde. Die Enttäuschung war mir anzusehen. Gesagt getan, ich sicherte mir einen Platz für zwölfuhrdreieißig. Erstaunlich war, dass der Rechnungsbetrag für das Ticket 0,00 CAD betrug. Bloß keine Buchungsfehler machen. Doch siehe da, es ist so stark ausverkauft, da heute der Eintritt kostenlos ist. Als die erste Gruppe um halb elf eingelassen wird, winkt die freundliche Frau am Eingang mir zu zu und bedeutet mir, dass ich einfach mit rein schlüpfen soll. Sie gibt mir ein neues Ticket und drinnen bin ich. Daran sollte sich die nächsten beinahe vier Stunden auch nichts ändern. Welch ein grandioses Bild. Da standen diese Riesen der Kreidezeit. Sehr realistisch nachgebildet und in einem Szenario, wie es diese Tiere wohl zu der Zeit vorfanden.

Saurier im Tyrell Museum
Saurierskelett / Tyrell Museum

Man kann einen Blick in das riesige Präparierungslabor werfen, sieht, wie die die Funde konserviert werden und wie sie ausgegraben und geborgen werden. Es ist die weltweit größte Sammlung von Saurierskeletten und unterschiedlichen Arten und Spezies. (… schon wieder ein Superlativ) Ich kann mich kaum sattsehen. Als sich dann jedoch das Museum mehr und mehr mit Selfiestick bewaffneten Chinesen und Japanern füllte, gegen die man sich seinen Platz regelrecht erkämpfen musste, beschließe ich das Weite zu suchen. Selfiesticks im Museum, das ist so ziemlich das Letzte in einem solch empfindlichen Umfeld und sicher nicht nur mein Objekt des Ärgernisses sondern bestimmt auch Grauen für alle Museumsangestellten.

Noch während meiner Weiterfahrt in den Abend wirkt der Eindruck nach und ich sehe mich in dieser menschenleeren Welt der Kreidezeit mit seiner so viel größeren Artenvielfalt, als wir sie heute kennen.

Nun warten lange Reisetage durch die Weiten der Prairie auf mich. In ein paar Tagen möchte ich in Winnipeg sein.

Die Badlands von Alberta

Reiste ich bisher in der Horizontalen über die Oberfläche dieses riesigen Landes, so möchte ich mich nun auch in der Vertikalen reisen. Fünfundsiebzig Millionen Jahre, bis in die Tiefe der Kreidezeit dringe ich nun im Dinosaur Provincial Park ein. Dieser Park ist ein Weltkulturerbe Kanadas und da ich mich zwischenzeitlich an die Superlative gewöhnt habe, so verwundert es mich nicht, dass dieser Park das größte Badland Kanadas ist. Ein Ort, der im Sommer leicht die fünzig Grad Celsius-Marke überschreitet, und der wegen seiner unwegsamen Landschaft das „schlechte Land ist, dass man besser nicht betritt. So war es jedenfalls noch vor etwas mehr als zweihundert Jahren. Ich lasse mich überraschen.

Zunächst einmal fahre ich auf dem Highway #1 bis nach Lethbridge und bieg dann auf weniger befahrene Straßen nach Norden.

