Endlich zurück in der Natur

Es ist, ja welches Datum haben wir eigentlich? Mein Gott, wie mir doch die Zeit abhanden gekommen ist! Es ist Mittwoch der sechste Juni. Eigentlich ist das der Jour Fixe, an dem ich mit Cordula beim Schwarzbier im Rathausbräu so herzlich lachen kann. Gestern überschritt ich die Provinzgrenze von Alberta nach British Columbia und in Dawson Creek startete bei Kilometer Null meine Tour auf dem Alska Highway.

Kilometer Null des Alska Highway

Das klingt zwar nach Abenteuer, doch die ersten fünfhundert Kilometer sind genauso langweilig wie die davorliegenden sechshundert Kilometer in Alberta, Agrarflächen wechselten sich mit Ölfeldern ab und wieder verlief die Straße schnurgerade über manchmal mehr als fünfzig Kilometer. Die größte Abwechslung bot der Himmel, der in schnellem Wechsel von blau nach grau bis beinahe schwarz wechselte und wo Regen und Gewitter wenigstens hin und wieder für ein wenig Spannung sorgten. Doch nun bin ich hier. Das heißt, heute bin ich endlich in den Northern Rocky Mountains angekommen. Welch ein gewaltiger Szenenwechsel. Vor mir kreuzt eine Schwarbärin mit zwei Jungen die Straße. Noch bevor ich meine Kamera bereit habe sind sie im Wald verschwunden. Dann stehen zwei Karibus am Straßenrand und ein Deer, ein überdimensionales Reh, steht ganz ruhig vor mir, bis ich das Objektiv meines Fotos gewechselt habe, die Kamera „schussbereit“ hatte und … Wusch! War es davon gesprungen. Von Westen rücken die Berge immer Näher an den Alaska Highway #97. Erst sind es sanfte Hügel, doch dann werden sie höher und schroffer. Tief eingeschnittene Täler mit breiten Flüssen und immer höheren Bergen prägen nun meine Route. Es geht hinauf auf 1260m Meter zum Summit Pass, Die Baumgrenze ist hier fast erreicht. Auf den umgebenden Bergen sehe ich vereinzelte Schneefelder und am Horizont türmen sich wieder hohe Cumuluswolken. Ich ahne es, das nächste Gewitter zieht herauf. Es dauert keine zwanzig Minuten, dann ist der Himmel schwarz. Blitze zucken um mich herum und ich bin froh im Auto zu sitzen. Kurz hinter dem Summit Pass fahre ich auf einen Parkplatz und koche mir einen Kaffee. Als ich mich umschaue entdecke ich ein Wohnmobil auf IVECO – Basis. Eine Frau und ein Mann haben ihn aufgebockt und wechseln einen Reifen. Als ich das Kennzeichen sehe, kommen Heimatgefühle auf. Ein deutsches Kennzeichen LIP. Meine Hilfe wird nicht mehr gebraucht, mein Kaffee wird aber gerne angenommen. Es ist bereits ihre dritte Reifenpanne, jedesmal brach das Ventil und beim ersten Mal war der ganze Reifen kaputt, weil sie den Druckverlust nicht rechtzeitig bemerkten. Irgendwie hab ich mit meinem FidiBus da wohl mehr Glück (Tock, tock, tock auf Holz). Für den Abend habe ich mir einen Platz am Toad River ausgesucht, kurz vor Muncho Lake. Abseits des Highways ging es hinab zum Fluss. Ein toller Blick auf die Berge, ein Lagerfeuer, ein Bier, etwas zu essen und endlich fühle ich mich wieder gut, wieder draußen, wo ich ich mich an meiner Umgebung gar nicht satt sehen kann, wo außer dem Plätschern des Flusses, und ab und an Vogelgezwitscher nichts zu hören ist, was den Eindruck stört, abseits aller Zivilisation zu sein.

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Heute trage ich deas erste Mal mein Bärenspray bei mir, denn denn so weit abseits der Straße und mitten im Bärengebiet, in dem eben nicht nur die recht friedfertigen Schwarzbären herumstrolchen, sondern auch Meister Grizzly sein Revier beansprucht. Besonders, wenn fischreiche Gewässer in der Nähe sind, fühle ich mich doch mit dieser Waffe recht sicher.

Es ist viertel vor zehn, die dunklen Wolken haben sich verzogen und die Sonne beleuchtet die Berge. Es ist eine Pracht. Was wird mich in den nächsten Tagen noch erwarten?

Morgen bleibe ich vielleicht für ein oder zwei Tage am Muncho See. Mit seinem ungewöhnlich blauem Wasser und den vielen Trails, die von dort aus in die Berge führen, ist das auch für mich endlich wieder eine Gelegenheit mit Wanderstock und Rucksack loszuziehen.

So, jetzt gibt’s noch einen Whisky und dann schließe ich die Augen bis morgen früh.

