Was soll nach dem tollen Tag im Sägewerk noch folgen. Sowohl Cäcilia und Hans als auch ich verabschieden uns von John Lammerts van Bueren, so sein voller und ganz und gar holländischer Name, mit einem Gefühl, das man am ehesten mit Ehrfurcht umschreiben kann. Welch eine Geschichte.
Die Nacht verbringen wir auf einem komfortablen Campsite am Lakelse nahe Terrace. Schwimmen im See und dann ist der Zeitpunkt gekommen meinen Lachs aus der Kühltruhe zu holen. Tiefgefroren braucht er eine Weile bis ich ihn zubereiten kann, doch zwischenzeitlich würfle ich die Karotten, die Schalotten, dazu Frühlingszwiebeln, das Korottengrün, eine gelbe und eine rote Paprika, die ich in Olivenöl in der Pfanne anröste. Später lege in die Lachstranchen obenauf und pochiere alles noch einmal für etwa acht Minuten abgedeckt über dem Grill. Ein Sonntagsessen!
Am Morgen weckt mich die Sonne beizeiten. Noch einmal springe ich in den See und genieße die Ruhe umgeben von uralten riesigen Zedern. Vögel und Eichhörnchen springen in ihnen herum und ich spüre nichts als Frieden.
Dann ist es so weit. Es ist nun an der Zeit, mich von meinen beiden Freunden, Cäcilia und Hans zu verabschieden. Zwar heben wir mit Prince Rupert das gleiche Ziel aber andere Zeitpläne. Ich gebe zu, ein wenig Trauer liegt in den letzten Umarmungen, aber wir werden uns in Deutschland oder in der Schweiz wiedersehen.
An Prince Rupert habe ich relativ wenig Erwartungen. Die Stadt ist eine jener nordamerikanischen Städte die schnell gewachsen sind und ebenso schnell ihre Blütezeit hinter sich gelassen haben. Im Hafen hoffe ich auf Informationen zu den Fährfahrplänen zu erhalten, dort dort wird lediglich auf das Internet verwiesen. An der Waterfront stelle ich mich zu einer Gruppe Menschen, die hier auf das Erscheinen der Wale oder wenigstens eines Seehundes hoffen, doch bleibt das Hoffen unerfüllt. Also fahre ich zurück. Mit Nachdruck legte mir John bei unserer Besichtigung nahe, einen Cappuccino im Café Cowpuchino zu trinken. Er sei der beste Cappuccino am Nordpazifik. Das Café liegt in dem alten Viertel von Prince Rupert und schon der Gedanke an einen guten Kaffee lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Wegbeschreibung dorthin, die von den Einheimischen bekam war eindeutig. Genauso eindeutig machte man mir jedoch klar, dass das Café wegen einer privaten Feier geschlossen sei. Dann werde ich Die Stadt wohl verlassen, ohne in diesem wirklich hübschen Lokal den berühmten Cowpucino Cappuccino probiert zu haben. Der alte Ortsteil,
Cow Cove ist recht hübsch. Ehemalige Schiffsausrüster, einige alte Häuser direkt am Hafen und eine Bar mit Bordell wurden hübsch restauriert und das Bordell empfängt auch heute noch seine Gäste die mit wohl gefüllter Geldbörse hier sicher auf ihre Kosten kommen. Heute allerdings wird man nach leicht bekleideten und lasziv am Tresen lehnenden Damen lange Ausschau halten müssen. Dafür erwartet freundliches Personal den Gast zu einem kulinarischen Vergnügen in gediegener Atmosphäre. Nebenan befindet sich ein Lokal mit einer hübschen Terrasse die einen schönen Blick über den Hafen und hinaus auf den Pazifik verspricht. Eigentlich, so beschließe ich habe ich mir nach drei Monaten einmal wieder ein Glas Wein verdient. Ohne lange Diskussionen mit meinem inneren Schweinehund sitze ich fünf Minuten später auf eben dieser Terrasse vor einem Glas Rotwein und genieße die warmen Strahlen der August-Abendsonne. „Ahhh, wunderbar“. Siehe da, als Zugabe zu der Karaffe Rotwein bekomme ich einen Seehund zu sehen, der neugierig durch das Hafenbecken schwimmt und sich durch die Sonnenstrahlen den Bauch wärmen lässt. Der Sonnengang findet hinter den Bergen statt. Schade, aber schnell wird es kühl, ich zahle und und verabschiede mich gut gelaunt. So schlecht ist Prince Rupert doch nicht. Mein Quartier beziehe ich, mangels eines besseren Platzes auf einem Wanderparkplatz, etwa fünf Kilometer nördlich der Stadt. Ich bin nicht der Einzige. Vier weiter Autos stehen dort, zwei davon Camper-Vans. Naja, für eine Nacht wird’s gehen.