Ein letzter Blick auf die Berge der Rockies

Die Fahrt ist langweilig und bietet keinerlei Höhepunkte und so beende ich den Tag in Picture Butte, einem kleinen Nest mit einer Recreation Area, wo ich übernachten kann. Es riecht nach Landwirtschaft und das kommt mir dann doch sehr vertraut vor. Die Nacht wird kalt und so verziehe ich mich schon früh in meinen Schlafsack, in dem ich mich frostsicher verpacke. Als ich gegen Morgen aufwache zeigt das Thermometer minus vier Grad. Also krieche ich schnell wieder in die Wärme und schlafe noch eine Runde. Die Heizung habe ich auf sieben Uhr dreißig programmiert und früher komme ich nicht aus meinem Schlafsack hervor. Mit dem Frühstück lasse ich mir Zeit. Bis zu dem Dinosaur Provincial Park sind es nur drei Stunden Fahrt. Vor mir liegen Getreidefelder in einer Größe, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das Land ist flach wie ein Topfboden und bis zum Horizont versperrt kein Hindernis die Sicht. Ein Blick aufs Navi zeigt mir, dass es auf der gesamten Strecke keine Tankstelle gibt, doch für dreihundert Kilometer habe ich noch Diese im Tank und weitere zweihundert Kilometer im Reservekanister. Die Badlands beginnen. Die Felder sind verschwunden und an ihre Stelle tritt die Weite der Prairie. Es ist einerseits trostlos und dennoch kann ich mich andererseits von dem Anblick dieser Weite nicht losreißen. Mitten in dieser Graslandschaft nicken die Ölpumpen tagein tagaus und pumpen das schwarze Gold und Gas aus der Erde. Es muss mörderisch sein, wenn hier im Sommer die Temperaturen auf bis zu fünfzig Grad steigen. Mitten in dieser Landschaft taucht völlig unvermittelt und allein auf weiter Flur eine Tankstelle auf. Sie wirbt mit kühlem Bier, Lebensmitteln und Kaffee und, wer hätte es gedacht, mit Benzin und Diesel. Es ist die Gelegenheit noch einmal vollzutanken. Siebzig Liter Diesel für einhundertachtzehn Dollar. Hier in Alberta sind Benzin und Diesel am billigsten in ganz Kanada und das muss ich ausnutzen. Um drei Uhr erreiche ich den Nationalpark und das Bild, dass sich mir bietet ist umwerfend. Tief eingeschnitten in die glazialen Sedimente hat sich das Wasser der Gletscher beim Abtauen seinen Weg gesucht. Eine dichte Wald- und Auenlandschaft hat einst den Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen gebildet. Ich fühle mich in einer völlig fremden Welt. Vergraben in den einstigen Flussschlämmen liege die Knochen der Dinosaurier und anderer Fossilien. Es sind so viele, dass man kaum einen Schritt tun kann, ohne darauf zu treten. Fünfundsiebzig Millionen Jahre liegen unter mir. Es ist die größte bekannte Fundstelle für diese Fossilien und ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Mir wird klar, dass ein Tag nicht reichen wird, um diesen besonderen Ort zu erleben.

Auf dem Parkplatz hält neben mir hält ein weißer VW T4 TDI, ein Geschwisterchen?. Natürlich kommen wir schnell über dieses großartige Fahrzeug ins Gespräch und Tom berichtet mir, dass das Auto ein lautes Geräusch von sich gibt, dass ihn sehr beunruhigt. Er bittet mich mit dem Auto ein wenig zu fahren um das Geräusch zuzuordnen und schnell ist klar, dass das vordere linke Radlager defekt ist. Das Ersatzteil kann Tom telefonisch in Calgary bestellen, aber eine Werkstatt, die den Schaden zeitnahe beheben kann findet er nicht und ohne das passende Werkzeug kann auch ich ihm nicht helfen. Ohnehin liegt Calgary nun gar nicht auf meinem Weg.

Im der Touristeninformation buche ich mir für morgen eine geführte Tour durch den Park und mache mich auch heute schon mal auf die Socken und wandere durch diese bizarr geformte Landschaft. Es gibt hier Unmengen von Klapperschlangen, Skorpione und Spinnen, die alle nur allzu gern ihr Gift versprühen. Doch nein, für die Schlangen ist es bereits zu kalt. Sie liegen unbeweglich in ihren Höhlen und warten auf das nächste Frühjahr. Festes Schuhwerk ist

Als sei ich in der Wüste Afrikas. Die Badlands des Dinosaur Provincial Parks /Ab

Pflicht. Da ich morgen sehr früh für die geführte Tour am Treffpunkt sein muss, beschließe ich auf dem Campsite des Parks zu bleiben, der zwar teuer ist, dafür spare ich mir für morgen vierzig Kilometer Anfahrt von meinem geplanten Camp, habe dafür aber eine Dusche und eine Waschmaschine. Ja also, dann bis morgen!

Zeugen einer Katastrophe

Auf meinem Weg nach Osten liegt die Stadt Frank. Wieder erwartet mich dort ein Ereignis der Superlative. Der 29. Mai 1903 sollte sich für immer in das Gedächtnis der Bewohner dieses Ortes am Fuße des Turtle Mountain einbrennen. Frühmorgens kurz nach vier Uhr wurden die Menschen von einem ungeheuren Grollen geweckt. Neunzig Sekunden später herrschte Totenstille. Was war geschehen? Den Menschen bot sich ein Bild des Grauens Teile des Ortes waren unter einer meterhohen Masse aus Schlamm, Schutt und Felsen begraben. Als der Staub sich legte, fehlte die gesamte Nordflanke des Berges. Der mittlere Gipfel hatte sich in seiner ganzen Länge vom Berg gelöst und war zu Tal gestürzt.