Ein neuer Tag ist angebrochen. Es ist der neununddreißigste Tag meiner Reise im FidiBus und der neunundvierzigste, seit ich in Halifx angekommen bin. Geweckt werde ich durch die wärmenden Sonnenstrahlen und dem Gezwitscher der Vögel. Ein Feuer für den Kaffee ist schnell gemacht. Recht früh bin ich dann zurück auf dem Alaska Highway. Auf meinem Weg zu dem Lake Munchu fahre ich beinahe an einer Tankstelle mit Restaurant vorbei, doch ich bekomme noch zu rechten Zeit das Steuer herumgerissen. Alles sieht aus wie in dem 1940er Jahren, also stoppe ich dort und gönne mir einen Kaffee.

Es ist die erste von 14 Tankstellen die auf dem Alaska Highway errichtet wurden. Im Restauant erinnern zahlreiche Bilder, Werbetafeln und allerlei Gerätschaften an die Zeit diese Zeit. Es sitzen zunächst zwei abenteuerlich anmutende Mäner an einem Tisch und verdrücken ihr reichliches und gehaltvolles Frühstück. Später kommen drei Schweizer herein und es stelt sich heraus, dass sie für ein paar Jahre hier wohnen und in dieser Zeit in der nahe gelegenen Lodge arbeiten. Von ihnen erfahre ich das erste Mal von Feuern auf dem Campbel Highway, Genaueres gibt im Tourist Info in Watson Lake zu erfahren. Meine Fage nach dem WiFi Passort wird vom Wirt sehr harsch abgewiesen. Da nutzt es auch nicht, dass ich auf die große Schrift mit „Free WiFi“ am Fenster hinwies. Nein, das Passwort gibt er nicht heraus.

Überhaupt ist mir aufgefallen, dass sich seit Alberta der Umgangston geändert hat. Es gibt kaum noch eine persönliche Ansprache. Beginne ich nicht das Gespräch, dann bleibt es still. Ich bekomme bereitwillig Auskunft, aber es ist schwer über diese reine Information im Gespräch zu bleiben. Darauf wurde ich schon in Halifax hingewiesen, aber oft sind diese Infos mit Vorsicht zu genießen. Für mich aber bestätigte sich diese Beschreibung. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass das Leben hier „städtischer“ ist als in den anderen Provinzen. Die Siedlungen sind dichter bewohnt und sie sind entweder durch grenzenlose Agarbetriebe geprägt oder aber durch Öl- und Gasförderanlagen, deren Siedlungen fast ausschließlich aus Wohncontainern bestehen. Hier auf dem Alaska Highway ist es wohl eher der zunehmende Tourismus, der die Menschen und deren Habitat verändert.

Am Lake Munchhu angekommen muss ich bestätigen, was der Reiseführer beschreibt. Ein unheimlich schöner Ort.

Lake Munchu

Der grüne See, blauer Himmel und im Hintergrund die schneebedeckten Berge, das ist wundervoll. Nur mit einem Übernachtungsort habe ich kein Glück. Hochwasser hat die von iOverlander ausgewiesenen Campsites überflutet und die kommerziellen Campingplätze sind teuer. Zu teuer. schweren Herzens fahre ich weiter und hoffe in Watson Lake einene schönen Platz zu finden.

Doch nun möchte ich erst einmal zu den Liard Hot Springs. Im Provicial Park bezahle ich acht Dollar für die Tageskarte und wandere vom Parkplatz hinauf zu den heißen Quellen. Sie liegen romantisch eingerahmt von dem Sumpfgebiet und den Bergen im „Tropic Valley“. Am Ende des Weges stoße ich auf die Anlage. Die Quellen wurden in einem Becken gefasst und ich bin (noch) der Einzige, der sich in die wirklich heißen Fluten stürzte.

Liard Hot Springs

Das Wasser ist, je nach Entfernung vom Zulauf, zwischen zweiundfünzig und fünfunddreißig Grad warm. Ach tut das gut. Meine Nackenschmerzen sind bald wie fortgeblasen. Ich steige später noch ein Paar Meter den Hügel hinauf und schaue mir die hängenden Gärten an, eine Blumenwiese auf Sinterterassen mit einem kleinen Wasserfall.

Auf dem Weg nach Watson Lake sehe ich das aus früheren Canadareisen bekannte Bild. Unter dunklen Wolken befinden sich rötlichgraue Schleier. Rauch! Und dann ist es auch schon zu riechen. Der Wald brennt.

Und noch etwas anderes bekomme ich zu sehehn, eine große Bisonherde. Im Gras liegt ein Bisonkalb und ich zücke meine Kamera, steige aus und will gerade loslegen, da sehe ich einen Bullen, der mich anschaut und dann auf mich zukommt und er beschleunigt. Ich auch und zwar in Richtung Auto, schwinge mich hinein und düse los, bevor der prächtige Bulle meinen Bulli auf die Hörner nimmt.

