Der weitere Weg von Morricetown oder heute Witset spendierte mir noch einen letzten Blick auf diese Berge. Der Highway erscheint mir uninteressant und so beschließe ich nördlich des Highways auf einer geschotterten Piste zunächst nach Smithers zu fahren. Eine gute Entscheidung wie sich herausstellen sollte. Die Straße verlief auf der Höhe eines Bergrückens durch Wald und dazwischen immer wieder gepflegte Farmen. Auf den Weiden grasten Kühe und hier und da mischten sich Ziegen unter das Weidevieh. Ein heimatliches Gefühl kommt da auf. Da es keine Wegebezeichnung gibt und dieser Weg weder auf der Karte noch auf meinem Navi zu finden ist muss ich immer wieder nach dem Weg fragen oder einfach mein Glück versuchen. Einmal treffe ich den Farmer den ich nach dem Weg frage. Wir wechseln einige Worte über die schöne Landschaft. Er wohne im Paradis erklärt er mir. Doch bevor er mir die richtige Richtung weist, muss er erst noch die technischen Details meines FidiBus‘ wissen. Ob ich ihn verkaufe, will er gleich wissen, er könne ihn auch in Halifax abholen. Auch von der Ersatzteilsituation für ein europäisches Modell lässt er sich nicht schrecken. Bevor er einen Preis nennen kann klopfte ich meinem FidiBus auf den Kotflügel und versprach ihm, dass ich ihn nicht verkaufe. Wir sind doch Partner!
Und weiter geht’ts. Schaue ich zurück, erblicke ich noch ein letztes Mal die hohen Berge mit ihren schneebedeckten Gipfel, noch einmal das blaue Eis der zu Tal fließenden Gletscher.
An einer Kreuzung treffe ich vier Frauen, die mit ihrem Rad unterwegs sind. Gerade recht, denn wieder gibt es keinen Richtungshinweis. Wieder wird meine Frage freundlich beantwortet und dann wollen sie aber doch wissen woher ich komme. „Oh, mein Mann ist auch aus Deutschland. Er kommt aus Bad Homburg. Und schon bekomme ich die ganze Familiengeschichte zu hören. Als Zimmermann ist er hergekommen, in seiner Kluft auf Reisen. Er hat bei ihren Eltern gewohnt und ist geblieben. Sie hätten sich vom ersten Tag an ineinander verliebt. Nun haben sie zwei Kinder und fünf Enkel und betreiben ein Bed & Breakfest in Smithers. Am Ende fragt mich eine der Frauen, ob sie sich meinen FidiBus mal von innen ansehen dürfe. Ich öffne meine Pforte und sie staunt. So klein und alles vorhanden! Als nun auch diese Neugier gestillt war, bestiegen die Frauen ihre Räder und auch ich startete nun auf bekanntem Weg Richtung Smithers. Meine Kühltruhe muss dringend wieder gefüllt werden.
Es ist verdammt heiß und als ich eine kleine Brauerei sehe ist das die Gelegenheit, mich mit einem Bier zu erfrischen. Gegen die Hitze vernebelt die Gastwirtschaft Wasser über der Terasse es kühlt zwar, aber nach einer Weile wird es ganz schön feucht.
