Mein letzter Bericht liegt nun bereits eine Weile zurück und endete mit meiner Flucht aus den Fluten an den Lac Saint John, wo ich mir die zwei Ruhetage gönnte. Am 18. Juni verlasse ich den Platz bei schönstem Wetter und so fahre ich ein paar Kilometer zurück um mir die verlassenen Stadt Val Jalbert anzuschauen. Das spektakulärste ist jedoch der Wasserfall. Weshalb lassen wir uns eigentlich von Wasserfällen so beeindrucken. Natürlich haben sie einerseits etwas romantisches, geheimnisvolles, sie wecken die Neugier, was sich hinter dem Wasserfall befindet. Das eigentliche Spektakel ist jedoch die unheimliche und ungezügelte Kraft des Wassers, das Rauschen und Tosen, der Eindruck des totalen Chaos‘, dem ich mich nur schwer entziehen kann.
Der Rest des Ende der zwanziger Jahre verlassenen Ortes ist zwar hübsch hergerichtet, vermag den ursprünglichen Eindruck, wie er durch alte Bilder belegt ist, nicht zu vermitteln. Zu parkähnlich und zu hübsch aufgemacht ist dieser Ort, an dem einst für eine Papiermühle das Holz der umliegenden Wälder zur Pulpe verarbeitet wurde.
Es war ein Ort der harten Arbeit. Kalte Winter schnitten ihn von der Außenwelt ab und die Menschen führten ein hartes Dasein. Von alldem siht man nichts. In der ehemaligen Mühle findet regelmäßig eine Multivisionsschau statt, die ihresgleichen sucht. Allein sie vermittelt den Eindruck dieses entbehrungsreichen und mühseligen Lebens. Erst am Nachmittag sitze ich wieder im FidiBus und es wird mir klar, dass ich heute nicht mehr sehr weit komme. In der Nähe des Lake Opémiska verbringe ich in der Nähe eines Campingplatzes die Nacht auf einer geschotterten Freifläche.
Da es nicht von jedem Tag und jedem Ort wirklich wichtiges zu berichten gibt, nutze ich die Gelegenheit um in eigener Sache zu berichten.
Seit einigen Tagen bemerke ich dass ich sehr beliebt bin bei der weiblichen Spezies, ja geradezu von ihr umschwärmt werde, was mich erst einmal nicht stört, denn ich stehe solchen Avancen im Allgemeinen eher zurückhalten, ja gar gelassen gegenüber. Aber es gibt einen Punkt, da wird es einfach nur lästig. Habe ich mich erfolgreich gegen die Eine zur Wehr gesetzt, nutzt es die Andere um zu einer noch schamloseren Attacke anzusetzen. Da fiel mir das Einstein und sein Gesetz aus der Relativitätstheorie ein. E=m * C². Das war die Lösung, die keiner weiteren Worte bedurfte. Mit dieser Formel gehe ich zum Gegenangriff über. Mit der Masse m meiner Hand und der Geschwindigkeit C mit der ich diese mit der Energie E auf die Hinterteile meiner Belästigerinnen heruntersausen lasse, erreiche ich dass sich diese im Augenblick, in dem sie sich auf mich herabsenken um mir meinen wertvollen Saft auszusaugen, von mir herabgleiten und tot zu Boden sinken. So endet das leben zahlreicher namenloser, blutsaugender Moskitoweibchen.