Fünfundneunzig Menschen fanden in wenigen Sekunden den Tod. Sie hatten keine Chance dem Unglück zu entrinnen. In der nahen Kohlegrube waren etliche Bergleute eingeschlossen, nachdem die Zugänge verschüttet wurden. Ihnen gelang es jedoch wie durch ein Wunder, sich durch einen Kohleflötz nach oben und nach draußen zu graben, doch sie erkannten ihre Welt nicht wieder. Dieses Ereignis ist als der „Frank Slide“ in die Geschichte des Landes eingegangen. Es ist bis heute der größte Felssturz Kanadas. Noch immer ist der Berg, der schon lange vor dem Schreckenstag bei den First Nations als „Der Berg, der sich bewegt“ gefürchtet war, in Bewegung. Auslöser der Katastrophe war neben einer geologischen Schwachzone in der Gebirgsfalte im Kalkgestein dessen Wasserführung aber mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch eine Instabilität des Untergrundes durch des den Abbau der Kohle und die in sich zusammenfallenden Stollen der ausgebeuteten Kohleflöze. Noch heute zeugt ein eineinhalb Kilometer breiter und bis zu den gegenüberliegenden Berghängen reichender Schuttfächer von dem desaströsen Unglück.

Eingestürzter Nordhang des Turtle Mountain

Die weitere Strecke führt mich hinein in die flache Landschaft Albertas wenngleich ich doch noch immer auf einer Höhe von über neunhundert Metern bin. Ein letzter Blick zurück auf die von Neuschnee weiß gepuderten Berge der Rockies und dann verschwinden diese Kilometer um Kilometer hinter dem Horizont. Vor mir nichts als die unendliche Weite der Prairie und nicht enden wollende Felder. Da sind sie wieder die langen, mit der Schnur gezogenen Landstraßen. Mehr und mehr färben sich nun auch die Bäume und Büsche in den Farben des nahenden Herbstes und trotz des warmen Spätsommertages erwartet mich die nächste frostige Nacht.

Das Ende des Sommers

Weiter geht es langsam aber unaufhaltsam nach Osten Richtung Halifax. Die nächste Stadt ist Trail. Ich näher mich von den Bergen her und schon von Weitem sehe ich einen, sich lang dahinziehenden Industriekomplex. Trail ist relativ groß und modern. Die Stadt wird von dem schnell dahinfließenden Columbia River geteilt.

Columbia River / Trail BC

Über eine Brücke gelange ich auf die andere Seite und such mir einen Platz von dem aus ich einen guten Blick auf die Industrieanlage habe. Über Wikipedia recherchiere ich, über die Stadt und dieses Werk. Es stellt sich heraus, dass es Kanadas größte Blei/Zink Schmelze ist. Wiedereinmal ein Superlativ, von denen es in diesem Land ja greadezu wimmelt. Das größte…, die kleinste…, das einzige…, der längste… so ließe sich die Liste für alle möglichen sogenannten Touristenattraktionen bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Nicht immer muss man das ernst nehmen, denn in der nächsten Siedlung, dem nächsten Park steht ein noch älteres Gebäude, ein noch höherer Baum. Doch in dem Falle der Schmelze finde ich das Attribut in mehreren Veröffentlichungen bestätigt. Mit eintausend-vierhundert Arbeitsplätzen ist das Werk auch der größte Arbeitgeber der Stadt und der Region.

