Endlich geht es wieder weiter. Der Top of The World Highway erweist sich als eine gut gewartete Piste. Leider ist der Himmel noch verhangen und der viel gerühmte Blick vom Dach der Welt über die unendlichen Weiten der Wälder Kanadas bleibt wohl für mich verborgen. Es kann also nichts schaden, wenn ich Helmuts Rat folge und zu einem Freund nach Forty Mile am gleichnamigen Fluss fahre. Irgendwo nach etwa fünfzig Kilometern würde eine Piste zu einer ehemaligen Asbestmine abzweigen. Diesaer Piste folge ich etwa sechzig Kilometer. Zum Teil geht es steil bergab, Waschbrettpiste und dann Kurven, das erfordert immer wieder die ganze Aufmerksamkeit. FidibBus lässt sich unter solchen Umständen nur schwer in der Spur halten. Doch irgendwann komme ich an die Brücke über den Forty Mile-River, die mir Helmut beschrieben hatte und dann sehe ich auch schon die Blockhäuser der ebenfalls beschriebenen Produktionsgesellschaft von RAW-Films. Es wird der ich-weiss-nicht-wieviel-hundertste Film über den Goldrausch gedreht. Und dann sehe ich einen Mann, in Jeans, von rot/blauen Hosenträgern gehalten, ein kariertes Holzfällerhemd. Das auffälligste ist jedoch sein langer, sicher seit Jahren nicht mehr geschnittener, grauer Rauschebart. Unter der unverzichtbaren Baseball Cap schauen ergraute wild abstehende Haare hervor. Die Beschreibung, die ich von Helmut bekam passt. Das muss Earl sein. Und tatsächlich, es war Earl. Wir gehen in ein großes Blockhaus, das er als Küche und Essraum für die Filmgesellschaft gebaut hat. In der Küche arbeitet , wie ich vermute Sally, seine Frau, doch es ist Agnes, die in wenigen Minuten Heidelbeermuffins und Nussriegel backt. Die waren richtig lecker. Stolz zeigt Earl mir alle Häuser, die er mit Beil, Säge und Muskelkraft aufgestellt hat. Ich bin ehrlich beeindruckt. Ich frage ihn,was das Leben in der Einsamkeit am Yukon ausmacht und wie zumeist nach dieser Frage fällt die Antwort sehr umfangreich aus. Es ist die Abwesenheit von Bürokraten. Niemand fragt hier draußen was du tust. Du kaufst das Land und dann ist es auch schon gut. Mit der Schule habe er es nicht so gehabt und die „fucking tests“ hat er nie begriffen. Für alles brauchte man einen Test. Führerschein, Berufsausbildung, einfach für alles. Hier draußen braucht er keinen Test. Er habe nicht mal einen Flugschein, aber Hrelmut und ein anderer Freund brachten ihm das Fliegen bei und er kaufte sich ein Flugzeug, schlug sich im Wald eine Piste frei und flog, Hielt nach Karibus und Elchen Ausschau und freute sich dass er fliegen kann. Das sei es, was Kanada für ihn bedeutet. Tut tust einfach was du für richtig hältst und vergisst, dass es Ottawa und eine Regierung gibt. die sind weit weg und wissen ohnehin nichts vom Leben im Busch. Mit dem Fliegen klappte es halt nicht immer. Eines Tages blieb der Motor mitten über den Wäldern stehen. Über Funk rief er Freunde, unter anderem Helmut an und flog sein Flugzeug kontrolliert in die Fichtenwälder. Er sei dabei am Kopf verletzt worden und sei seitdem ein wenig vergesslich. Wie zum Teufel hätte ein Fluglizenz das verhindert? Fliegt man mit Lizenz besser? Früher, da sei man jeden Monat in die Stadt gefahren, aber heute, die Stadt, gemeint ist Dawson, sei viel zu groß, zu viele Bürokraten. Nein vier mal im Jahr ist genug und Sally sei schon ewig nicht mehr dort gewesen. Es wird gekauft, was nötig ist, Werkzeug, Schrauben und halt sowas, und dann schnell nachhause. Schnell ist dabei relativ, denn die Fahr dauert immerhin etwa drei Stunden. Im Winter gehe man seine Trappline ab, jage Bären , Karibu, Elche, damit hat man dann Vorrat für das Jahr. Nein, die Stadt habe ja nichts mehr zu bieten. Und seit die Demokraten in den USA an der Regierung sind wird alles nur noch schlimmer. Alles wird teuer, überall stiften sie Krieg an, nein Trump wäre der richtige Mann gewesen. Sogar Putin hätte ihn akzeptiert. Im Übrigen, fragt er mich, sei es nicht so, dass in der Ukraine die Nazis an der Macht sind und die Amis die NATO für die Ukraine geöffnet haben. Da müsse Putin sich doch wehren. Er wolle ja nur das alte Russland wieder herstellen. Ich drücke mich mit einem Achselzucken um eine Diskussion herum, Erkläre, dass die Nazigeschichte ein Vorwand Putins sei und ich eine andere Meinung zum Ukrainekrieg und Trump habe, aber es sei in einer so schwierigen Lage eben immer schwer zu beurteilen was richtig oder falsch sei. Mit diesem Einwand gibt sich Earl zufrieden. Es sei gut, dass ich meine Meinung habe, wie ja auch Helmut ganz anders über Trump dächte, aber er schätze an uns Kerlen, dass wir deswegen nicht herumbrüllen und uns prügeln wollen. Hier draußen ist ohnehin alles egal. Ich bitte ihn um ein Foto und wir gehen hinaus vor das Haus. Bye-bye und FidiBus rollt vom Hof. Ich mache noch einen kleinen Umweg zu der alten Goldgräbersiedlung am Zusammenfluss des Forty Mile River in den Yukon. Zweitausendundneun übernachtete ich hier auf meinem Weg mit dem Kanu nach Eagle, meiner nächsten geplanten Station.