Respekt einflößender Bisonbulle am Wegesrand

In Watson Lake angekommen lasse ich mir den Signpost Forest nicht entgehen. Tausende von Schildern der Reisenden aus aller Welt wurden hier an Pfosten genagelt und der „Wald“ erweitert sich von Jahr zu Jahr. Den Anfang machte ein von Heimweh geplagter Soldat während des Baus des Alaska Highways.

Sign Post Forest

Der Rauch beiß im der Kehle und der Geruch nach brennendem Wald liegt über dem Ort. Ich beschließe, diese Nacht auf den Campingplatz des Provincial Parks zu gehen. Dort fühle ich mich vor den Waldbränden besser geschützt. Am Ortsausgang stehen vier Tramper. Ich halte an und frage sie wohin sie wollen. Nicht weit nur etwas zehn Autominuten entfernt. Ich lasse sie einsteigen, auch wenn ich anschließend wieder zurückfahren muss. Es stellt sich heraus, dass sie aus Regensburg kommen und wegen der Waldbrände ihre Kanutour auf dem Liard River hier beenden mussten. Der Campingplatz liegt ein gutes Stück vom Highway entfernt, mittem Wald an einem kleinen See. Ein Platz ist schnell gefunden und schon bald knistert mein Lagerfeuer. Ein junges Paar kommt an meinem Platz vorbei, Lina und Philipp und schnell sind wir im Gespräch. Sie befinden sich auf einer Weltreise mit ihrem Mercedes Sprinter. Ich hole ein paar kalte Bierdosen aus meinem Kühlschrank und ehe wir uns versahen ist es zwei Uhr nachts. beim Abschied beschließen wir bis nach Whitehorse gemeinsam zu reisen.

v.l.n.r. Philipp, ich, Artur, Lina

Zwischen Watson Lake und Whitehorse legen wir eine weitere Übernachtungspause ein. Auch heute wird es wieder spät. zu spannend sind die Gespräche, denn sie haben auf ihrer Reise vieles erlebt. Ihr Weg führte sie auch nach Kambodscha und so hatten wir viele Orte die wir gemeinsam und doch wieder anders erlebten. So wurde es wieder zwei Uhr nachts, bis ich ins Bett fand. Heute war eines der Biere wohl schlecht gewesen…

Am nächsten Morgen verabreden wir uns, in Whitehorse zusammen Essen zu gehen. Mit ihnen zusammen reiste seit einer Weile Artur, ein Franzose. Seine Art zu reisen ist schon Hardcore. Keine Technik außer einem Telefon. Kein Smartfone. Das muss man heute ja schon extra erwähnen. Er lebe beinahe sich ausschließlich von dehydriertem Essen erklärt er mir. Die meiste Zeit ist er zu Fuß unterwegs und auch er möchte nach Whitehorse und weiter nach Alaska. Da Philipp und Lina vor Whitehorse ein weiteres Mal übernachten wollen, biete ich Artur an, mit mir zu fahren. Nach Whitehorse sind es nur etwa zwei Stunden Fahrt und unterwegs unterhalten wir uns über dies und das. Wie entstanden die Berge, wie kam es hier zum Vulkanismus und vieles mehr möchte er von mir wissen, als er erfährt, dass ich Geowissenschaftler war. Als das Gespräch über Macht und nach seiner Meinung nach die besondere Macht der Frauen über die Männer ging, nimmt die Konversation etwas merkwürdige Formen an. Seiner Meinung nach zeigt der Feminismus, dass die Frauen vieles noch nicht verstanden haben und ihre Rolle genetisch festgelegt sei. Sein Weltbild kommt mir etwas konservativ frauenfeindlich und homophob vor. Nach ein paar erfolglosen Versuchen, ihn dazu zu ermuntern auch andere Argumente zu berücksichtigen beende ich das Thema und rate ihm in Whitehorse in der Tourist Information weitere Infos über Trails und Aktivitäten einzuholen. Doch in Tourist Infos ginge er nicht, er holt seine Infos von anderen Reisenden. Also empfehle ich ihm, sich ein Kanu zu leihen und nach Dawson City zu paddeln. Wie ich heute weiß, wird dies schwer, da die Feuer eine dichte Rauchwolke über den Fluß gelegt haben.

Auch meine Weiterfahrt nach Dawson City ist nicht gesichert. Einhundertsechzig Feuer sind auf dieser vierhundertzwanzig Kilometer langen Strecke registriert. Und wenn, kann man nur im Konvoi mit einem Lotsen fahren, muss aber mit langen Wartezeiten und möglichen Schließungen rechnen. Also entschließe ich mich dazu nach Skagway zu reisen und von dort aus mit der Bahn die sagenhafte Strecke hinauf zum White Pass zu fahren.

Whitehorse erscheint mir heute schöner als bei meinen letzten Besuchen und so werde ich nun noch ein wenig durch die Stadt gehen.

Whitehorse, Elliott Street
Whitehorse, Elliott Street

Also dann, schauen wir, was möglich ist.