Blei/Zink Schmelzerei in Trail BC

Meine Neugier ist nun gestillt und mittlerweile versinkt die Sonne hinter den Bergen. Heute mache ich nicht viel des Federlesens, stelle meinen Fidibus am Rande des Highways auf einen Rastplatz an einem kleinen, aber unerreichbaren See. Das dichte Unterholz versperrt mir den Weg. Meinen Kocher baue ich auf einem dicken Baumstupf auf, mache Wasser für meine Rigattoni heiß, öffne eine Dose Thunfisch und schon bald dampft die Pasta mit Thunfisch in Sahne-Thymian-Sauce im Teller. Den Thymian habe ich bei meiner vorletzten Übernachtung in den Bergen gesammelt und er verbreitet einen intensiven würzigen Geruch in meinem FidiBus, der alle anderen, möglicherweise weniger wohlriechenden Gerüche überdeckt. Der Sauce verleiht er eine feine mediterrane Note. Gutes Essen muss weder teuer sein, noch bereitet es viel Aufwand. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen und mit dem Untergang der Sonne erwacht die Kühle. Dank meiner Heizung wird es in meinem FidiBus schon bald heimelig warm. Ein paar Seiten in meinem Buch, ein Gläschen eiskalten Rosé und schon trägt mich Morpheus auf sanften Flügeln in sein Traumland.

Am Morgen ist es kalt. Sieben Grad zeigt mein Thermometer und der Rastplatz erweist sich auch nicht als sooo einladend, dass ich hier die Mühen der Kaffeezubereitung auf mich nehmen möchte. Also fahre ich in die kleine Gemeinde nach Erie und gönne mir dort in einem Schnellreataurant einen Kaffee bevor ich mich wieder auf die Socken mache.

Noch einmal steigt der Highway #3, der Crownet-Highway auf eintausendsiebenhundertundfünfzig Meter zum Kootenay-Summit-Pass hinauf. Entgegen vieler Unkenrufe ist er frei von Schnee, worüber ich dem Wettergott sehr dankbar bin. Am Fuße des Passes liegt die Stadt Creston, eine jener typisch amerikanischen Städte, die auf einen Europäer als nüchtern und bar jeden Charmes wirken. Dennoch biege ich ab , als ich einen Tim Hortens entdecke. Es ist Zeit meinen Blog zu aktualisieren und meine Galerien vorzubereiten, sodass ich demnächst auch die wieder ins Netz lade kann.

Ich unterhalte mich mit einigen Gästen, die mir den Hinweis auf ein Wild-Reservat geben, elf Kilometer zurück auf dem Highway. Das hört sich verlockend an und so fahre ich zurück. In einer weiten Flussaue liegt das Reservat. Gänse, Enten, Kolibris und viel andere Vögel kann man hier im Frühjahr und im Sommer beobachten. Ich jedoch bekomme von all dem nichts mehr mit. Es ist zu spät. Nur ein Ochsenfrosch glotzt mich mit großen Augen an. Man soll sie auf einer Liste am Eingang eintragen, wenn man einen solch mächtigen Kerl sieht, denn er ist hier unerwünscht, eine invasive Art, auf deren Speiseplan alle anderen kleineren einheimischen Froscharten stehen. Der Ochsenfrosch überträgt darüber hinaus eine Pilzart, die zum Sterben der hier lebenden Reptilien führen kann. Der Teil des Wildreservates, der auf der anderen Seite der Straße liegt soll möglichst gemieden werden. Dort treiben sich in diesem Jahr ungewöhnlich viele Bären herum, die gierig nach allem suchen, was essbar ist um sich die letzte Fettschicht für den Winter zuzulegen. Nach zweieinhalb Stunden bin, ich außer mit der Sichtung dieses Frosches und ein paar Enten, erfolglos am Eingang zurück, trage meine Froschsichtung in die Liste mit Datum und Ort ein und fahre weiter. Mein Ziel, ein Provincial Park östlich von Cranbrook liegt noch mehr als einhundert Kilometer entfernt und ich fürchte, bis ich dort ankomme ist es dunkel.

Im Vorbeifahren sehe ich nur dreißig Kilometer hinter Creston eine Farm an einem Fluß und ein Schild „Camping“ huscht an mir vorüber. Ich überlege nicht lange, wende mit elegantem Schwung auf der Straße und fahre zurück. Das ist ein guter Platz für die Nacht. Es ist einer der vielen Selfregistered Campsites, auf dem man sich einträgt, sein Geld in einen Umschlag steckt und sich einen Platz sucht. Ich habe kein passendes Bargeld, aber das macht gar nichts, denn überall kann man das Geld einfach an eine e-Mail-Adresse überweisen und genauso mache auch ich das heute. Manchmal ist diese neue Welt so wunderbar unkompliziert wenn nicht… aber lassen wir das.

