Auf meinem Weg nach Halifax ahne ich, was der Hurrikan Fiona angerichtet hat. Überall liegen Bäume, große Waldflächen wurden dem Erdboden gleich gemacht. Vereinzelt sehe ich zerstörte Homemobiles und mobile homes zwischen den Baumruinen. Strom und Telefonkabel liegen auf dem Boden, Dächer wurden notdürftig mit Planen abgedeckt. Was ich sehe ist nur ein Bruchteil dessen, was sich auf Prince Edward Island oder an den Küsten von Neufundland abgespielt hat. Ich bin nicht mehr enttäuscht davon Prince Edward Island nicht besucht zu haben. Der Anblick von Katastrophen ist ungeeignet als touristisches Ereignis herzuhalten und mit der Katastrophe im Aartal habe ich genug Leid gesehen und solange ich nicht helfen kann wäre ich fehl am Platze.
Mich streng daran haltend, das Speed Limit nicht zu unterschreiten, fahre ich bei Truro auf den Highway #102. Noch einmal möchte ich den Atlantik sehen, einen weiteren Kreis bei Peggys Cove schließen.
Wie vor sechs Monaten versprochen rufe ich Stefan und Tanja an um ihnen mitzuteilen, dass ich gegen drei Uhr am Nachmittag in Peggys Cove sein werde. Sie lassen es offen, ob sie kommen können, da sie noch unterwegs sind und nicht wissen, wann sie zurück kommen. Schon vor einigen Tagen kündigte ich meine Ankunft bei Jill und Wayne an, die mich am Abend erwarten. Zwischenzeitlich bekam ich die Nachricht, dass ich meinen FidiBus nun doch erst am Montag um 8 Uhr zum Hafen bringen muss, nachdem man mir zuvor schrieb, FidiBus müsse gewaschen und gepackt bereits bis Freitag Abend im Hafen abgeliefert werden. Zur Not könne ich die Wäsche und das Packen noch im Hafen erledigen. Ich bin froh diese Zeit gewonnen zu haben. Jill hat mir angeboten ihre große Garage und Werkstatt zu nutzen um den Bus gründlich zu reinigen und sorgfältig zu packen.
Dieses mal fahre ich auf der 333 in südwestlicher Richtung wo tief ins Land hineireichende Ausläufer des Atlantiks eine pittoreske Landschaft aus Inseln, Fels- und Waldküste bilden. Malerisch zeigt sich das kleine Fischerdorf West Dover mit seinen bunten Häusern, dem Hafen und dem Geruch nach Fisch, Tang und Meer. Pünktlich um drei Uhr stehe ich auf dem großen Parkplatz von Peggy’s Cove. Es ist noch warm, die Sonne scheint und ich drehe eine Runde durch das Dorf. Heute sehe ich ein gänzlich anderes Peggy’s Cove. Durch das vor sechs Monaten noch beinahe menschenleere Dorf schieben sich nun Scharen von Touristen, herbeigekarrt von Bussen, die sie direkt von den Kreuzfahrtschiffen an die Touristenattraktionen transportieren, wo sie dann den vorbestellten Kaffee und Kuchen verzehren, die obligatorischen Fotos und Selfies mit der stets gleichen Geste der zu einem „V“ gespreizten Finger den Nachweis liefern dagewesen zu sein.
Nach einem weiteren Telefonat mit Stephan und der Gewissheit, dass wir unser Treffen auf einen Zeitpunkt nach Abgabe meines FidiBus verschieben, verlasse ich diesen Ort und bin froh ihn in seiner friedlichen Ruhe erlebt zu haben, im Sturm und im dichten Nebel. Ich denke, kein Sturm kann an solch einem Ort so desillusionierend sein, wie der Ansturm von Menschenmassen.
