Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

Kenora und der Lake Manitoba

Ausgeruht und entspannt erwache ich am Morgen hinter meinem wenig romantischen dafür aber sicheren Schlafplatz auf dem Gelände des Walmart.Ich verzichte darauf, mir hier noch einen Kaffee zu kochen. Bei Tim Hortens ist er billig, ich nehme noch ein Croissant dazu, das um diese Zeit noch richtig frisch ist. Schnell werfe ich noch einen Blick auf meine Mails, öffne Spiegel online und schließe die Seite sogleich wieder. Ukraine, Kanzlerkritik, russische Atomwaffenträger nach Belaruss und ähnliche pessimistische und unerbauliche Nachrichten sind augenblicklich nicht das, worauf ich Lust habe. Ich glaube, ich bin froh weit entfernt von den Problemen und Sorgen unserer Welt zu sein. Seit meiner Ankunft in Halifax ist meine Nachrichtensucht wie weggeblasen, so ganz anders, als zuhause, wo ich mehrmals am Tag Spiegel-Online aufrief, wichtige Debatten bei Phönix verfolgte und im Hintergrund beinahe den ganzen Tag das Radio mit dem Deutschlandfunk lief. Ich vermisse nichts, sondern ich lebe entspannt in den Tag hinein, lese sporadisch, meist bin ich viel zu müde um noch viele Seiten am Stück zu lesen oder aber ich erlebe den Tag noch einmal in meinen Gedanken, wobei es mir hilft, diesen Blog mit Leben zu füllen.

Um acht Uhr starte ich. Der Himmel ist bedeckt und für den Tag meldete das Radio Regen und vor allen Dingen Wind. In der Gegend von Winnipeg sei auch vereinzelt mit Hitzetornados zu rechnen und es wird davor gewarnt, sich im Freien aufzuhalten. Doch kurz nach meinem Start kommt die Sonne heraus und wäre ich nicht so geizig mit meinem Spritt, so hätte ich schon längst die Klimaanlage eingeschaltet. Es wird unerträglich heiß. Die Sonne sticht vom Himmel und meine Mutter hätte gesagt, das sei eine „falsche“ Sonne. Die Landschaft ist geprägt von Seen, vielen kleinen Flüsschen und immer wieder Wälder. Sie sind dicht, nicht mehr die öden Schwarzfichten oder die verbrannten Flächen. Ich beschließe also den Highway zu verlassen um an einem der Seen ein kurzes Bad zu nehmen und einen Espresso zu trinken. Heute ist das Abitreffen und in Ernsbach beim Back und ich habe mir gewünscht, über Skype oder WhatsApp eine Weile dabei sein zu können. Deshalb möchte ich um ein Uhr in Kenora sein, da ich dort sicher einen Platz mit WiFi finde.Viertel vor eins komme ich in Kenora an. Das öffentliche WiFi war an der ganzen Strandpromenade des Lake Of The Woods nutzbar und viertel nach eins startete ich meinen ersten Versuch. Vergeblich! Es ist wohl so, wie ich es vermutete: Es wird leichter sein in Kanada ein funktionsfähiges Netz zu bekommen als daheim in Elsbach beim Back. Nach weiteren Versuchen, sogar einem Telefonanruf, gab ich es dann auf und kommunizierte dafür mit Katja, meiner Tochter.