Die Tagesleistung meiner Reise in den letzten Tagen war keinesfalls rekordverdächtig. Sie lag die letzten drei Tage bei hundert oder knapp unter hundert Kilometern. Wie ein Gummiband, dessen Dehnfähigkeit sich langsam dem Ende nähert scheint mich das Land festzuhalten, doch meine Entscheidung steht fest. Alle früheren Pläne, über den Winter vielleicht doch noch zu bleiben habe ich beiseite geschoben und es sind nicht nur die Medikamente, die ich benötige und die ich hier nicht bekomme, es sind auch noch einige wichtige Dinge, die ich Zuhause zu regeln habe. – Und dann sind es neue Pläne.

Außerdem warten Jill und Wayne in Halifax auf mich und ja, auch Zuhause werde ich erwartet und das ist ein schönes Gefühl. Zeitzone um Zeitzone kehre ich zurück. Also weiter, immer weiter nach Osten.

Heute Nacht schlief ich recht unruhig, wurde immer wieder wach und ich merke, etwas ist anders und während ich nach dem Frühstück in meinen FidiBus klettere und mich wieder auf den Weg mache, weiß ich plötzlich, was anders ist – Ich bin im Heimkehrmodus! Das Gummiband hat seine Spannung verloren. Vor mir liegen die letzten Berge, stolz ragen sie empor. Ihre Gipfel sind über zweitausend Meter hoch. Die letzten Pässe warten auf mich und verlasse ich ich am Abend British Columbia. Ich befinde mich nun in Alberta, der Provinz mit dem billigsten Diesel. Beinahe muss ich mich nun zwingen, meinen Zeitplan einzuhalten um nicht vorzeitig in Halifax anzukommen. Als hätte das Schicksal meinen Zwang gespürt schlug es zu. An einem Rastplatz möchte ich kurz aussteigen, verhakele mich am Zündschlüssel und reiße ihn aus dem Schloss. Voller Schcrecken fürchte ich ihn im Schloss abgebrochen zu haben, doch ich hatte Glück. Allerdings war der Schlüsselhalter mit der Fernsteuerung in seine Einzelteile zerlegt. Nach einiger Suche fand ich alles auf dem Boden verstreut und baute es wieder zusammen. Schlüssel ins Zündschloss, gedreht, FidiBus brummt und verstummt! Verdammt was ist das jetzt wieder. So oft ich es erneut versuchte, sooft wiederholte sich FidiBus Protest. Dann kam die Erleuchtung: Die Wegfahrsperre war nicht deaktiviert und dazu gab es doch dieses kleine Keramikteil mit dem Code. Ich suche den gesamten Boden ab. Nichts zu finden! Also brauche ich den Ersatzschlüssel und… finde auch den nicht. Ich sehe mich schon die Nacht auf dem Rastpatz verbringen, bis ich in meiner Werkstatt in Michelstadt anrufen kann um mir einen Rat zu holen, wie ich diese blöde Wegfahrsperre austricksen kann. Ich weiß, es ist kein Hexenwerk, denn sie unterbricht lediglich die Stromzufuhr zu Dieselpumpe. Eine Idee habe ich noch. Meine Fußmatte besteht aus zwei Lagen und so trenne ich sie und siehe da, zwischen Dreck und Splitt liegt ein kleines, rechtecckiges schwarzes Teil. Sicher kein Splitt. Mit Tape klebe ich es versuchsweise neben das Zündschloss, zünde und FidiBus brummt in gewohnter Manier. Das war’s also. Ich demontiere die Fernsteuerung, finde den Platz, an den dieser Codebaustein gehört und alles ist wieder gut.

Um ein wenig Zeit in Alberta zu verbringen überlege ich mir, noch einmal ein Stück nach Norden, Richtung Calgary zu fahren um dort dem Dino Provincial Park mit seinen vielen Zeugnissen der der Dinosaurier, Knochen, Spuren und Dinosaurier-Eier. Und dann wartet Winnipeg, Toronto und Quebec Stadt auf mich, wo ich mich überall wenigstens zwei Tage aufhalten möchte. Kurz hinter der Grenze zu Alberta und nur ein paar hundert Meter unterhalb des letzten Passes finde ich in einem Recreation Area einen geeigneten Platz für die Nacht. Es wird kalt und erstmals werden Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes erwartet. Schon in Sparewood fielen mir die frisch zusammengeschobenen Schneehaufen auf und automatisch suche ich nach dem Filmteam. Doch dieses Mal ist es keine Illusion, keine inszenierte Winterweihnachtsschow. Es hat geschneit. Noch immer hängen schwarze Wolken in den Bergen Es wird Zeit die Sommeklamotten in der Kleidungskiste zu verstauen und stattdessen die Wintersachen in den Schrank zu legen.

