Aktualisiert am 2. Juni 2022 (Km 630)

Nach Lunenburg möchte ich zunächst weiterreisen zum Kejimkujik-Nationalpark um zwei Tage später auf Darrens Farm zurückzufahren.Über meine App iOverlander habe ich mir einen Übernachtungsplatz nahe des Nationalparks herausgesucht, der wohl nicht mehr existierte, oder ich habe ihn ganz einfach nicht gefunden. Gut so, wie sich herausstellt, denn ich finde einen viel schöneren Platz als den beschriebenen, direkt am Mercey River. Die Sonne geht unter und wirft ihr rotgoldenes Licht auf das noch zarte Grün der Bäume, das Wasser zieht träge dahin und die Peeper, kleine Frösche, werben um ihre Liebste.

Es ist ein einziger schwirrender Ton, der vom Ufer des Mercey herauf tönt. Als untrügliche Vorboten des Frühlings freut man sich in Kanada jedes Jahr von neuem auf den „Gesang“ der Peeper. Doch auch andere Waldbewohner, weit weniger beliebt, scharen sich um mich, in der Hoffnung auf ein willkommenes Abendessen. Die Blackflies und die Zecken! Während es die Blackflies auf die nicht von Kleidung bedeckten Teile abgesehen haben, versuchen die Zecken ihr Glück unter den Hosenbeinen. Acht Stück sammele ich am Abend von meinen Beinen noch bevor sie an den begehrten Saft meines Blutes gelangten. Meine Lehre daraus ist, dass ich von nun an bei Aufenthalten im Wald und auf Wiesen stets die Hosenbeine dicht um die Beine wickele und in die Strümpfe stopfe. Am Ende steht stets ein ausgiebiger Zeckencheck bei dem ich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen auch immer fündig werde. Für den nächsten Tag ist der Nationalpark eingeplant. Da es wohl nicht der einzige Park ist, den ich besuchen werde, kaufe ich mir ein Jahresticket für alle Nationalparks in Kanada, das mich darüber hinaus dazu berechtigt, in allen Parks für bis zu drei Nächte kostenlos zu übernachten. Ich versuche mein Boot aufzubauen. Um hinaus auf den Fluss zu paddeln. Für den See ist es zu windig. Was sonst in etwa einer halben Stunde gelang wollte mir heute nach drei Stunden nicht gelingen. Irgendwie will das Gestänge sich durch die Spanten nicht an seinen vorgegebenen Platz bringen lassen. Völlig erschöpft von der stundenlangen gebeugten Haltung gebe ich auf. Packe den Sche…. zusammen und verstaue alles auf das Dach meines FidiBus. Ich beschließe, mir am nächsten Tag ein Boot zu leihen. Die Nacht verbringe ich auf einem wunderbaren Stellplatz direkt am See auf dem Campsite des Nationalparks. Mit unseren Campingplätzen sind diese nicht vergleichbar. Mitten im Wald gelegen, sind die einzelnen Parzellen voneinander so weit entfernt, dass man von dem Nachbarn nichts zu sehen bekommt, solange man nicht mit diesen riesigen Expeditionsfahrzeugen oder Wohnmobilen unterwegs ist. Die bekommen stets ihren Platz in speziell dafür ausgelegten Bereichen mit Strom, Wasser und Abwasser. „Full Hookup“. Da freue ich mich über meinen kleinen und anspruchslosen FidiBus. Endlich wieder eine Dusche, die mir die heutigen Zecken vom Körper wäscht. Die Frage ist hier nicht, ob du dir diese kleinen Quälgeister einfängst, sondern nur wie viele. Heute eine!

In der Nacht regnete es mal wieder und einige Tropfen fielen auch mir auf die Stirn. Die Heckklappe war wohl nicht sorgfältig geschlossen.