Etwas bohrte am Morgen in mir. Es war das Verlangen doch noch einmal zu versuchen, ob ich nicht heute zu meinem Cappuccino komme. Also fahre ich noch einmal in die Stadt. Wenn ich schon mal da bin, kann ein Besuch im Visitor Center nichts schaden. Ich frage die Dame hinter dem Tresen nach Fährverbindungen zu den Insel, doch außer den teuren BC-Ferries hatte sie keinen Tipp für mich und von einer Fährgesellschaft, die sich Pacific Highway nannte, die wie ein Bus zwischen den Insel verkehrt, wusste sie gar nichts. Empfehlungen, was es in der Stadt und ihrem Umfeld zu sehen gibt nannte sie nur das Übliche. Museum Waterfront und die Shopping Mal. Erst die Nachfrage ob es sich lohnt in das nahe Port Edward zu fahren, brachte sie auf die Spur, dass ich das in jedem Falle tun solle. Dort gäbe es eine Alte Konservenfabrik, in der Lachs in Dosen für den weltweiten Handel produziert wurde. Die acht Dollar Eintritt seien jedoch bar zu bezahlen, da dort kein Netz für die Kartenzahlung vorhanden sei. Ein Bus führe alle Stunde. Eine Aussage die sich, sowohl was die Kartenzahlung als auch die Busverbindung anbelangt schon bald als falsch herausstellt. Eine ältere Dame stand die ganze Zeit schweigend hinter mir und gab mir den gewünschten Tipp, dass die von mir gesuchten Wassertaxis direkt unten im Hafen ablegten und zu einem festgelegten Fahrplan, aber auch nach Wunsch zu den vielen kleinen Insel fahren. Ich bedankte mich für den Hinweis, und ging zum Anleger, doch das Tor war noch verschlossen. Zeit für den Cappuccino Tatsächlich hatte John recht. Der Cappuccino war köstlich ich sitze auf der Bank vor dem Café und sehe die Dame aus der Tourist-Info zu mir herüber winken. Ich winke zurück und da kommt sie herüber. „Ich hoffe, sie nehmen es mir nicht übel, dass ich sie so einfach anspreche, ich tue das sonst nicht“ spricht sie mich sichtlich peinlich berührt an. „Ich habe vernommen, dass sie heute nach Prince Edward zu der „Old Cannery“ fahren möchten. Habe ich das richtig verstanden?“ „Ganz genau, ich versuche die Führung um ein Uhr zu erwischen“. „Wissen sie, ich habe zwei Freundinnen, die ebenfalls heute dorthin fahren wollen, doch der Bus fährt schon lange nicht mehr dort hinaus und wenn ich mit dem Auto fahre, wäre es dann wohl möglich meine Freundinnen mitzunehmen?“ Natürlich gab es da kein Zögern. Ich müsse ein wenig Platz schaffen, da ich nur einen freien Sitz habe, doch wenn eine der Damen mit meiner Kühltruhe als Sitz vorlieb nähme spricht nichts dagegen. „Wissen Sie, eine der Damen ist sehr groß“. Mit einer Geste deutet sie an, was sie mit „groß“ meinte. Eine viertel Stunde später wurden mir Anneke und Margriet, zwei holländisch stämmige Damen um die siebzig, vorgestellt. Schon auf der Fahrt in die Old Cannery entwickelt sich lebhaftes Gespräch. Die beiden sind Cousinen, die bereits seit Jahrzehnten gemeinsam durch die Welt reisten. Einst als Hippies, mit allem Drum und dran und später so, wie es sich für erwachsene Lady gehörte. Am Ziel angekommen bestehen die Damen darauf, meinen Eintritt zu übernehmen. Der Besuch des alten Fischereibetriebes ist sein Geld wert.
