Auch Chicken hat seine Existenz dem Goldrausch zu verdanken. Und auch heute noch wird dort das edle Metall geschürft. Direkt am Top of The World Highway gelegen, kann man Chicken nicht verpassen. Ein Besuch in der sehr außergewöhnlichen Bar sollte kein Reisender versäumen. Chicken besteht im Großen und Ganzen aus einem recht großen Souvenierladen, einem Flugplatz, einigen Wohncontainern und in Downtown drei Häusern aus der Zeit des Goldrausches. Das sind ein weiterer Souvenierladen, deutlich charmanter als der erstgenannte, der Bar und der Bäckerei, gleichzeitig Café und Restaurant. Auf einem großen Platz steht eine Dredge, jene riesige Maschine mit der tonnenweise der BBoden umgegraben wurde um das Gold herauszuwaschen, und anderes Gerät, das vom Fluss hierher verlegt wurde. Durch iOverlander weiß ich, dass ich hier, hinter der Bar und dem Café kostenlos übernachtet werden darf, wenn man sich zuvor an der Bar anmeldet. Bei der Gelegenheit bestelle ich mir einen Ceasar und habe ein nettes Gespräch mit einem schweizer Paar, das ebenfalls mit ihrem VW T3 auf dem Wege nach Fairbanks sind. Natürlich wird über die Fahrzeuge gefachsimpelt. Doch am Ende muss ich mir einfach eingestehen, dass ich das ultimative, alternativlose und sparsamste Auto aller Zeiten chauffiere.
Der restliche Weg zum und auf dem Alaska Highway ist einfach berauschend. In der Ferne sind bereits die schneebedeckten Gipfel des St. Elias Gebirges zu sehen. Hier sind die größten, nichtpolaren Eisfelder der Welt. Doch wie lange noch? Der Klimawandel macht sich hier auf dramatische Weise bemerkbar. Experten gehen davon aus, dass die letzten Gletscher bis 2030 geschmolzen sind. Es ist mir eine schreckliche Vorstellung, dass diese majestätischen Bergriesen, mit ihren stolzen mehr als viertausend und fünftausend Metern Höhe schon so bald nichts anderes mehr sind als Geröll- und Steinwüsten. Immer weiter nähere ich mich den Bergen und kann mich kaum von ihrem Anblick losreißen. Kurz vor Haines Junction sehe ich ein großes Schild: „Flightseeing“. Ich zögere nicht, biege ab zum Flughafen und bin fest entschlossen, mir einen Flug über die Gletscher zu leisten. Zweihundert Dollar sind viel Geld für mich, aber es wird Möglichkeiten geben, wie ich das wieder hereinhole. Leider kann man mir heute das Vergnügen nicht bieten, es ist kein Pilot am Platz. Halb traurig, halb erleichtert darüber, zweihundert Dollar gespart zu haben, setze ich meine Fahrt nach Haines Junction fort, leiste mir ein Essen beim Chinesen und treffe in der Bar einen Schweizer und seine kanadische Frau, die nun seit vierzig Jahren hier leben . Marliese arbeitet, wie achzig Prozent der Kanadier in Yukon, für das Government, im Finanzsektor. Martin war Flugzeugmechaniker bei Swiss Air und dann, in Kanada pachtete Martin eine Tankstelle und arbeitete gelegentlich als Mechaniker. Heute arbeitet er nicht mehr.
Zusammen mit Jill versuchten wir Martin zu überzeugen, dass Schwule und Lesben in unsere Gesellschaft gehören wie Katholiken und Evangelische, wie Buddhisten und Moslems. Er würde sie am liebsten los werden. Was immer das auch bedeutet. Er äußert sich dazu nicht näher Überzeugen können wir ihn nicht, aber zumindest können wir ihm zeigen, dass er mit seiner Meinung auf erheblichen Widerstand stößt
Martin treffe ich am nächsten Morgen in der Village Bakery und ich stelle ihm die Frage, die ich zwischenzeitlich jedem stelle. „Was macht für dich das Leben in Kanada aus?“. Und wieder ist die Antwort: Das freie Leben, die Möglichkeit das auszuüben, was du kannst. Niemand fragt danach, ob dein Beruf erlernt wurde oder ob du „selfmade“ bist. Aber es sei ein Unterschied in Yukon zu leben oder in British Columbia. Die Menschen seien dort anders. Es ist so. In keiner anderen Provinz habe ich den Stolz, mit dem man von dem „freien Yukoner“ spricht deutlicher erlebt als hier. Es scheint, als sei hier noch der alte Pioniergeist lebendig geblieben. Frei heißt hier allerdings auch, weiter entfernt von Gesetz und Vorschriften. „Wir Yukoner leben von, mit und nach der Natur und dem Verstand. In Ottawa wissen die ja gear nicht, was hier geschieht“. Ein wenig scheint es mir, als seien es die „alten Yukoner“ die das verklärte Bild vergangener Zeiten vor Augen haben. Es sind aber auch die jüngeren Männer und Frauen an unserem Tisch, die von der Freiheit erzählen im „Busch“ eine Hütte zu bauen, zu jagen, zu fischen, im Winter lange Skidoo-Touren mit Freunden zu machen oder mit Schneeschuhen an den Füßen durch unberührten Schnee zu wandern.
Noch einmal übernachte ich am Fluss, nahe Haines Junction und dann verlasse ich ein wenig wehmütig die Berge. Mir wird bewusst, dass ich nun bereits auf der Rückreise bin, für die ich mir reichlich Zeit nehmen werde.
Am Abend erreiche ich Whitehorse, beziehe wieder meinen Platz am Schwatka Lake.
Mein Programm für morgen steht fest. Ich bringe das Ersatzrad zurück, hole die Bremsbeläge bei Jo ab, baue sie ein und checke dabei den Zustand der Reparatur des Bremssattels und hole meine Videokamera bei Jill ab, und dann geht es weiter Richtung Süden.
Und wieder kommt es anders.
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