Morgens habe ich Eis auf den Scheiben und bis die Heizung programmgemäß um sieben Uhr startet bleibe ich lieber in meinem warmen Schlafsack.

Bingo

Ich setze meine Fahrt durch das wunderschöne Tal fort, bis es zu regnen beginnt. Schnell kaufe ich noch ein wenig Obst, dann suche ich mir einen Platz für die Nacht und finde ihnen abseits des Highways an einer Forststraße, von wo aus ich einen phantastischen Blick auf die Berge habe, wenn es mal gerade nicht regnet. Der Regen verwandelt sich erneut zu einem Gewitter, aber das kenne ich zur Genüge. Es hindert mich schon lange nicht mehr daran in einen tiefen und traumlosen Schlaf zu verfallen.

16.September 2022. Mein Platz für die Nacht

Am nächsten Tag lockt mich ein Campingplatz in Grand Forks. Warme Dusche, Waschmaschine, Swimming Pool, nette Menschen alles für dreiundzwanzig Dollar, das hört sich gut an, zumal in der Nähe ein wunderschöner Badesee zum Bade lädt.

Keine guten Zeichen, aber voller Dramatik
Spotted Lake, auf dem Weg nach Grand Fork

Wer auch immer das mit den dreiundzwanzig Dollar beschrieben hat, er liegt falsch. Ein wenig trifft ich der Schlag. Es kostet mich glatt das Doppelte. Egal, jetzt bin ich hier, jetzt bleib ich da. Es wird eh schon dunkel. Wenns denn schon so teuer ist, schließe ich mich wenigstens ans Stromnetz an und lasse meinen Kühlschrank brummen ohne auf den Batteriestand achten zu müssen. „Hay, seventhirty ist Bingotime“ wird mir zugerufen. Da ist es also das amerikanischste aller amerikanischen Rentnervergnügen: BINGO! Ich zögere, mache mir ein paar Käsepfannkuchen und schlendere dann hinüber zum… BINGO.

Drei Dollar investiere ich für drei Karten und verliere immer ganz knapp. Ein Ehepaar versieht mich am Ende mit seinem gesamten Gewinn, zwei Tüten Chips! Und dann komme ich ins Gespräch mit den Eigentümern des Campsites. Er war Kapitän auf einem Frachter bis er mit Ende dreißig merkte, dass dieser Job sich nicht mit Familie verträgt. Also hängte er seinen Beruf an den Nagel, kaufte den Campingplatz von dessen Vorbesitzer und genießt mit seiner Frau nun ein Leben, dass ihnen genügend Raum lässt, ihre Träume zu verwirklichen. Es sind zwei ausgesprochen nette Menschen und es macht Spaß mit ihnen Small Talk zu machen und mal so richtig herzlich zu lachen.

An Putin, Deutschland und der Ukraine und meiner Einstellung dazu komme ich auch hier nicht vorbei. Man nimmt hier doch sehr viel Anteil am Weltgeschehen. Als ich dies den beiden sage lachen sie und meinen „That’s the differnce, we are not Americans“.

Ein gelber Engel ohne Flügel

Meine Tour setze ich auf kleinen und abgelegen Straßen durch die weniger besuchten Gebiete des Okanagan Valleys fort. Es ist die Obstwiese Kanadas. Wein, Pfirsich und Kirschbäume und unendliche Apfelplantagen säumen meinen Weg, der mich zunächst nach Penticton, einem hübschen Badeort am Okanagan Lake bringt. Das Museum, das in einem alten historischen Raddampfer untergebracht ist, ist ganz hübsch und ich verbringe dort eine gute Stunde.