Die Anlage ist liebevoll restauriert und die Führung beschreibt anschaulich die Arbeit in der Konservenfabrik. Sie führt aber auch vor Augen, welch strenge Hierarchie bei der Verteilung der Aufgaben herrschte. Da waren die Weißen. Zumeist hatten sie die „Kragen und Krawattenjobs“ in der Verwaltung. Dann kamen die „Indiginousginous peoples“. Die Männer hatten die schwere Arbeit zu leisten und die Frauen die schmutzigste und krankmachende Arbeit bei der Reinigung und beim Ausnehmen der Fische.
Den ganzen Tag, oft zwölf oder dreizehn Stunden am Stück hatten sie ihre Hände im kalten Wasser und dann gab es schließlich noch die Chinesen, die bekannt waren, für den Umgang mit den Messern. Sie zerlegten bis zu fünfundvierzig Lachse in der Minute. Ich sehe sie förmlich vor mir, die scharfen blutigen Messer, die mit gekonntem Schwung einen ganzen Lachs vom Kopf und Schwanz sowie den Flossen und Finnen befreiten, so schnell, dass man den Vorgang kaum mit den Augen verfolgen konnte. Später wurde die Arbeit der Chinesen, die man hier die „Chinks“ nannte, durch eine Butchetry-Maschine ersetzt. Der offizielle Name dieser Maschine wäre heute undenkbar. Auf dem Messingschild des Herstellers prangte als Maschinenbezeichnung der Name „Iron Chink“.
Während der Rückfahrt erhält Anneke einen Anruf von ihrer Freundin Carol. Später erzählt mir Anneke mit der rauen Stimme einer Kettenraucherin, Carol hätte sie gefragt wie der „german Guy“ sei. „is he okay?“. Die Antwort muss wohl positiv ausgefallen sein, denn für den nächsten Tag werde ich eingeladen um mit den drei Damen Carol, Anneke und Margriet auf die kleine Insel Dodge Cove zu fahren. Über dies Einladung freue ich mich wahnsinnig, auch wenn das bedeutet, dass ich eine weitere Nacht auf dem Parkplatz vor den Toren Prince Ruperts zu verbringen habe. Erst einmal wartet aber ein Glas Rotwein auf meiner Terrasse auf ich.
Pünktlich um elf treffen wir uns im Cowpuccino, trinken Kaffee, essen ein Schinken-Käse-Bagel und dann rauschen wir im Wassertaxi hinüber nach Dodge Cove. Carol holt uns am Hafen ab und gemeinsam gehen wir den Schotterweg bis zu ihrer Cabin. Die Insel ist ein Traum. Alte Blockhäuser stehen verstreut in wunderschön angelegten Gärten. Neben bunten Blumen ist es Gemüse das hier üppig wächst. Anneke wird hier mit Hallo begrüßt. Sie ist nicht nur bekannt sondern ganz offensichtlich auch sehr beliebt. Lange Zeit wohnte sie auf einer Nachbarinsel und arbeitet als Briefträgerin, in der Konservenfabrik in Prince Rupert und wurde bekannt durch ein Buch, in dem das Leben junger Frauen an der Nordküste British Columbias beschreibt und in dem Sie ihr Leben und Reisen mit ihrer Cousine als ihren feministischen Beitrag zu der damals nur zögerlich in Gang kommenden Feminismus Diskussion. Sie beschreibt zwei Frauen, die sich nicht von Vorurteilen und frauenfeindlichen oft Frauen verachtenden Bemerkungen erschrecken lassen, sondern einfach ihren Weg gehen.