Die Wiedersehensfreude bei Jill und Wayne ist überwältigend. Wie verabredet treffe ich am Abend um sechs Uhr an ihrem Haus ein. Aber erst möchte ich zur Begrüßung noch einen Whisky für Wayne kaufen. Jill ist keine Freundin alkoholischer Getränke, für sie werde ich mir etwas anderes ausdenken. Traf ich zuvor in jedem noch so kleinen Kuhdorf einen Liquer Shop, so fand ich auf dem Weg von Halifax nach Coal Harbour nicht einen einzigen. Erst nach mehrfacher Nachfrage in Tankstellen und Supermärkten wurde mir einer genannt, der nicht allzu weit vom Weg entfernt war. Trotz der langen Suche schaffe ich es dennoch zur angekündigten Zeit vor dem Haus meiner Freunde vorzufahren. Zunächst treffe ich nur Jill und wir fallen uns in die Arme wie alte Freunde, die sich seit Jahren zum ersten Mal wiedersehen. Es fühlt sich ein wenig so an wie eine Heimkehr. So vertraut, so herzlich und so selbstverständlich. Alles auf der Basis eines einzigen Gesprächs im Flugzeug von Toronto nach Halifax. Wir wollten ursprünglich Essen gehen. Ich hatte es versprochen und freue mich darauf. Wayne hat jedoch noch zu arbeiten und kann nicht vor sieben Uhr zuhause sein. Jills Vorschlag, beim Thailänder Essen zu holen und zuhause zu essen, erscheint mir unter diesen Umständen die beste Option. Dann können wir essen, wenn Wayne seinen Betonlastwagen geleert und gereinigt hatte. Meine Einladung zum Resstaurantbesuch verschiebe ich auf den nächsten Tag und bitte Jill auch ihre Eltern einzubeziehen. Kurz nach sieben kommt auch Wayne von der Arbeit und Wayne lässt es sich nicht nehmen den Whisky zu entkorken und auf das Wiedersehen anzustoßen. Wir tun das bis nur noch die obligatorischen zwei Finger hoch in der Flasche zurückbleiben. Später schauen auch Ainslie und Sharon, Jills Stiefvater und ihre Mutter vorbei um mich zu begrüßen und selbstverständlich möchte ich sie auch morgen dabei haben, wenn wir alle in einem netten Lokal zu Abend essen werden. Da Wayne und Jill im Haus gerade am Umbauen und Umräumen sind, erscheint es mir am einfachsten in meinem Bus zu übernachten, so gibt es nach dem letzten Mal eben noch ein letztes Mal.
Am nächsten Tag ist großes Saubermachen angesagt. Als erstes wird einmal das gesamte Gepäck ausgeräumt, die Kisten die auf meinem Dach standen mussten von einer dicken Schicht Staub und einer ebenso dicken Schicht Insekten befreit werden. Der Innenraum wurde von mir sauber ausgefegt und dann wurde das gesamte Gepäck wieder seefest verstaut und verzurrt. Doch zuvor schaute ich noch einmal nach der reparierten Bremse. Sie war noch immer in gutem Zustand und saß fest im Bremssattelhalter. Die Beläge sind ebenfalls in einem akzeptablen Zustand und so sind auch später in Deutschland keine Probleme zu erwarten. Manches Provisorium hält eben ein Leben lang. Nun geht es an die Reinigung des Außenkleides und an dieser Stelle übernahm Wayne die Führung. Zwei Stunden später steht ein neuer FidiBus vor mir. Er glänzte rundherum und selbst die Türfalze und all die verdeckten Bereiche sind vom Schmutz befreit. Völlig verliebt in meinen glänzenden FidiBus kann ich meinen Blick gar nicht mehr von ihm abwenden.
Am Abend steigen wir Jills Auto und fahren in ein Lokal in Coal Harbour, das uns für diesen Anlass am ehesten geeignet schien. Es ist ein schöner Abend. Es gibt so viel zu erzählen, nicht nur von meiner Reise. Auch Ainsley und Sharon erinnerten sich an ihre Reisen mit Rucksack und wenig Geld durch Europa und dann beschließen sie spätestens in zwei Jahren gemeinsam nach Paris und Michelstadt zu reisen. Gemeinsam heiß auch, dass sie es toll fänden, wenn ich sie als Reiseführer auf Ihrer Tour begleiten könnte. Ich denke, das ist eine schöne Idee. Nach dem Esse fahren wir Nachhause, nehmen noch einen Drink und gehen dann ins Bett. Das Wayne mich am Samstag zum Flughafen bringt gilt als ausgemachte Sache, doch am Samstag Vormittag möchten sie mit mir noch einmal mit mir zum Brunch gehen und mich danach an Aynslie und Sharon übergeben, die ebenfalls noch einen letzten Programmpunkt für mich vorgesehen haben. Heute werde ich im Haus schlafen da mein FidiBus bis unter das Dach bepackt ist. Wieder geht einer dieser Tage zuende, der es mir nicht leichter machen wird in den Flieger nach Frankfurt zu steigen. Doch noch bleiben mir bis dahin noch ein paar Tage. Gute Nacht!
Schreibe einen Kommentar