Aktualisiert am 10. Juni 2022

Eisberge

Heute also gehe ich Eisberge „spotten“. Um sieben Uhr bin ich wach, die Heizung spring programmgemäß an und so hab ich es wenigstens warm. Draußen sind es zwei Grad, da schätzt man die Wärme einer guten Standheizung. Bereits eine halbe Stunde später ist die Sonne kräftig genug, dass ich die Heizung ausmachen kann. Tisch und Stuhl sind rasch aufgebaut und ich bereite mir ein Spiegelei und Müsli für das Frühstück im Freien vor. Der heiße Kaffee weckt meine Lebensgeister und so bin ich um neun Uhr startklar. Auf zu den Eisbergen. Vor meinem gestrigen Pub halte ich noich einmal an um noch einmal Zugang zum kostenlosen WiFi zu erhalten. Ich brauche nicht einmal hineinzugehen, auf dem Parkplatz ist es noch stark genug um meine Galerie zu pflegen. Um dem leidigen Problem mit schwachem Internet aus dem Weg zu gehen, habe ich mir zwischenzeitlich Software heruntergeladen, mit der ich meine Bilder auf Kosten der Qualität so weit verkleinern kann, dass ich sie auch bei suboptimalen Bedingungen in meinen Blog hochladen kann. Um halb zehn starte ich meine Eisbergjagd. Nicht weit von Twillingate hat man einen großen Eisberg gesichtet. Doch an dieser Stelle ist weit und breit keine dieser weißen und blauen Majestäten zu sehen. Ich trete ein wenig frustriert den Rückzug an – doch da! Ganz am Horizont, das könnte gut ein Eisberg sein. Ich setzte zurück um in einen Weg zur besseren Sichtung einzubiegen und… Schraaaaach! Ich saß mit dem Hinterfuß meines FidiBus im Graben. Schei… Aus eigener Kraft kann ich mich nicht mehr befreien. So tiegere ich also los, klopfe an viele Haustüren des kleinen Fischerdorfes, doch um diese Zeit ist niemand mehr zuhause. Doch das Glück ist mir hold, an einem Haus ist ein älterer Herr damit beschäftigt, seine Büsche in Form zu schneiden, vor der Haustür steht ein Truck und damit die wesentliche Voraussetzung, meinen FidiBus zu bergen. Wie nicht anders zu erwarten, bekomme ich die ersehnte Hilfe und wir starten wieder in einen sonnigen Tag.

Und jetzt sehe ich ihn, hinter einer Brücke treibt er majestätisch dahin, ein Eisberg!

Genau genommen ist es kein wirklicher Eisberg sondern ein Zwergberg oder einer im embryonalen Stadium. Besser als nix und aus der richtigen Perspektive fotografiert kann ich ihn zum einem adoleszenten Eisberg wachsen lassen. So ganz erfolglos bin ich also heute nicht.

Dann breche ich auf, dreihundertzwanzig Kilometer auf Highway Nummer Eins in Richtung Deer Lake. Hier stehe ich nun, die Moskitos beobachten mein Treiben, wagen sich jedoch nicht heran und während sich andere Übernachtungsgäste auf diesem nicht ganz so romantischen Wanderparkplatz wild fuchtelnd der Plagegeister zu erwehren versuchen, sitze ich unbehelligt vor dem FidibBus, genieße mein Feierabendbier und danke den Genen meiner Eltern, die mir den Insektenschutz ganz offensichtlich in mein Blut spülen. Liebe Eltern, was habt ihr früher getrunken? Ich weiß, zu eurer Zeit gab’s viel russischen ,selbst gebrannten Vodka. Na denn!

