Die vergangene Nacht verbrachte ich nicht weit von Toronto entfernt auf einem Truckstopp. Es war noch nicht dunkel und nutzte hier die Zeit im Restaurant um die Bilder von meinen Fotos auf den Server zu laden und für die Gallerie meines Blogs aufzubereiten. Es ist ein zeitaufwändiges Verfahren und als ich endlich damit fertig bin ist es draußen dunkel und hier im Restaurant werden die Stühle auf die Tische gestellt. Es wird nun gänzlich ungemütlich und ich ziehe es vor, in meinen FidiBus zurückzukehren. Hinter mir parken einige Trucks und ich ahne, dass sie mir die Nacht verderben werden. Nicht nur, dass die Generatoren der Kühlaggregate ohne Unterlass brummen, sondern auch die Motoren der schweren Zugmaschinen bringen mich um meinen Schlaf. Eine Weile halte ich mir den Lärm mit meinen Kopfhörern vom Leibe. Ohne Ton schalte ich die die elektronische Lärmunterdrückung ein und schlagartig habe ich Ruhe. Doch mit den sperrigen Dingern auf dem Kopf zu schlafen ist auch nicht so einfach und irgendwann muss ich mich zwischen Lärm und Unbequemlichkeit entscheiden und ich entscheide mich für den Lärm. Der erste zarte Lichtschein kündet von dem neuen Tag. ich mache mich fertig für die nächste Strecke, die von dem autobahnmäßig ausgebauten Highway abweicht und über schmale Nebenstrecken, durch abwechslungsreichen Wälderund Sumpfgebiete nach Osten führt. So langsam habe ich mich an die strahlenden Herbstfarben gewöhnt. Meine Fotostopps werden nun weniger aber auch heute schaffe ich keine zweihundert Kilometer. Am späten Nachmittag komme ich in Flesherton an, einem kleinen Städtchen, hinter dessen Bibliothek zwischen überdachtem Marktplatz und einer großen Wiese ein geeigneter Platz zum Übernachten sein soll. Nun, so komfortabel wie beschrieben ist er nicht und auch das WLan ist nur erreichbar, wenn mann unmittelbar vor der Bibliothek steht. Aber ich bin ohnehin nicht in der Laune meinen Blog zu aktualisieren oder mir Informationen aus der Welt anzuschauen. Obwohl ein leichter Nieselregen eingesetzt hat, möchte ich mir noch ein wenig die Füße vertreten. Beim letzten Einkauf vergaß ich die Schlagsahne für mein Abendessen und so mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Der Regen beginnt einen spiegelnden Film über die Straße zu legen und die einsetzende Dämmerung legt einen feuchtgrauen Schleier über die Häuser. Nur wenige Minuten und es fühlt sich so an, als als würde der Regen direkt durch meine Jacke und mein Hemd auf die Haut treffen. Es ist kalt.

Hauptstraße von Flasherton

Der kleine Laden ist ist einer wie man ihn hier in Kanada noch häufig trifft. Ein General Store, wie ich ihn auch bei uns aus meiner Kindheit noch kenne. Neben Lebensmitteln findet man Angelruten, Werkzeug, Kettensägen, Nähzeug und das Wichtigste, was man in einem Haushalt benötigt.

Kolonialwarenladen das kulturelle Zentrum in Flasherton

Die Frau hinter der Theke ist jung, eigentlich ist es wohl eher ein Mädchen. Ich schätze sie zwischen vierzehn und sechzehn Jahre. Als sie meinem suchenden Blick folgt, fragt sie mich ob ich klar komme oder ob sie mir helfen könne. Ich benötige Schlagsahne erkläre ich ihr und sofort kommt sie hinter ihrer Theke hervor, stellt sich mir als Cat oder Kat oder was auch immer sich hinter dieser Kurzform verbirg vor und geht mit mir an ein Kühlregal. Wofür ich die Sahne benötigte, denn es gibt ja verschiedene Sorten, gesüßt, fett, halbfett mager und vegan „I’m gona cook Sahnegeschnetzeltes und Spätzle“. „What?“ „Sahnegeschnetzeltes und Spätzle“. ‚Was ist das?‘ möchte sie wissen und ich erkläre es ihr. Wo ich herkäme möchte sie nun von mir wissen und als ich ihr erkläre dass ich aus Deutschland komme folgt die Frage ‚Ist das ein typisch deutsches Essen?‘ Irgendwelche Angehörigen ihres Vaters seien auch aus Deutschland aber sie kenne sich nicht aus mit deutschem Essen. Und dann erzählt sie mir, dass sie auch einmal nach Deutschland reisen möchte, da gäbe es doch diese schönen alten Häuser und Kuckuksuhren. Sie hätte auch gehört, dass dass man in Deutschland „Judelsongs“ hätte. Ich begreife nicht, was das sein sollte und so versucht sie es mir vorzusingen, wobei sie eine recht undefinierte Tonfolge mit den Rufen „Jahoodle, Jahoodle, Jahoodle begleitet. Da bgreife ich, dass sie „Jodeln“ meint. Also überrasche ich sie mit einem anderen volkstümlichen Kunststück, mache ihr vor, was ein Schuhplattler ist und sie lacht sich schlapp, als ich meinen Vaithstanz mit einem Juchzer beende. Ein junger Mann mit Rauschebart tritt durch die Tür und ich sehe ihm an, dass er nicht weiß, was er davon halten soll. Wir beenden unsere Einführungslektion in grundlegendes deutsches Kulturgut und ich komme auch nicht mehr dazu ihr zu erklären, dass dies natürlich nur in einem kleinen Teil Deutschlands praktiziert wird. Cat oder Kat wendet sich sich dem jungen Mann zu. Sie berichtet ihm, dass ich aus Deutschland käme und schon folgen die Fragen, die ich nun schon auswendig kenne. Wobei immer wieder die Erklärung, dass ich mein eigenes Auto aus Deutschland nach Kanada verschifft habe für Erstaunen sorgt. Als ich den Laden verlasse ist es dunkel. Ich entdecke eine jener kleinen Brauereien, die es in beinahe jedem größeren Ort gibt. Mit bester Laune beschließe ich den Abend mit einem Bier zu beenden. Der junge Mann darf meine Bestellung nicht notieren, da er noch keine sechzehn ist und so bringt mir die Mum die Getränkekarte. Den Weg zum FidiBus lege ich im Trockenen zurück. Es war ein verrückter Abend.