Das Pitt, die zweite Auflage
Juli 2022
Wie jeden Morgen nehme ich mir auch heute die Zeit für ein gemütliches Frühstück. Der Regen, der mich nachts in den Schlaf trommelte hat aufgehört. Es sieht nach einem schönen Tag aus. Halb elf mache ich mich auf den Weg zur Fähre über den Yukon nach Downtown und fahre , wie von Helmut beschrieben, auf der Frontstreet bis Harper Street und dann auf dieser Straße den Berg hinauf bis direkt am Wald sein Haus in Sicht kommt. Es hat sich nicht verändert. Das Holz der Außenwände ist grün gestrichen, die Laibungen der Fenster und Türen sind beige. Bereits von außen strahlt es diese warme Atmosphäre aus, die ich schon 2015 bei meinem ersten Besuch mit Gitte erlebte. Der Tag fliegt mit Erzählen dahin und ehe wir uns versehen ist es sechs Uhr abends. Helmut und Marielle haben eine Einladung zu Nachbarn und ich mache mich auf den Weg in die Stadt. Mein Weg führt mich vorbei an einem Haus, das mal eben so von seinem Fundament gehoben und zur Seite geschoben wurde, um den Keller ein wenig tiefer zu legen. Mit mir bewunderte ein weiterer Mann die Baustelle. Wir kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass er für Ärzte ohne Grenzen den Winter über nach Inuvik zieht und dort die mobile Praxis übernimmt. Es gibt viel zu erzählen. Er war im Afghanistan, in Sambia und zuletzt in Syrien. Besonders in Syrien ist die Lage so, dass immer noch nur sehr vereinzelt Helfer ins Land gehen. Zu schnell wird man vom IS als Unterstützer des amerikanischen Feindes gesehen. Wir entschließen uns, unser Gespräch im Pitt fortzusetzen. „Jamie“ und ich entschließe mich zu einem „Matt“, denn so kürzt hier ohnehin jeder meinen Namen ab. Über seine Eltern hat er irakische Wurzeln. Sein Vater war in die USA eingebürgert, seine Mutter ist Kanadierin und somit hatte er beide Staatsbürgerschaften. Schon früh legte er jedoch die amerikanische Staatsbürgerschaft ab, da er das Gefühl hatte, nicht von dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden. Für die Amerikaner war ein „Hispano“ oder „Black“.
Inzwischen traten fünf junge Frauen singend und lachend, gekleidet in eine weiße Toga durch die Türe. Schnäpse in kleinen Flaschen wurden verteilt, wahrscheinlich ähnlich unserem „Kleinen Feigling“ oder anderem alkoholischen Süßkram, die Stimmung steigt merklich. Irgendwann kann ich meine Neugier nicht mehr im Zaume halten und frage nach dem Grund des Frohsinns. Eine Bridal Party erklärt man mir, also Junggesellinnenabschied! Das Gespräch mit Jamie wird der Aufmerksamkeit geopfert, die der Fortgang des Ereignisses erfordert. Irgendwoher taucht plötzlich Sprühsahne auf, der Tisch wird damit dekoriert und so geschmiert, wird die Braut über den Tisch gezogen. Mahlzeit! Hoffentlich ist das kein schlechtes Vorzeichen. Unter lautem Gegröle stellt sich eine weitere Frau in Arbeitsjeans und und Malerjacke in die Türe, zieht die Jeans über ihren Po und lässt den Vollmond dreimal scheinen – ein übliches Ritual erklärt man mir. Ja so sans, ja so sans, ja so sans die jungen Yukonleit …
Nach dem obligatorischen Caesar und zwei Bier kehre ich zurück zu Helmuts Haus. Es ist zwei Uhr nachts, es ist hell und ich lege mich in mein Bett und schlafe sofort ein. Um zehn Uhr möchte ich mich auf dem Dempster Highway nach Inuvik aufmachen.
Doch es kommt anders als gedacht.
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