Der nächste Tag beginnt mit Sonnenschein. Ein blitzeblauer Himmel zieht mich aus meinem warmen Bett in den noch frischen Tag. Ich mache den Bus reisefertig, Bringe mein Makeup in Ordnung und verlasse den Platz nach dem Frühstück. Wie geplant miete ich mir ein Kanu und fahre hinaus auf den Fluss, in der Hoffnung die „Painted Turtle“, eine nur hier vorkommende und vom Aussterben bedrohte Schildkrötenart zu finden. Ich war jedoch erfolglos. Dafür beobachtete ich die rotgefederte Amsel (red featherd blackbird). Seine roten Flügelansätze leuchten weit in dem ansonsten blauen Himmel. Lange Zeit bringe ich damit zu, ihn zu beobachten. Ich habe noch Zeit bis zum Abend und mache eine kleine, zweistündige Wanderung durch den Wald der sterbenden mächtigen Hamlockbäume. Der Klimawandel mit seiner Trockenheit und seiner auch hier ungewöhnlichen Hitze macht diese mächtigen, fünfhundert Jahre alten Riesen empfänglich für den Befall durch den Borkenkäfer. – Sieh da, während ich schreibe hat sich eine Kaninchenfamilie um den FidiBus eingefunden um sich am kühlen Gras zu erfreuen -. Vor dem Verlassen des Nationalparkes rufe ich How an. Es kostet mich zu viel Zeit noch einmal zurückzufahren um Darren, seinen Musikerfreund auf seiner Farm zu besuchen. Von den dreihundert Kilometern, die ich pro Tag plante, schaffe ich zur Zeit gerade einmal achzig. Viel Zeit verstrich bei Gesprächen, Treffen und anderen Aktivitäten. Nun möchte ich weiter. Erst an die Westküste Nova Scotias und dann hinauf nach Neufundland. Mein erstes Nachtlager an der Westküste ist an dem kleinen Fischerhafen von Hampton. Erst sehe ich die Boote gar nicht, doch als ich zu Hafenbecken komme sehe ich sie etwa sechs Meter unter mir, Es ist Ebbe und sie stehen trocken auf dem Grunde des Hafens.

Ganz allein stehen FidiBus und ich wieder da. Direkt am Strand, bei Flut bin ich nur etwa drei Meter von den Wellen entfernt. Im Rücken habe ich den Leuchtturm von Hampton Warf. Reiseromatik pur!

Der nächste Morgen bricht erneut mit strahlender Sonne an. Heute möchte ich zur Scotts Bay mit seinen eindrucksvollen Felsen, dem Cape Splitt, dem westlichsten Zipfel am Eingang zur Masin Bay. Am Mittag kommen wir an. Fidibus und ich beschließen, hier auf dem abseits gelegenen Parkplatz des Nationalparks zu über Nacht zu bleiben. Zu den Klippen von Cape Splitt führt ein langer Weg. Im Gepäck meine Kamera und Videoausrüstung machen den Weg nicht nur lang, sondern auch beschwerlich. Doch es lohnt sich. Am Kap angekommen sehe ich das Schauspiel auf das ich hoffte. Es pfiff ein lärmender Wind um mich herum.

Dreizehenmöven verteidigen kreischend ihre Nistplätze auf dem Plateau und im Felsen und ein tobendes Rauschen drang vom Meer zu mir herauf tosend zog der Gezeitenstrom das Wasser durch die trotzig aus den Wellen herausragenden Klippen und selbst in der Bucht ist zu erkennen, mit welcher Macht das Wasser hinaus ins offene Meer gezogen wird. Dies ist der Ort mit dem größten Tidenhub der Welt. Sechzehn Meter liegen zwischen dem Hochwasser und dem Niedrigwasser, bei Springflut kann gar die zwanzig Metermarke überschritten werden. Hier erlebe ich ein Naturschauspiel ohnegleichen. Nach fünf Stunden Weg bin ich wieder beim FidiBus und werde begrüßt von einem Ehepaar aus Ontario. Lange Gespräche über das Reisen, viele Tipps, Fragen zu Deutschlands Haltung im Ukrainekrieg und Hochachtung vor der vorsichtigen Haltung unseres Kanzlers um ein Übergreifen auf Natoländer zu verhindern.

Hier in Kanada genießt Olaf Scholz eine andere Wertschätzung als in Europa. Man sieht Deutschland als einen Vorposten zu den Ländern der Nato und damit auch seine Verantwortung, eine Eskalation zu vermeiden.

Am Ende verabschieden wir uns und die Frau bringt mir noch ein Päckchen geräucherten Lachs und zwei Liter Wein aus ihrer Kühlbox. Für mein Abendessen. Der Wein, so sagten sie mir, sei ihr eigener. Sie gehörten zu einem der größten Weinproduzenten Kanadas erklärten sie mir so ganz nebenbei.

Die Nacht ist berauschend. Ganz allein stehen wir hier. Im Rücken das Meer und über mir breitet sich der Sternenhimmel aus, wie ich ihn nur in der Wüste gesehen habe. Millionen Sterne leuchten allein in meinem Blickfeld. Ein Blick durch das Fernglas zur Milchstraße lässt weitere Millionen kleiner leuchtender Punkte erkennen. Wir befinden uns mit unserer kleinen und einzigartigen Erde in diesem Wirbel, der durch das Weltall rast. Es ist ein Anblick der mir Demut abverlangt. Nirgendwo in diesem unendlichen Universum haben wir bisher auch nur annähernd ähnliches entdeckt. Die Erde, das Universum, es ist ein Wunder und wir sind Teil davon. Ich kann lange nicht einschlafen. Dieser Blick in den Himmel und auf die Erde beschäftigen meine Gedanken bis in die Dämmerung des Morgens hinein.