Carol stellt mich ihrem Freund und Lebenspartner Bill vor. Ein Mann mit weißem Haar, dass in allen Himmelsrichtung von seinem Kopf absteht. Der Bart ist grau und ebenso ungezähmt wie sein schütteres Haupthaar. Am auffälligsten aber sind seine lachenden Augen. Ich mag Bill auf Anhieb. Er stellt sich mir als Bill vor, dem man nichts glauben darf. „I’m a big genious liar“ und wolle ich die Wahrheit wissen, dann solle ich mich an Carol halten. Carol bestätigt mir, dass Bills Spezialität Anglerlatein, Seemannsgarn und unglaubliche Stories seien. Wir sitzen im Garten vor dem Haus, trinken ein Glas Limonade und schauen über die alten hölzernen Docks aufs Meer. Alte Geschichten werden in die Gegenwart geholt, alte Lieben neu zum Leben erweckt und die Luft ist gefüllt von Fröhlichkeit und unserem Lachen. Nicht eine Sekunde bin ich fremd. Stolz führt uns Bill durch seinen Shop, die Werkstatt. Erst auf den zweiten Blick eröffnet sich mir das System, das aus unendlichen Mengen scheinbaren Schrotts ein wohldurchdachtes „geordnetes Chaos“erkennen lässt. Es ist wunderbar Bills Freude zu sehen, wenn er mit strahlenden Augen einen alten Bootsmotor freilegt und erklärt, wie er ihn zum Laufen gebracht hat.
Zur Zeit arbeitet er daran ein altes, ehemaliges Fischerboot wieder flott zu bekommen. Sein Freund helfe ihm dabei, auch, wenn er genau genommen an beiden Händen nur Daumen habe. Aber die Frau seines Freundes wäre froh, ihn auf diese gut auf seinem Spielplatz untergebracht zu haben. Carol hat inzwischen das Mittagessen fertig Sokey-Lachs mit Reis und Pilzen und zum Nachtisch ein Crumble mit Beeren aus dem Garten. Ein Freund wird gerufen. Cai ist vor einigen Jahren aus Deutschland hierher gezogen und lebt mit seiner kanadischen Frau nun in Kanada. Wir unterhalten uns angeregt und die Frage, was es für ihn bedeutet Kanadier zu sein verwirrt ihn, doch nach einigem Nachdenken ist es die Freiheit die er erfährt. Was zählt ist die Erfahrung, die Persönlichkeit, die ihm ein freies Leben garantiert. Beinahe jeder Job stünde ihm offen. Wohlstand spielt nur eine untergeordnete Rolle, und dann ist es diese unendliche Natur und das Leben, das man in völligem Einklang mit ihr führen kann. Ungehetzt und stressfrei. Jeden Morgen beginnt ein neuer Tag.
Später gesellt sich noch ein ehemaliger Abgeordneter aus Ottawa zu uns, der sich seit einem schweren Unfall aus der Politik zurückgezogen hat und sein Leben hier auf Dodge Cove genießt. Viel zu schnell vergeht der Tag. Das Schnellboot wird uns in einer viertel Stunde wieder abholen. Der Abschied ist herzlich, Carol bleibt auf der Insel bei Bill. Als ich Carol erkläre, dass dies ein ganz besonderer Tag für mich gewesen sei, gerade so, als sei ich bei meiner eigenen Familie zum Sonntagsbesuch, da strahlt sie und nimmt mich noch einmal in ihre Arme. Es tut gut. Angekommen in Prince Rupert lade Anneke und Margriet zu einem Wein und einem Snack ein. Es bleibt nicht bei einem Wein, was unsere Laune weiter hebt. Am Ende verabschieden auch wir uns. In meine Adresssammlung füge ich nun die Adressen der beiden Damen hinzu und muss Margriet versprechen unbedingt anzurufen wenn ich in der Nähe von Ottawa bin oder Anneke sobald ich weiß wann ich Vancouver erreiche. Beide boten mir an gern bei ihnen wohnen zu können. Noch einmal fahre ich zu meinem Parkplatz und noch einmal höre ich die Geschichten eines „Mitbewohners“ von der Schwierigkeit eine bezahlbare Wohnung zu finden, selbst wenn man einen gut bezahlten Job als „Longman“ im Hafen hat. Longman, also die Schauerleute werden gesucht wie die Nadel im Heuhaufen und entsprechen gut ist der Lohn. Zwischen fünfundvierzig bis sechzig Dollar die Stunde. Aber nicht jeden Tag gibt es Arbeit und manchmal nur für ein paar Stunden.
Ich gehe schlafen. Morgen geht es weiter. Noch ein letztes Mal hinauf in den Norden.
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