Nun gut, am nächsten Morgen nehme ich mir vor, nur eine kurze Strecke zu fahren um dann am nächsten Tag auf endlosem Highway, kaum unterbrochen durch eine Kurve nach südwesten, nach Palmerolle auf den Weg zu machen. Fast am Ziel angekommen möchte ich mir noch einen Drink gönnen und dann geht sie los, die verzweifelte Suche nach dem bevorzugten Zahlungmittel, meinem Handy. Ich stelle das ganze Auto auf den Kopf und was ich befürchtete wurde zur bitteren Wahrheit: Das Smartphone war weg. Ich erinnere mich, dass ich einhundert Kilometer zuvor, in Lebelle sur Quévelon, einkaufen und tanken war. Was nun? In der Bar versuche ich mein Handy über mein Tablet zu orten, doch meine Prepaid-Karte im Handy ist abgelaufen und als letzte Position sehe ich nur den Lake Opémiska. Ich bitte die Frau an der Bar, von ihrem Telefon aus in der Tankstelle anrufen zu dürfen, denn dort hatte ich zuletzt damit bezahlt. Tatsächlich lag es da, neben der Toilette wo es mir wohl beim Herunterlassen der Hose aus der Tasche entwichen war. Also einhundert Kilometer auf der Schotterpiste zurück. Ein Unwetter kündigt sich mal wieder für die Nacht an und es beginnt zu regnen. Da wird eine Schotterpiste schnell zur Rutschbahn. Doch unter siebzig KaEmHa wird so eine Piste zum Achsenbrecher und Stoßdämpermörder. Um sieben bin ich wieder an der Tankstelle, wo mir die rothaarige, Kassiererin gleich strahlend entgegen kommt. Ich bleibe für heute Nacht hier, gönne mir den Municipal Campsite, wo ich in der Nacht wenigstens noch meine Wäsche waschen kann und rutsche dann am nächsten Tag wieder von Neuem über die Piste und schaffe es bis nach Matheson, einer kleinen Menonitengemeinde. Es ist seltsam in unserer hochmodernen Welt plötzlich auf der Straße wieder einen Einspänner zu sehen, die Familie, gekleidet im Stil der zwanziger oder dreißiger Jahre, wie sie unter dem satten geklapper der Hufe in eine ihrer zehn Kirchen des Ortes fahren. Ein Einwohner Mathesons erklärt mir, dass die Mennoniten hier hauptsächlich die Landarbeit verrichten, während die anderen Bewohner fast ausschließlich ihr Geld durch die Goldminen in der näheren Umgebung verdienen. Ja, die Mennoniten seien geduldete fleißige Menschen, dass sie jedoch keine Steuern an den Staat zu zahlen haben und obendrein auch keine Baugenehmigung beantragen müssen, wenn sie einen Hof oder eine Kirche bauen wollen, das sorge zunehmend für Unmut in der Gemeinde. So untersagte man es ihnen, in dem Ort die elfte Kirche zu errichten. Mathesen ist eine Gemeinde mit 5000 Einwohnern und die mennonitische Gemeinde ist dabei die Minderheit. Gerade in der jetzigen Zeit, wo das Geld knapp wird, wird auch die Toleranz gegenüber dieser Minderheit knapper.
Neben meinem Nachtlager am Ufer des Black River steht ein weiterer Camper. Ein Feuerwehrmann aus Timmens, der hier übernachten möchte. Er kam von einem Einsatz weiter südlich, wo die ersten Waldbrände auftraten. Von ihm lasse ich mir erklären, mit welcher Taktik man bei Ihnen gegen solche Brände vorgeht und er zeigt mir Bilder und Videos auf seinem Handy, wie sie mit dem Helikopter am Rande des Feuers abgesetzt werden, mit dreißig Kilo Gepäck, so schwer ist die Pumpe,und dann eine bis zu fünf Kilometer lange Schlauchleitung legen. Wir trinken ein Bier miteinander, ich genieße noch eine Weile die Abendstimmung und gehe dann auch zu Bett.
Heute ist der fünfundzwanzigste Tag meiner Reise. Bei Überprüfen meiner Reifen bemerke ich ein größeres Loch in der Decke, in dem ein Fremdkörper steckt. Ich möchte nichts riskieren und fahre die nächste Werkstatt an. Vorsichtig hebele ich den Fremdkörper aus dem Reifenprofil und stelle fest, es ist nur ein Steinchen, dass sich durch das Profil bis in die Decke gebohrt hat, wodurch etwas vom Gummi herausgebrochen war. Ein Check mit Seifenlauge überzeugt mich davon, dass der Reifen okay ist. Ich pumpe mit meinem Kompressor wieder etwas Luft nach, da ich auf den Pisten den Reifendruck um fünfzehn Prozent verringere und fahre weiter. Die Strecke ist ausgesprochen langweilig. Nichts als endlose Tundra, verbrannte Wälder und ein schnurgrader Higway. Die letze Stadt ist Cochraine, wo sich die größte Goldmine der Welt befindet, in der das Gold im Tagebau geschürft wird. Ein Besuch der Mine ist auch hier nicht möglich. Keine der Goldminen Kanadas akzeptiert Besucher. Selbst die Minenarbeiter gelangen nur mit Bussen an ihren Arbeitsplatz und müssen sich täglichen Kontrollen beim Ein- und Austritt unterziehen. Diesen Wunsch werde ich mir also nicht erfüllen können. Nach Cochrain kommt auf einer Strecke von zweihundertelf Kilometern nichts. Absolut gar nichts. Wälder, Tundra, Highway nichts. Hier möchte ich nicht liegen bleiben, auch wenn der Highway doch recht gut befahren ist. Es gibt keine Möglichkeit abzuzweigen und irgendwo zu übernachten, also fahre ich fünfhundert Kilometer bis nach Longlake. Eine Stadt die wie eine Geisterstadt wirkt.