SS Sikamus in Penticton

Zurück am FidiBus werde ich mal wieder auf Deutsch begrüßt. Ein Deutscher, der halb in Deutschland und halb in Kanada lebt. Während ich mich mit ihm unterhalte, fällt mir auf, dass sein hinterer Reifen zu wenig Luft hat. Bei genauerer Untersuchung ist die Ursache schnell gefunden. Eine Schraube hat sich durch den Reifen gebort. Ruck Zuck habe ich mein Flickzeug zur Stelle. Das Rad war schnell demontiert. Ich drehe die Schraube raus, lasse die restliche Luft aus dem Reifen, bohre das Loch ein wenig aus und fädle den Flickstreifen in die spezielle Ahle ein. Mit einem kräftigen Stoß treibe ich den, mit Vulkansierkleber bestrichenen Gummistreifen in das Loch, eine kräftiger Zug mit einer Drehung und der Streifen sitzt fest und dicht verklebt im Loch. Eine Arbeit, für die die Werkstatt hier zwischen achtzig und einhundertzehn Dallar abrechnet. Fünfzehn Minuten und alles war erledigt und der Dank des guten Mannes war mir gewiss. Er meint, in Deutschland könne ich glatt als gelber Engel des ADAC durchgehen.

Später fällt mir auf, dass dies das erste Mal war, dass sich weder er, noch seine Frau vorgestellt haben. Ein Drink wäre wohl zumindest für meine Mühen drin gewesen. Selbst ein gelber Engel ist für eine kleine Aufmerksamkeit dankbar. Bin ich hier auf etwas urdeutsches gestoßen. Ich bin überzeugt davon, dass sich ein Kanadier anders bedankt hätte. Wenigstens mit seinem Namen. Okay, ich zucke die Schultern und steige in meinen FidiBus.

Frühstück bei Carsons

Zunächst geht es bei strömendem Regen auf dem Highway weiter und weiter bergauf und nach einer Weile habe ich bei eintausend und dreihundert Metern das Plateau erreicht. Die Bauarbeiten eines riesigen Dammes ziehen meinen Blick auf sich.

Ein neuer Staudamm an der Highland Copper Mine

Einigen Kilometern folge ich den ausgedehnten Arbeiten, die an dem bereits aufgestauten Teil des zukünftigen Stausees enden, der wiederum an seinen Ufern deutlich Zeichen einer unvorstellbar großen Mine aufweist. Am Straßenrand steht eine Infotafel und nun wird mir klar. Ich stehe an einer der größten Kupferminen der Welt und der größten Kanadas. Der Regen versperrt mir leider die Sicht für ein gutes Foto doch der Eindruck, den diese Anlage hinterlässt ist auch so noch gigantisch.

Rote Blüte an einem Sodasee

Am späten Nachmittag habe ich mein Tagesziel erreicht. In einem Vorort Vernons habe ich einen Platz direkt am See gefunden. Klein, aber mit einer tollen Sicht und das bei nun wieder herrlichstem Sonnenschein. Kaum habe ich mich eingerichtet, als neben mir ein Lexus anhält, die Scheibe wird heruntergekurbelt und mit einem „Guten Tag“ werde ich begrüßt. Deutsche? Nein, echte Kanadier aber wie so oft mit deutschen Wurzel. Wayne und Denise so stellen sich die beiden vor und nachdem wir uns eine Weile durch die Scheibe unterhalten haben, bittet Wayne mich, das Gespräch bei ihnen zuhause fortzusetzen. ‚frag ihn, ober nicht bei uns übernachten will‘ höre ich seine Frau ihm zuflüstern und brav trägt er die Frage an mich weiter. Ich nehme gerne an und eine viertel Stunde später sitze ich auf der Terrasse eine stattlichen Bungalows. Wayne wirft den Grill an und Denise öffnet eine Flasche Wein. Die Burger sind einfach Spitze. Wir unterhalten uns über Deutschland und das Verhältnis zur Ukraine. Sie wollen wissen, wie sich das Leben in Deutschland seither verändert hat und ich bin froh, die Entwicklung doch recht engmaschig verfolgt zu haben. Besonders die Sorgen um die exponential gestiegenen Energiepreise interessieren sie und welche Maßnahmen die Regierung zur Kompensation getroffen hat interessiert sie. Denise hat ukrainische Wurzeln und sie verfolgt mit großer Spannung die Entwicklung der vergangenen Tage. Der unerwartete Erfolg jedoch weckt nicht nur frohe Erfühle. Der Erfolg bei der Rückeroberung großer Teile des besetzten ukrainischen Gebietes weckt auch die Befürchtung eines Verzweiflungsschlages Putins mit seinen taktischen Waffen oder gar mit einer Sabotage des Kernkraftwerkes Saporischschja. Vor diesem Hintergrund halten sie die Zurückhaltung des Kanzlers und der Regierung Deutschlands für nachvollziehbar und klug.

