Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

Highway #510

Seit einigen Tagen hab ich Labrador verlassen und wir reisen durch den nächsten Bundesstaat, durch Québec. Doch bis hierher war es ein langer Weg.

Gegen sieben Uhr am Morgen weckt mich der Gesang des Vogels, der in meinen Ohren für das ganze große Land Kanada steht. Bewusst habe ich ihn noch nie gesehen, doch sein Rufen ist überall zu hören. Musikalisch würde man das wohl als zwei oder drei aufeinanderfolgende Terzen bezeichnen, am Schluss steht dann oft ein Triller auf dem ersten Ton der ersten Terz.

hite legged blackbird

Ich stehe also auf, setze meinen Kocher in Gang und bereite mir meinen ersten Kaffee. In der Nacht regnete es ein wenig und ich bin froh den Elektoanschluss wasserfest eingepackt zu haben. Um neun möchte ich mich von meinem Gastgeber verabschieden und meinen Müll entsorgen. Auf mein Klopfen hin öffnet sich die Tür und ein sichtlich verschlafener Robert steht in Unterhosen vor mir und wirkt noch recht verschlafen, der Abschied fiel somit einmal kurz aus. Die Fahrt auf dem Trans Labrador Highway (TLH) verlief einmal mehr über weite Strecken durch die borealen Wälder aus Schwarzfichten, Weißfichten, dazwischen immer wieder Birken und Seen, die untereinander durch Bäche und Flüsse verbunden sind, deren braunes Moorwasser sich sicher gut in einem Whiskey machen würde. Ich muss mir bei Gelegenheit unbedingt eine Flasche kaufen. Am Abend komme ich in Goose Bay an. Genau genommen handelt es sich um zwei Siedlungen. Goose Bay, zu der auch der Luftwaffenstützpunkt gehört und Happy Valley, die den älteren Teil der Stadt bildete. An der Straße stehen ein junger Mann und eine Frau, die Setzlinge für Salat, Spinat und für anderes Gemüse verkaufen. ich frage sie nach einer Möglichkeit zu übernachten und sie verweisen mich auf einen Platz am Ufer des Churchill River. Abgelegen vom Treiben der Stadt, sei es dort ruhig und sehr schön. Wir kommen ins Gespäch. Ich interessiere mich für ihre Pflanzen und erfahre, dass seine Frau und er, ein Projekt ins Leben gerufen haben, dass den Menschen der Stadt die Möglichkeit biete, sich unabhängig zu machen von dem teuren und doch dringend benötigtem Gemüse, dass oft den weiten Weg aus Blanc Sablon oder gar aus dem Staat Québec genommen hat. Sie haben eine Gärtnerei eröffnet und versorgen nun die Menschen mit den Setzlingen, wollen dann aber selbst eine Gemüsefarm aufziehen. Ich sehe die Begeisterung in ihren Augen und die Hoffnung, die in diesem Projekt steckt. Tatsächlich kommen während unseres Gesspräches die Menschen und kaufen Salat, Tomaten, Kohl und Möhren, entweder als Setzling oder als Samen. Immer wird die Gelegenheit genutzt zu erzählen und die beiden Landwirte in Spé geben ihren Kunden Anweisungen, wie die Gemüse erfolgreich im Garten angebaut werden können. Von der jungen Frau werde ich auf eine Besonderheit von Goose Bay hingewiesen. Nein nicht, dass hier die Luftwaffe ihr Kältetraining absolviert und auch die Lufthansa trainiert an diesem Ort, da die Landebahn eine Länge hat, die es auch den größten Maschinen erlaubt, hier zu starten und zu landen, sondern dass im Hafen der Tank noch mit Diesel aus dem letzten Jahr gefüllt ist. Aus diesem Vorrat beziehen die Tankstellen ihren Dieselkraftstoff, weshalb er hier noch zu einem Preis von einem Dollar fünfunddreißig Cent zu bekommen ist. Dankbar nehme ich die Information auf und tanke noch einmal alle Tanks voll. Die Nacht ist so ruhig wie versprochen. Geweckt werde ich durch ein Kratzen auf dem Dach meines FidiBus. Vögel, denke ich, doch dann hüpfte etwas vom Dach auf den Picknicktisch, dessen buschiger Schwanz nicht zu einem Vogel passen wollte. Ein Eichhörnchen. Es ließ sich bei seiner Futtersuche nicht im geringsten durch mein Versuche beeindrucken, es in einer fotogenen Haltung in meiner Kamera einzufangen. Die ersten Menschen kommen zum Joggen oder um die Hunde auszuführen. Die üblichen Gespräche und immer wieder beim Abschied „have a safe trip“.