Mitten im Indian Reservate. Geschlossene verfallene Geschäfte, armelige Häuser, zwei Motels, eines ist so Vertrauen erweckend, dass ich es schnell wieder verlasse, auch wenn ich auf der Suche nach Wlan bin. Das Wlan im Schnellimbiss funktioniert nicht. Ein völlig heruntergekommener First Nation möchte sich von mir sechunddreißig Dollar erbetteln, ich gebe ihm fünf und sehe, dass er damit den Eigentümer des Schnellimbiss‘ bezahlt und eine Pizzaschachtel dafür bekommt und dann finde ich dem anderen Motel doch noch einen Wlan und verliere die Fassung. Der Check meines Kontos ließ meine Augen aus den Höhlen treten. Eine Abbuchung von eintausendsiebenhundert Euro für Vodafone. Mir verschlägt’s die Sprache und ich muss erst einmal schlucken. Vermutlich ist dafür die Zeit in Halifax verantwortlich, als ich noch ohne kanadische Prepaid-Karte lustig und munter Google Maps nutzte und dann vergaß das Datenroaming abzuschalten. Sobald ich morgen wieder einen Netzzugang habe, werde ich die Rechnung checken. Mich jetzt zu ärgern bringt nichts. Da mein Budget für Übernachtungen so ausgelegt war, dass ich jede Nacht einen Campingplatz aufsuche, verbrauche ich dafür nach jetzigem Stand nur ein fünftel, und wenn es so weiter geht, dann habe ich das rasch wieder eingespart, doch hätte ich mir für das gesparte am Ende meiner Reise gern ein wenig Luxus gegönnt. Na mal sehen, was am Ende dann noch übrig ist, denn außer Diesel brauche ich zum Leben hier nicht mehr als zuhause.
Es zeigt sich mal wieder: So schön unsere Moderne Kommunikationstechnik auch ist, so schnell kann sie auch zur Falle werden.
Morgen steht eine weitere großes Strecke auf dem Plan. Wieder etwa fünfhundert Kilometer und da hier nicht schneller als neunzig oder gar achzig Stundenkilometer gefahren werden darf, ist das eine Tagesreise, zumal, wenn man noch Pausen einlegt.
P.S. Neben der Provinz Québec gelingt es mir auch hier in Ontario nicht, mir einen Aufkleber der Provinz für meinen FidiBus zu erstehen. Schade!
Meine Bildergalerie wird sich was den Staat Ontario anbelangt nicht wesentlich erweitern. Also habt Geduld, bald wird’s wieder abenteuerlicher.
Hallo Matthias!
Was ein Pech mit Vodafone! Du versuchst doch bestimmt mit denen zu verhandeln, oder? Verbraucherschutztechnisch ist das eigentlich eine Unmöglichkeit!
Sehr schöner Bericht, jedes Mal eine kleine Freude!
Beim Lesen der ersten Zeile mit den Moskitos hattest Du mich erwischt: Ich dachte glatt über meine Möglichkeiten nach, ein VW Bus, Bart wachsen lassen, Outdoorhemd und ab nach Kanada 🙂 erst bei E=m*c*c fand ich was merkwürdig 😉
Viele Grüße!
Ich gebe zu, Lichtgeschwindigkeit beim Schlag mit der Hand zu errreichen esr anmaßend und übertrieben aber diese Formel schien mir für die Energie, die ich aufgewendet habe um mich der Plage zu entledigen noch am ehesten anwendbar. Geologen geben sich schon mit der Annäherung an die Tatsachen zufrieden 😉