Wie immer, wenn es um die Politik geht, kommt das Gespräch auch wieder auf den Mann mit den gelben Haaren, dessen Namen ich einfach nicht mehr aussprechen möchte.

Es wird ein langer Abend in dessen Verlauf ich erfahre, dass Wayne für die Kanadische Einwanderungsbehörde gearbeitet hat und Denise eine eigene Arbeitsvermittlungsagentur hat.In dieser Funktion bleibt es nicht aus, dass sie sich in besonderem Maße ihren Landsleuten Widmet, die als Flüchtlinge in ihrem Land Aufnahme gefunden haben. Irgendwann sind wir dann bettreif. Ich genieße die unerwartete heiße Dusche und ein kuscheliges Bett.

Die Sonne seint, als ich aufwache und es bietet sich mir durch die bodentiefen Fenster ein unglaublicher Blick auf den See. Noch einmal Duschen und da passiert es. Beim abtrocknen stoße ich eine Vase mit Goldrand und gefüllt mit Muscheln von Rand des Waschtisches. Tausend Scherben liegen um mich herum. Alle Beteuerungen meiner Gastgeber, dies sei doch nicht schlimm zum Trotz bin ich total unglücklich. Wer weiß, welche Erinnerungen sich mit einem Streich in einen Scherbenhaufen verwandelt haben.

Als ich in der Küche eintreffe riecht es bereits verlockend nach gebackenem Speck und Toast. Eine Tasse Kaffee und zwei Spiegeleier machen des Morgen perfekt. Wayne zeigt mir seine Sammlung mit Erinnerungsstücken an seine Eltern und dann den Stolz seiner Garage. Ein Ford Mustang, eine Harley Davidson und die Bilder seiner Kinder. Denise ist in ihrem Büro und hat eine Videokonferenz mit ihrer Agentur in Edmonten.

Es wird Zeit für mich zu gehen und wir versprechen uns, den Kontakt zu halten und uns eines Tages in Europa, vielleicht schon im Februar in Andalusien wiederzusehen.

Meine Gastgeber, Wayne und Denise

Wo ist Lytton?

Ich kenne Lytton von früher und vielleicht finde ich den alten Campingplatz wieder. Dort angekommen trifft mich der Schlag. Hinter dem Schild ‚Welcome in Lytton‘ war nichts als Leere. Ich blickte auf das was einmal eine Stadt war und sehe außer Grundmauern nichts. Da kommt auch schon eine uniformierte Frau entgegen. Wie ich ihren Abzeichen entnehme arbeitet sie für die Security. ‚Sie dürfen hier nicht anhalten, nur hindurchfahren. Auf meine Frage, was mit dem Ort geschehen sei, reagiert sie mit Erstaunen. Die Nachrichten seien doch durch die ganze Welt gegangen. Dieser Ort brannte nach dem großen Waldbrand im Jahr 2021 vollständig nieder. Nicht ein einziges Haus blieb verschont und für zwei Bürger kam jede Hilfe zu spät. Es war ein Lauffeuer und alles ging so schnell, dass die Menschen nicht einmal die Zeit hatten, ihre Papiere oder die wichtigsten Habseligkeiten zusammenzusammeln. Die Ruinen wurden niedergerissen und und der Ort steht unter Bewachung um Plünderungen möglicher Eigentümer zu verhindern. Deshalb darf auch ich nicht bleiben. Es ist ein wenig gruselig und gern verlasse ich diesen Ort. Am Abend finde ich an einem See, den Barker Lake, auf dem Kamloops Plateau einen schönen Schlafplatz. Ein Ranger schaut vorbei, kassiert für die Nacht sieben Dollar fünfzig und weist mich darauf hin, dass heute Nacht starke Gewitter zu erwarten sind. Er sollte Recht behalten. Grelle Blitze zucken vom Himmel, begleitet vom bedrohlichen Grollen des Donners. Es gibt um mich herum keinen Wald, also auch keine Gefahr von einem Waldbrand geweckt zu werden und so schlafe ich bald tief und fest und das Gewitter zieht vorüber. Es ist ihm nicht gelungen, mich aus meiner Ruhe zu bringen.

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