Danach möchte ich mir dann einen Caesar gönnen und such‘ mir eine Bar. Meine Neugier führte mich auf den rechten Weg. Ein offensichtlich älteres Haus mit einer Aufschuft „BAR“ versteckte sich hinter Bauplanen. Als ich durch sie hindurchschaue sehe ich auf Tapeziertischen eine Küche aufgebaut und einen Koch der geschäftig dabei war, diverse Suppen zu kochen. Ich zögere, doch der Koch hat mich schon entdeckt. „Hey how’re You? Can I help You“. „Ich suche eine Bar“ antwortete ich.You’re wright here, come in! I’m Fred, What’s Your name?“. Also trete ich durch die Türe, die zu einem Treppenhaus zu gehören scheint, doch sie öffnet sich in einen weiten hohen Raum. Die Bar ist mit alten Klamotten dekoriert, in einer Ecke gibt sich eine Boutique zu erkennen, auf einer großen Leinwand wird ein Football-Spiel übertragen. Etwa zehn Frauen und Männer unterschiedlichen Alters sitzen beieinander an zwei zusammengestellten Tischen. Sie bestellen sich Pizza und Burger, dazu Bier. Die Bedienung wirkt gestresst und bemerkt mich erst, als ich unmissverständlich auf mich aufmerksam mache. Nein, nichts essen, ich möchte nur einen Drink, einen Caesar. Sie wird freundlicher, der Stress weicht von ihr ab, vielleicht liegt das an meiner recht einfachen Bestellung. Ich rufe Ursel über WhatsApp an und wir quatschen ein wenig. Heute funktioniert auch endlich ihre Kamera, ein neues Handy macht’s möglich. Die Türe öffnet sich und Männer, eine Mischung aus Hippies und Hillbillies kommt herein und ohne viele Worte beginnen sie ihre Musikinstrumente und Mikrofone aufzubauen. Für heute Abend ist Livemusik angesagt. Zu spät für mich, ich möchte heute noch bis zum Manitoba See fahren.

So zahle ich und gehe zurück zum FidiBus, Neben dem Parkplatz befindet sich ein überdachter Festplatz und auch dort gibt es Livemusik. Von der Bühne singen junge und ältere Frauen von Jesus, ihrem Leben, dass durch ihn erst Inhalt bekommt. Sie singen von Sünden der Menschen und berichten freudestrahlend vom Sieg der amerikanischen Republikaner bei der Aufhebung des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch, Mit Gospelsongs wettern sie gegen die Menschen die sich zur Gruppe der LGTBQ (Lesbisch, Schwul, Transsexuel, Bisexuell und Queer) zugehörig fühlen. Musikalisch schön, inhaltlich jedoch für mich nicht akzeptabel.

Am Ende der Stadt treffe ich auf eine kleine Gruppe von Menschen in einem Park. Ich halte an, schnappe meine Kamera und gehe hinüber. Bunt gekleidet und mit Regenbogenfahnen winkend, tönen mir auch hier die Worte „Jesus“ und „Gott“ entgegen, aber in einem anderen Kontex. Ich frage eine junge Frau nach der Grund dieser Zusammenkunft. „We are frustrated, but we are many.“ „Wir sind ein Teil der Gesellschaft und wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir durch das Recht geschützt sind. Auch für uns gelten die Menschenrechte, auch wir sind Gottes Geschöpfe. Wir verurteilen den Obersten Gerichtshof der USA für ihr rückwärtsgewandtes Urteil zum Schwangerschaftsabbruch. Wir Frauen bestimmen wann und ob wir ein Kind haben wollen, besonders, nach einer Vergewaltigung“. Hier waren sie also, die Anderen, die Ausgegrenzten, gegen die sich die christlichen Gemeinde der braven Bürger so in Zeug gelegt hatte. Die Einen fühlten sich von Jesus verlassen, andere hoffen, dass Gott und Jesus ihren Kampf unterstützt, denn sie sind Gottes Geschöpfe.

Es ist nun um halb fünf. Ich muss weiter, will ich mein Ziel heute noch erreichen. Die Strecke wird immer eintöniger, flach wie der Boden eines Topfes. Felder soweit der Blick reicht wieder ist die Straße gerade, als sei sie mit der Schnur gezogen. Der Highway ist dafür vierspurig ausgebaut. Ich bin, wenn ich mit achzig dahinfahre also kein Hindernis mehr, doch automatisch erhöhe ich das Tempo, was ich am nächsten Tag sofort an der Tankstelle zu spüren bekomme. Das ist errmüdend, glücklicherweise tönt aus dem Radio Rockmusik der Achziger und Neunziger, Bei Winnipeg wird der Himmel schwarz. Im Nordweste sieht man die Regenfahnen wie Wasserstrahlen einer Dusche und es wird mir unheimlich. Wie war das doch mit den lokalen Tornados? Und dann sehe ich tatsächlich wie sich ein solcher Wirbel urplötzlich wie die Zunge eines Camälions aus den Wolken schnellt um Sekunden später schon wieder in sich zusammenzufallen. Ich war so erschrocken und überrascht, dass ich mein Handy zum fotogrsafieren erst zur Stelle hatte, als der Spuk schon vorüber war. Doch der Himmel ist noch immer schwarz. Wann hat mich die Front wohl erreicht oder fahre ich direkt in sie hinein? Aber ich hatte Glück, wie so oft auf meiner Reise und fuhr immer schön am Rande dieses Wettergeschehens entlang und außer ein paar Regentropfen bekam ich nichts von dem Unwetter ab. Halb neun war ich im Provincial Park von Lundar Beach. Für fünfzehn Dollar konnte ich mir einen Platz aussuchen und stehe, nur durch eine Hecke getrennt, am Lake Manitoba.