Während ich hier heute, am 18.6., am Internet sitze kommt die Meldung herein, dass nach aufleuchten einer Warnanzeige ein Flieger der Lufthansa heute Nacht eine Sicherheitslandung in Goose Bay machte. – Doch weiter im Geschehen.

Vor meiner Weiterfahrt fahre ich noch einmmal auf den Parkplatz eines Tim Hortons, ein Fast Food Laden, wie es ihn hier in jeder Stadt gibt, und nutze das WiFi um einmal mein Konto zu überprüfen, gehe dann auf die Suche nach einem Aufkleber von Labrador für meinen FidiBus und erfahre beim Anblick selbstgemachter erscheinender Marmeladen von der Verkäuferin, dass dies keine Produkte Labradors sind. Hier in Labrador macht sich niemand die Mühe die Beeren und Früchte zu sammeln um sie für den Verkauf zu verarbeiten. Man habe hier nichts, was wirklich als Produkt Labradors verkaufen könne außer Fisch und Hummer. Um eins habe ich alles erledigt und los geht’s mit dem neuen Ziel, Labrador City und den Churchill Falls. Wieder nichts als Tundra, weite Wälder in denen die Schwarzfichten mit ihren dürren schwarzen und hoch aufragenden Stämmen erst ganz oben einen grünen Puschel haben. Aber nicht alles was schwarz ist, ist auch eine Schwarzfichte. Es gibt große Flächen aus denen nur noch schwarz verkohlte Stämme in den blauen Himmel stechen. Waldbrände haben in der Höhe alles Grün verbrannt. Am Boden aber bildet sich bereits ein dichter Teppich aus Gestrüpp, neuen, jungen Fichten und anderen Bäumen. Sie brauchen das Feuer, damit ihre Samenkapseln gesprengt werden, die ansonsten viele Jahre im Boden verschlossen liegen ohne sich zu öffnen. Es ist immer wieder faszinierend zu erkennen, dass das, was als eine Katastrophe erscheint, die Grundlage neuen Lebens ist. Ein Kreislauf, perfekt abgestimmt auf speziell diese Art des Sterbens um neues Leben zu ermöglichen.

So gegen fünf Uhr erreiche ich das riesige Kraftwerk von Churchill Falls und nutze gleich die Gelegenheit um an der Pforte zu erfragen, ob ein Besuch möglich wäre. Man verweist mich an das Büro von Norcom, dem Betreiber des Kraftwerkes in Churchill Falls, und auch hier gehe ich nicht, ohne dass man mir gute Wünsche und den Tipp für einen schönen Übernachtungsplatz am Ufer des Churchill Rivers mit auf den Weg gibt. Der Platz ist wirklich schön. Eine viertel Stunde vom Highway entfernt, im Wald am Auslauf der Turbinen gelegen bietet er Ruhe, doch nun kommen so langsam, durch die Wärme zum Leben erweckt, die Moskitos und Blackflies ins Spiel.

Ich bin nicht allein, zwei Wohnmobile aus Québec haben diesen Platz ebenfalls entdeckt, denn er ist bei iOverlander gelistet. Wir reden, ich hole zwei Bier aus meinem Kühlschrank und der eine ältere Herr (mein Alter) berichtet mir aus seinem Leben als Inspekteur der Elektroinfrastruktur bei der Bahn. Ich erfahre Neues, nämlich, dass man deshalb oft zwei bis vier Leitungen an einem Strang in geringem Abstand als Oberleitung verwendet, um den Strom zwischen den Kabeln durch die so entstehenden elektrischen Felder verlustfreier über lange Strecken zu transporieren. Für diese Info darf er sich daran probieren, meine Drohne zu fliegen und Fotos aus der Luft von sich, seinen Freunden und den Fahrzeugen zu machen. Er ist erstaunt, wie schnell man das Fliegen mit einem solchen Gerät erlernen kann.