Noch einmal befrage ich die Karte und beschließe einer Empfehlung zu folgen und zum Ootsa Lake zu fahren noch einhundertfünfzig Kilometer und eine Fähre. Es ist halb vier und für die einhundertfünfzig Kilometer schätze ich zwei Stunden. Es könnte als klappen, die letzte Fähre um 6 Uhr noch zu bekommen. Fünfzehn Kilometer vor der Fähre überholt mich ein Motorradfahrer, dann bleibt er stehen und fährt wieder hinter mir her. RCMP! Ist mein erster Gedanke. An der Fähre, die mir gerade vor der Nase wegfuhr hält er neben mir an und bedeutet mir die Scheibe runter zu kurbeln. Kein RCMP! Ich atme auf. „Hey, bist du ein echter Deutscher?“ tönt es mir mit deutlich westfälischem Akzent entgegen. Und wieder muss ich die Geschichte erzählen, wie es FidiBus über den großen Teich geschafft hat. Und dann kommt seine Geschichte. Nach der Grundschule in Bielefeld Papa besucht, weil’s so schön war da geblieben, Schule besucht, Job bei einer Pipelinefirma gefunden, Frau gefunden, Zwei Kinder und hin und wieder vom Heimweh nachhause getrieben. An dauerhafte Rückkehr nicht zu denken. Dann erklärt er mir die Vorzüge seines Jobs, wenn er einer Gewerkschaft angehört. Über die Gewerkschaft bekommt er, wenn ein Job beendet ist automatisch einen neuen Job angeboten, oder sie zahlen das Überbrückungsgeld für den Winter, wenn ab Minus fünfunddreißig Grad die Maschinen nicht mehr arbeiten. Für die Unternehmen zahlt es sich aus, mit der Gewerkschaft zusammenzuarbeiten, da es auf diese Weise immer zu neuen Arbeitskräften kommt. Doch es fehlen Arbeitskräfte. Ich höre das Immer wieder. In Geschäften fehlt Verkaufspersonal es fehlen Lehrer, es fehlen Fachkräfte, nur Regierungsmitarbeiter gibt es in Hülle und Fülle. „Ach ja die Fähre kommt gleich, sie fährt bis elf Uhr Nacht jede Stunde“. Na bitte, wieder mal Glück gehabt. Rolf steigt auf sein Motorrad und fährt zurück in sein Camp.
Die Fährfahrt dauert zwanzig Minuten und ist kostenlos. Sie ist Teil des Highway Systems und ist staatlich. Nach einer weiteren Stunde erreiche ich mein Ziel, den Ootsa Lake Spillway Campground. Direkt am See gelegen bietet er etwa zehn Campsites. Jeder Campsite so groß, wie ein halbes Fußballfeld, durch Hecken geschützt oder in der Sonne. Ich such mir den sonnigen Platz etwas über dem See gelegen, sodass ich den einzigen Camper, der heute hier steht nicht sehe. Ich bin allein. Der See läd zum Baden ein und der Platz bietet alles was ich brauche. Ein Outhouse (Plumpsklo) und Feuerholz und… er ist kostenlos. Grund genug, zwei Tage zu bleiben. Kurz überlege ich, noch einen weiteren Tag an diesem Platz zu bleiben und eine Wanderung am Ufer entlang zu machen, doch die Entscheidung wird mir abgenommen. Ein Truck kommt zu meinem Platz und der Fahrer erklärt mir, dass auf dem Campground ein Fest der Parkmitarbeiter stattfindet und er deshalb für die Allgemeinheit gesperrt wird. Ich bedanke mich bei ihm für den gut gepflegt Platz, das Feuerholz und die Sauberkeit des Plumpsklos, denn schließlich haben diese Annehmlichkeiten eine gute Zeit beschert. Er freut sich darüber und schon ist der Damm gebrochen. „I’m Rob“: „Matt“ und dann berichtet er mir von dem Damm, der diesen See aufgestaut hat und dass der Strom ausschließlich für das beinahe tausend Kilometer entfernte Aluminiumwerk in Kitimat, nahe Terrace produziert wird. Viele Familien verloren damals ihr Zuhause und in der betroffenen Bevölkerung machten sich heftige Proteste gegen die Aluminiumwerke breit. Am Ende zahlte das Werk und der Staat so hohe Entschädigungen, dass viel die neue Chance nutzten und Sich mit dem Geld eine neue Farm in höher gelegenen Regionen neu aufbauten. Aber er hat noch einen Tipp für mich. „Wenn du auf der Forststraße vierundzwanzig Kilometer nach Süden fährst, dann triffst auf ein Schild BREWERY. Biege rechts ab und nach vier Kilometern kommst du zur Ursa Minor Brewery. Dort kannst du auch campen.“
Das hört sich doch gut an und so mache ich mich auf den Weg.
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