Ich werde auch heute am Sonntag hier bleiben, faulenzen, chillen, schreiben. Die Sonne scheint und ich habe geduscht. Habe meinen FidiBus ebenfalls schön gemacht, ein wenig umgeräumt und schaue nun übers Wasser. Vor mir hüpft ein Robin, ein überdimensioniertes Rotkehlchen, auch die starenartigen Vögel sammeln wieder Futter und vor wenigen Augenblicken ließ ein Pelikan sich vom Wind über das Wasser treiben.

Es ist später Nachmittag und die Vögel werden wieder aktiv. So werde ich mich gleich mit Fernglas und Kamera auf den Weg ins Reservat begeben.

Es ist mein zweiundvierzigster Tag in Kanada. Längst wäre es an der Zeit, das erste Mal so ein Gefühle von Heimweh zu verspüren und dem Drang zu widerstehen umzukehren. So war es bisher immer gewesen, wenn ich allein unterwegs war. Ganz anders auf dieser Reise. Mein FidBus bietet mir den Komfort den ich brauche. Ein Bett, einen Rückzugsort bei schlechtem Wetter, Eine Heizung für die kalten Tage. Wann immer es möglich ist, verbringe ich meinen Tag draußen, wie jetzt. Meinen Campingtisch habe ich am Strand aufgebaut, dazu meinen Sessel und meinen Laptop und während ich schreibe suchen Vögel am Strand nach Futter. Es ist schön ihnen dabei zuzuschauen. Durch das Gras hüpft eine schwarzer Vogel mit quittengelber Brust und bei jedem zweiten Hüpfschritt pickt er in den Boden und sein Schnabel füllt sich mit den Lieblingsspeisen seiner Vogelkinder. Mit dem Fernglas erkenne ich das Gezappel der Insekten in seinem Schnabel und stelle mir vor, wie es sich für mich anfühlte, müsste ich lebende Insekten im Mund mit mir herumtragen. Lieber Gott, du hast uns schon mit Bedacht so gemacht wie wir sind.

Tja, ich probierte Bilder hochzuladen, doch das Internet ist zu schlecht. Ich werde den Bericht später mit Bildern füllen und auch meine Galerie aktualisieren. Geduld ist mal wieder angesagt.

2 Kommentare

  1. Cordula

    Hallo Matthias
    mit großer Spannung lese ich Deine Berichte, sie sind so erfrischend und lebendig geschrieben, ich fiebere mit Dir mit. Sehr spannend fand ich diese Naturereignisse…. und schon sind sie wieder da, die Ängste, die durch die Natur ausgelöst werden, weil man ja so machtlos ausgeliefert ist. Aber Du bist anscheinend ein Glückskind, ich hoffe, es bleibt so. Wünsche Dir weiterhin so viele intensive Begegnungen mit Mensch und Natur. Freue mich schon auf die weiteren Berichte. Lass es Dir weiterhin gut gehen… ganz liebe Grüße Cordula

    • Matthias

      Liebe Cordula,
      danke für deinen Kommentar. Wir müssen wohl erkennen, dass die Natur stets stärker ist als wir, weshalb ich ihr stets mit großem Respekt begegne. Nach zweihundert Kilometern Fahrt durch die absolute Einsamkeit, kein Ort weit und breit, bin ich jetzt in der einzigen Stadt für weitere ca.zweihundert bis vierhundert Kilometer. Mal sehen, für welche Option ich mich entscheide. So wird es wohl morgen nix mit unserem „Treffen“ beim Schwazbier.
      Liebe Grüße
      Matthias

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