Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

Von Menschen und Glühwürmchen

Erst einmal möchte ich für meine gestrige Betrachtung zur Äquivalenz von Masse und Energie um Nachsicht bitten, die die Haare eines physikalisch gebildeten Menschen in eine vertikale Ausrichtung bringen, aber mit diesem Gedanken hatte ich genug Energie um eine Masse Moskitos schnell in die ewigen Jagdgründe zu verabschieden.

Nun zurück zum Ernst d er Reise.

Nach meinem letzten Aufenthalt in Longlake gestaltet sich die Reise dann doch wieder abwechslungsreicher. Die Landschaft wird hügeliger und es gibt auch wieder Kurven. Allerdings hat der Verkehr zugenommen. Besonders die großen Trucks in meinem Rücken sind mit meinem Herumgecruise nicht einverstanden. Das allgemeine Speedlimit von 90 km/h stellt offensichtlich auch gleichzeitig die geforderte Mindestgeschwindigkeit dar. Geahndet wird ohnehin erst bei einer Überschreitung um 30 km/h. Mein Spritsparwille ist ungebrochen und so müssen sich die Trucks daran gewöhnen, dass ich wenigstens die neunzig einhalte. Der Dieselpreis ist seit heute auf 2,45 CAD (1,80€) festgelegt worden.

Gegen Mittag erreiche ich Ignace. Auf der Jagd nach einem Sticker Ontarios oder wenigstens der Region habe ich einen Conveniece Store ausgemacht. Vom Angelzeug über Waffen und Buttermilch bekommt man hier so ziemlich alles, eben nur keine Sticker. Wiedereinmal erregt mein Nummernschild die Aufmerksamkeit Normans, des Ladenbesitzers und schnell sind wir im Gespräch. Er erzählt mir von einer ganz netten Deutschen, die hier im Ort wohnt, die aber nach B.C. (British Columbia) trampen möchte. Ich biete an, sie auf dem Weg nach Westen mitnehmen zu können. Schnell hat er ein Treffen mit Rachel vereinbart und die Wartezeit macht er mir mit einer Art Wrap im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft. Geräuchertes Rindfleisch, Salat, frische Tomate und ein tolles Dressing aus Früchten, dazu beliebig viel Kaffee, das war zu verlockend, als dass ich das Angebot hätte ausschlagen können. Rachel sei sehr religiös, aber eine tolle Frau weiß er zu berichten. Sie lebt seit ein paar Jahren im Ort bei seinem Onkel, ihr erster Mann war verstorben, von dem zweiten wurde sie geschieden. Dann kommt Rachel! Eine sehr aparte und sehr schlanke Frau, ihr graues Haar ist unter einem blauen Hut, der unter dem Kinn mit einem Band gehalten wurde, war zu zwei lockeren Zöpfen gebunden, eine kariertes Hemd und ein grauer knöchellanger Rock, dazu ein offenes Gesicht mit fröhlichen Augen. Sie freut sich endlich wieder deutsch sprechen zu können und dann erklärt sie mir, dass sie den Ort nicht vor dem 4. Juli verlassen könne. Das habe ihr Gott gesagt und daran ist sie gebunden. Sie möchte von mir wissen ob Frau Merkel noch Kanzlerin sei und wie es in Deutschland jetzt so sei. Also versuche ich ihr das Deutschland des Jahres 2022 zu erklären. Sie ist erschrocken über die Toleranz, gleichgeschlechtliche Ehe, aufkeimender Antisemitus, freies Recht auf Schwangerschaftsabbruch, all dies beunruhigt sie sehr und da wird es mir klar, sie gehört zu dem gemäßigten Zweig der Menoniten, die zwar mit der modernen Gesellschaft Umgang pflegen, sie jedoch für sich selbst ablehnen. Vier Stunden sitzen wir in Normans Laden und zugegebenermaßen sehr orginellem Restaurant und Redaktionsbüro der örtlichen Zeitung und beschränke mich zumeist auf’s Zuhören. Norman macht mir das Angebot, während der einen Woche Wartezeit könne ich meinen FidiBus auf seinem Grundstück abstellen, ich könne sein Boot nutzen, Essen ginge in dieser Zeit auf seine Rechnung. Da habe ich beinahe zugesagt, aber eben nur beinahe, denn der Wunsch war, Rachel bis nach Britisch Columbia mitzunehmen. Das bedeutete eine komplette Umplanung meiner Reise, was Zeit und Strecke anbelangt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es lange mit Rachel ausgehalten hätte. Also verabschieden wir uns sehr freundlich und Rachel bittet um meine Postadresse in Deutschland, sie möchte durch mich aus Deutschland berichtet bekommen. Mein Hinweis auf Zeitungen und andere Medien ist naiv, das wird mir sogleich bewusst, Zeitung, Radio, Handy, TV gibt es in ihrer Welt nicht.

Ich bin um halb vier wieder auf dem Highway siebzehn. In Dryden muss ich den Durst meines FidiBus stillen. An der Tankstelle erfahre ich, dass man in der Nacht in der Region schwere Unwetter und örtlich mit Tornados rechnet. So beschließe ich eine völlig unromantische Nacht auf einem Platz hinter dem Walmart aber in Sicherheit zu verbringen. Es ist inzwischen Dunkel und ich unterbreche meinen Bericht um noch einmal nach draußen zu gehen. Erst glaube ich das Glitzern im Schein meiner Taschenlampe sei das von hunderten Insekten reflektierte Licht. Ich mache die Lampe aus, doch das Funkeln blieb. Und da ist sie dann doch wieder die Romantik eines Frachthofes des Walmart. Hunderte Glühwürmchen vollführen ihren Hochzeitstanz. Ich kann mich von dem Anblick nicht losreißen, spüre weder Mücken noch Blackflys. Und mir kommt die Erinnerung an Kambodscha wieder ins Gedächtnis, als ich nachts mit Gitte auf dem Mekong war und dieses Lichterspektakel das erste Mal erlebte und alle Glühwürmchen, als würde ihnen ein Dirigent den Takt vorgeben. Völliger Gleichklang! Und heute erlebe ich dieses Schauspiel ein weiteres Mal. Meine Stiche und Bisse behandele ich morgen. Jetzt jedenfalls nehme ich meinen Stuhl, ein Bier und setze mich nach draußen, bis mir die Augen zufallen.

1 Kommentar

  1. Ursula

    Du lernst auf dieser Reise so viele Menschen verschiedenster Lebensweisen kennen, allein das kann schon ein Buch füllen. Hast Du denn auch Gelegenheiten Menschen zu fotografieren?
    Es ist immer wieder spannend zu suchen, wo Du gerade bist. Immerwieder staune ich über die vielen Seen und Gebiete die ohne jede Straßen sind, aber sie lassen auch ahnen, dass das wiederum den vielen Mücken und Fliegen genügend Platz gibt, sich so richtig breit zu machen. Wehr Dich!
    Als ich vom Tanz der Glühwürmchen gelesen habe, war ich ganz nah bei Dir und Gitte. So kann auch ein hässlicher Orten ein Märchen verwandeln.
    Nun hoffe ich, dass das Unwetter gnädig an Deinem Ort vorbeigezogen ist, und Du unbehelligt aber frohen Mutes weiter ziehen kannst. Wir freuen uns schon auf den nächsten Bericht und ich bin gespannt, was Dein neues Ziel ist und auf welcher Straße Du es erreichen wirst. Wenn Du wieder an einem gigantischen Wasserfall landest, dann nimm bitte ein kleines Video für mich auf! Gute Reise weiterhin
    Ursel

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