Ein Einheimischer kommt mit einem Jetboot. Er hat es nach einer Reparatur getestet, denn am Wochenende möchte er mit Freunden sechzig Kilometer flussaufwärts fahren, zu seiner Hütte und dort fischen. Der Fisch hier sei nicht zu empfehlen. zu viel Quecksilber ist im Fleisch. Darauf weist auch ein Schild hin, das ich später an einem anderen Flussabschnitt entdecke. Ob das mit dem Kraftwerk im Zusammenhang stünde frage ich ihn. Ja, irgendwie schon, aber so genau kann oder möchte er auf dieses Thema nicht eingehen. Auch er ist Inspekteur, aber er ist zuständig für die Dämme, die den Stausee in seinem Bett halten. mehr als sechshundert Kilometer werden täglich kontrolliert. Dies geschieht mit dem Hubschrauber aus der Luft und teils durch Ablaufen bestimmter Abschnitte. Es sind keine zusammenhängenden Deiche, sondern sie sind über ein Gebiet verteil, so groß wie die Ostsee. Ich bin versucht, ihn zu fragen, ob es möglich sei, ihn auf einem Kontrollflug zu begleiten, verwerfe den Gedanken aber schnell wieder. Das war vielleicht ein Fehler.

Am nächsten Tag fahre ich in die Stadt nach Churchill Falls. Eine Stadt aus der Retorte. Sie entstand in den sechziger Jahren, als der Kraftwerksbau begann. Ein Haus wie das andere, Es gibt wohl nur zwei Haustypen, nur ganz außerhalb, am Stadtrand auf einem kleinen Hügel stehen zwei drei individuell gebaute Häuser, die hervorstechen. Alle 8000 Einwohner sind irgendwie im Dienste des Kraftwerks. Es gibt eine Schule, ein Hotel, ein Schwimmbad, Sporthalle, Kino Bar und Supermarkt, alles in einem großen, schmucklosen Gebäude untergebracht. Bis auf die Schule und das Hotel hat es kaum Fenster, alles ist nur zweckmäßig und es macht auf mich einen bedrückenden und unwirklichen Eindruck. Wie eine Siedlung auf einem fremden Planeten. Im Büro der City Hall erklärt man mir, dass es zur Zeit absolut unmöglich sei, das Kraftwerk zu besuchen. Noch immer verbieten die strengen Coronaregeln des Konzerns den Zutritt zu den Anlagen. Außerdem habe man kein Personal mehr um die Führungen durchzuführen, ohne Führung kein Zutritt und Führer stehen erst wieder ab dem sechzehnten Juli zur Verfügung. Schade, aber nicht zu ändern. Auch hier der Hinweis auf billigen Diesel aus Vorjahresbeständen, auch hier wieder tanke ich randvoll bevor ich mich entschließe nach Labrador City weiterzureisen. Unterwegs gibt es die Gelegenheit zu den Wasserfällen zu gelangen, die übrigens nicht die Churchill Falls sind, sondern die Hamilton Falls. Durch das Aufstauen des Wassers des Churchill River sind diese jedoch eines großen Teils ihrer Wassermassen beraubt worden und schaut man in das Bett dieses ehemalig en gewaltigen Flusses, dann bekommt man schnell einen Eindruck davon, welche Kräfte hier den Fels geformt haben mögen. Da die letzten Tage mir wenig Bewegung verschaftt hatten, dehne ich meine Wandertour über die beschriebene Tour zu den Wasserfällen hinaus aus und kehre nach zweieinhalb Stunden zum Bus zurück, während derer ich laut singend alles herunterträllerte, was mir so einfiel. Ich musste mich leider oft wiederholen, mein Repertoir erweist sich für lange Spaziergänge in den bärigen Wäldern Kanadas als deutlich ungenügend. Den Bären war’s egal. Hin- und weggerissen von den wundersamen Klängen meiner Stimmbänder lauschten sie gebannt und aus einiger Entfernung diesem Naturereignis.

1 Kommentar

  1. Ursula

    Hallo Matthias, wie schneider etwas von Dir zu lesen. Gerne hätte ich auch Deinem holden Gesang gelauscht aber so habe ich dafür den Tönen des Vogels zugehört und bin der Meinung, daß es eher eine Quart war als eine Terz. Wie immer, dem Vogel ist es egal, was wir denken , ersingt einfach und Du merkst, Du bist nicht alleine in dieser Welt.
    Schade, dass Du nicht das Kraftwerk besichtigen konntest. Aber die Begegnungen, die Du immer wieder hast sind ja auch nicht zu verachten. Auf diese Weise erfahren auch wir wie mühsam doch der Alltag dort sein. Imponiert hat mir der Bericht der jungen Leute , die in dieser Gegend sicherlich sehr mühsam sich eine eigene Gemüsefarm errichten wollen. Wünschen wir Ihnen Erfolg .

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