Eagle

Die Wolken sind verschwunden und nun sehe ich die weit über das Land. Tiefe Schluchten und unzählige Flüsse, die sich ihr Bett schroff in den Fels gefressen haben. Zwei Stunden benötige ich zurück zum Highway. Und dann kommt der Abzweig nach Eagle. Von eintausend Metern geht es wieder hinab bis auf vierhundert Meter. Wieder benötige ich für die etwa vierundsiebzig Kilometer etwas mehr als zwei Stunden die Strecke hat einen wahrhaft alpinen Charakter mit unendlich vielen Ausblicken. Ich merke mir die Stellen für die Rückfahrt. In Eagle mache ich mit FidiBus eine Runde durch d en Ort, Er hat sich sehr verändert, seit ich ihn vornunmehr dreizehn Jahren das letzte Mal sah. Freilich, damals hatte das Eis die gesamte Uferbebauung abrasiert. Häuser wurden fortgeschwemmt, andere vom meterhohen Eis zerstört, wieder ander wurden einfach nur beiseite geschoben, ohne großen Schaden zu nehmen.

Heute ist wirkt der gesamte Uferbereich aufgeräumt. Anstelle des historischen alten General Store wurde etwas weiter vom Fluss entfernt ein neues hässliches Hotel gebaut mit einem Supermarkt und einer Bar im Erdgeschoss. Einige Hhuser wurden wieder aufgebaut, andere neu errichtet, teilweise an höherer Stelle. Es ist Abend, und ich habe nun den Wunsch etwas zu essen und dann ins Bett zu gehen. Einen Schlafplatz finde ich in der Nähe des Flugfeldes. Bald knistert mein Lagerfeuer und dann ist Feierabend.

Wie ich zum Geheimnisträger wurde

Um acht Uhr stehe ich auf. Das scheint meine Zeit zu sein. Mit Frühstück, Zusammenpacken und, kurzen Motorcheck brauche ich knapp eine Stunde, Dann Zähneputzen und meine Vergesslichkeitscheckliste abarbeiten aber dann lasse ich den FidBus wieder brummen. Hheute möchte ich mir Eagle ein wenig genauer anschauen. Am alten gericht, dem ersten im Yukon, treffe ich auf eine Gruppe, die sich zu einer Führung zusammengefunden hat. Alte Freunde, die sich hier tafen um gemeinsam den Yukon bis nach Circle zu paddeln. Am Ende schlagen sie vor, dass ich mich ihrer Führung anschließen soll. Die Gästeführerin erklärt mir, dass sie 2009, als das Eis kam elf Jahre alt war. Also ist sie heute vierundzwanzig Jahre alt, eine kleine quirlige Person mit einem burschikosen Kurzhaarschnitt und mit einem sympatischen Lachen in den Augen. Sie sei die Schwester des jetzigen Bürgermeisters erklärt sie mir und sie arbeite für die Provincial Parks, Dass sie hier sei, sei eher ein Zufall, da sie normalerweise draußen, mitten im Busch in Coal Mine wohne, in der Nähe des Slaven Roadhouses. Zwei Stunden zu Fuß vom Yukon aus durch den Wald habe sie zu laufen, doch machmal fliegt ihr Bruder sie nach Coalmine. Ich frage sie nach Ron, dessen Keller ich damals, vom Schlamm befreit habe und erfahre, dass er zwischenzeitlich gestorben sei. Das Cannabis habe ihm den Garaus gemacht. Er habe von morgens bis abends geraucht und eines Tages fehlte er im Stadtbild.

Ich stehe vor seinem Haus und die Erinnerung steht deutlich vor mir, wie er mir damals, auf seinen Gehstock gestützt die Türe öffnete und ich ihm erklärte, dass ich hier sei um seinen Keller auszuschaufeln. Mein Gott, hatte der sich gefreut. Nach zwei Tagen meldete ich ihm Vollzug und als ich ihm erzählte, dass ich eine Fluglizenz habe, bot er mir zum Dank an, mit seiner Piper eine Runde über dem Yukon zu drehen. Angesichts seines Fluggereätes, dessen letzte Wartung sicher länger als zwanzig Jahre zurücklag, verzichtete ich damals auf das zweifelhafte Vergnügen.