Es ist der neunte Juni. Hohe Cirruswolken verdecken heute Morgen die Sonne, doch es ist an diesem fruhen Morgen schon recht warm. Nach einem ausgiebigen Frühstück fahre ich zunächst zu der Big Stop Tankstelle bei der Stadt Deer Lake. Hier kann ich nicht nur tanken sondern auch duschen. Bisher hat sich mein FidiBus als sehr sparsam erwiesen. Weniger als sieben Liter genügen ihm, was sicher auch daran liegt, dass ich hier den Tempomat auf siebzig Stundenkilometer einstelle und würde ich das Lenkrad noch festzurren, so könnte ich für hunderte von Kilometern während der Fahrt nach hinten gehen und mir einen Kaffee bereiten. Gegen elf Uhr breche ich nach Westen auf und überquere die Long Range Mountains, die sich über ganz Newfoundland Island in Nord-Südrichtung entlang ziehen. Wieder hat sich die Sonne durch die Wolken die Oberhand gewonnen. Immer wieder halte ich an um die fantastischen Ausblicke auf die schneebedeckten Berge und die tief ins Land hineinreichenden Fjorde zu bestaunen. Nach etwa zwei Stunden bin ich wieder am Nordatlantik oder genau genommen am Sankt Lorenz Strom. Der Highway vierhundertdreißig zieht sein graues Band direkt entlang der Küste. Links und rechts der Straße stehen silbrig grau die vom Wind geknickten Föhren. Mein Ziel ist der Leuchtturm nahe Brig Bay. Etwa zwanzig Kilometer führen vom Highway über eine mit Pitholes übersähte Straße hinaus auf eine Landzunge in der Margaret Bay. Die letzten drei Kilometer schleiche ich mich über eine raue und mit noch mehr Schlaglöchern übersäte Schotterpiste zum Leuchtturm.


Der Platz ist ein Traum. Ganz an der Spitze der Landzunge steht der Leuchtturm und sendet sein Blinklicht hinaus in die Nacht. Wohin ich Blicke, ist Meer, am Horizont die schneebedeckten Berge der Long Range Mountains. Alles ist still, der Mond steht am Himmel, und nur der Wind pfeift in den Telefonmasten. Vom Meer herauf rauscht die Brandung des Meeres. Für die Nacht ist Regen gemeldet. Mit Silikon dichte ich deshalb meine Zargeskisten auf dem Dach noch einmal ab. Beim erneuten Verzurren der Kisten fällt mir die Brille von der Nase. Ich finde sie unter meinem FidiBus, doch es fehlt das linke Glas. Nur nicht herumtreten. Ich taste den steinigen Untergrund ab und finde das Glas unverletzt. Vorsichtige füge ich es in seinen Rahmen ein und habe mir nun mein Feierabendbier redlich verdient.

Morgen fahre ich nach St. Anthony. Acht Eisberge zögen dort nahe der Küste nach Süden. Weiter Eisberge befinden sich auf dem Weg von Grönland auf Neufundlands Ostküste zu. Vielleicht habe ich dieses Mal mehr Glück.

Obwohl, viel mehr Glück geht gar nicht mehr, vier Tage hintereinander Sonnenschein in Neufundland grenzen allein schon an ein Wunder.

Samstag 10.Juni 2022

Um sieben Uhr bin ich heute bereits wach. Es regnet und über dem Festland bilden Wolken Regen und ein Stück blauen Himmels ein dramatisches Bild.

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg nach St. Anthony. Der Regen wird heftiger und je näher ich der Stadt komme, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ich heute Eisberge sehe. Graue Nebelschwaden werden vom Wind über verdorrte, silbriggraue Föhren getrieben. Schnee liegt noch in Fetzen bis auf Meereshöhe, die Sicht wird immer schlechter. Und dann, am Straßenrand tauchen zwei Karibus auf und kurz darauf ein recht kleiner Elch. Na also: Es gibt sie also doch. Den Gedanken an Eisberge gebe ich auf, nutze aber die Gelegenheit mich noch einmal für die nächsten zwei Wochen mit Lebensmitteln und einer Flasche Whisky zu versorgen. Die Überfahrt nach Labrador ist für morgen acht Uhr geplant und dann beginnt das Abenteuer. Beinahe 2000Km geht es dann weiter von Blanc Sablon, dem nordwestlichsten Zipfel Quebecs auf dem Trans Labrador Highway bis nach Baie Cameau das wieder im Staat Quibec am St. Lorenzstrom gelegen ist. Dazwischen nichts als Labrador.