Nun steht es also da, das Haus, genau so, wie ich es in Erinnerung habe, aber es ist tot. Ein Raum ist leer geräumt, Küche und Schlafzimmer aber sind unverändnert, nur dass sich der Schleier des Verfalls darüber ausgebreitet hat. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein Haus zu betreten, das niemand mehr bewohnen wird und eines Tages in sich zusammenfällt, wie so viele der historischen Gebäude nach und nach an die Natur zurückgegeben werden.

An einem über und über mit Schildern dekorierten Schuppen halte ich an um ein paar Fotos zu machen. Ein Mann in Jeans und dem obligatorischen karierten Holzfällerhemd spricht mich sichtlich stolz an. Es sei sein Schuppen und wir reden. Ich erzähle ihm von d er Führungmit der netten jungen Frau. „It’s my sister“ erklärt er mir. Aha, ich stehe also vor dem neuen Bürgermeister. Man habe ihn zu dem Amt gedrängt, aber zu tun gäbe es ohnehin nicht mehr viel. In der Schule gäbe es noch ganze zwölf Schüler und wenn die fort seinen. Sei Eagle bald nur noch eine weitere Geschichte im Epos der sterbenden Siedlungen im Busch. Natürlich wollte ich wissen, ob d er alte Bürgermeister noch hier im Ort sei. Oh ja, er wohne ganz am Ortseingang, in seiner Tankstelle und Werkstatt. Er würde sich sicher freuen, wenn ich ihm einen Besuch abstattete. Warum nicht? Seine Werkstatt liegt ja auf dem Weg, also bahne ich mir meinen Weg durch alte Fahrzeuge, vorbei an einem Flugzeug und diversem Schrott und klopfe an die Tür seines Shops. In einem Durcheinander von Süßigkeiten, Werkzeug, Öldosen und Konsereven

sitzt Bo auf einem Klappstuhl, schaut mich an und als ich mich ihm vorstelle, lacht er und erinnert sich. Wir plaudern eine Weile über die Zeiten, die sich verändert haben, die Menschen und dann kommt das Gespräch auf Putin. Da ich ahne, worauf das Gespräch hinausläuft, wechsele ich elegant das Thema um darauf in ein noch bizarreres Gespräch gezogen zu werden. Warum man bei uns keine Waffen tragen dürfe. Jeder Gangster trage doch bei uns eine Waffe und die ehrlichen dürfen das nicht? Da half es auch nichts, dass ich ihm erklärte, die Gangster dürfen auch keine Waffen tragen, manche tun’s halt trotz allem. Der beste Schutz sei immer noch eine Waffe und um das zu unterstreichen, zeigt er mir seine Pistole, die er am Gürtel im Holster stecken hat. Ich bin beeindruckt. Der Preis der Sicherheit sei Blut erklärt er mir im Brustton der Überzeugung. Mein Gegenargument, dass es kaum ein Land gibt dass mehr durch Schusswaffen getötete Menschen aufzuweisen habe als die USA, wiegelt er ab. Alles Selbstmörder oder tragische Unfälle. Aber Jo Biden, der Verräter, will die USA vernichten. Er liefert sie dem Machtspiel der Chinesen aus und dann bekomme ich einen ausführlichen Vortrag gehalten über die von China und den kommunistischen Demokraten geplante Umwandlung der USA in eine kommunistische Diktatur. Ich lasse das mal so stehen und dann vertraut er mir etwas an:

Nun, wenn ich es für mich behalte verrät er mir etwas.Er wisse, wer Kennedy ermordet habe. Hier auf dem Stuhl, auf dem du sitzt saß ein Mann vom CIA und erklärte mir, er habe Kennedy das letzte Mal durch sein Zielfernrohr lebendig gesehen und Lee Harvey Oswald, ebenfalls ein CIA-Agent der die Sache zu verraten drohte, habe ebenfalls durch seine Hilfe sterben müssen.

Endlich also gehörte ich zu dem Kreise derer, die die Wahrheit kennen und ich werde mich hüten, ein Wort darüber zu verraten. Ich möchte zum Abschluss ein Foto von Bo machen. Er besteht darauf, „Only with my Trump cap“, schnappt sich seine rote Baseball cap mit der Aufschrift „Trump“ und setzt sich in Position. Leider war ich von den mir anvertrauten Geheimnissen noch derart schockiert, dass ich erst später bemerkte, dass mein Foto nicht korrekt fokussiert hatte. Instinktiv hatte er wohl einen Weichzeichner über die harten Fakten gelegt.

Irgendwie fühle ich mich erleichtert, als ich nach zwei Stunden in den FidiBus steige und Chicken, mein nächstes und für heute letztes Ziel ansteuere.