Der Highway bis Tête Jaune Cache zieht sich dahin. Es gibt keinen Anlass für ein Stop, aber der Verkehr nimmt zu und damit ist es auch vorbei mit dem Cruisen. Die Maximalgeschwindigkeit ist gleichzeitig die Richtgeschwindigkeit, besser man überschreitet diese noch ein wenig, als dass man darunter bleibt. Kanadier fahren gerne schnell, zumal es kaum Kontrollen gibt. Heute ist es trüb. Tiefe Wolken liegen auf den Bergen und nur selten wird der Blick frei auf die vom Eis bedeckten Gipfel. Ganz allmählich geht es bergauf und rechtzeit am Fuße des mt. Robson reißt die Wolkendecke für wenige Minuten auf und gibt den Blick frei auf diesen höchsten Berg der kanadischen Rockies. 3954 Meter ragt der Gipfel in den Himmel. Diese Gebirge ist so ganz anders als die Alpen. Keine tief eingeschnittenen Täler begrenzen den gedanklichen Horizont und prägen das Leben ihrerer Bewohner. Es ist so, als hätte man die Alpen auf einer Gummimatte errichtet und zöge sie gleichzeitig an allen vier Seiten auseinander. Die Atabaska-Eisfelder rücken immer näher und dann erreiche ich den Icefield Pass auf eintausendeinhundert Metern. Und wieder erinnere ich mich, genau an diesem Punkt mit Gitte gestanden zu haben und das tiefe Blau des Eises bewundert zu haben. Es war eiskalt damals, ganz anders als heute, wo trotz des bedeckten Himmels die Temperatur angenehm warm ist. Und noch etwas ist anders: Der Betrieb. Die Parkplätze rund um den Aussichtspunkt sind gestopft voll. Lange Reihen von Bussen bringen die Touristen auf den Columbia Gletscher. Ich begnüge mich damit, bis auf zwei Kilometer an die Gletscherzunge heranzufahren, denn nur aus dieser Distanz ist das Blau des Eises so prachtvoll zu sehen. Die Fahrt über den Pass, bis auf dessen anderer Seite ist großartig. Die beinahe alpine Straße gibt immer wieder den Blick frei auf die hohen Berge, die Gletscher und die schroffen Kalk- und Dolomitfelsen. Der Bow-Lake Glacier reicht beinahe bis in den See, doch bin ich nicht der einzige Bewunderer. Busladungen von chinesischen Touristen schieben sich zum Ufer des Sees. Mit ihren Handysticks schießen sie Selfies aus jedem nur denkbaren Winkel. Ich suche mir ein weniger überlaufenes Eckchen und finde ein großartiges Motiv. Doch immer wenn ich meine Kamera bereit hatte, waren auch, wie in der Geschichte vom Hasen und dem Igel, die Chinesen schon da. Entschlossen trete ich der Gruppe entgegen und bitte sie, sich für eine Weile nicht vom Fleck zu rühren, bis ich mein Foto habe. Und da zeigt sich die Höflichkeit dieser Menschen. Nicht nur, dass sie stehenblieben, nein ein Herr sperrt auch die andere Seite des Weges ab und ich komme in aller Ruhe zu meinem Bild.
In Jasper lege ich einen Stopp ein. Ich erstehe im Touristenbüro eine Karte für die Fahrt mit der Sky Tram auf den Gipfel des Mt. Wistlers. Der Blick von hier oben ist atemberaubend. Ich möchte die zwei Kilometer bis zum Gipfel hinaufsteigen, doch auf halbem Wege sehe ich das Gewitter dessen Regenfahnen schon bedenklich nahe sind. Der Wind frischt auf und nach wenigen Minuten hat er sich zu einem Starkwind entwickelt. Alle Fahrten mit der Seilbahn wurden bis auf Weiteres abgesagt. Das saßen wir also, geschätzt achtzig Menschen auf der Bergstation und niemand konnte uns sagen, wann es weiter geht. Dann brachte man uns Wasser und Cookies, Es könne länger dauern und möglicherweise könne der Betrieb erst in der Nacht wieder aufgenommen werden. Na gut, eine neue Erfahrung reiht sich in mein Repertoir ein. In meinem Rucksack habe ich meinen eReader, also wird es mir nicht langweilig. Um mich herum quängelde Kinder, bellende Hunde, aber ansonsten war die Stimmung unaufgeregt und geradezu gelassen. Sollten wir die Nacht hier verbringen müssen, so versichert man uns, würden wir aus den Beständen des Kiosk verpflegt werden. Na gut, aber den völlig überzuckerten Süßkram brauche ich nicht unbedingt. Doch dann, zweieinhalb Stunden später, es ist halb acht, kommt die erlösendende Nachricht. Der Betrieb wird wieder aufgenommen. Es ist Zeit mir einen Schlafplatz zu suchen und da es auf der gesamten Strecke keinen Stellplatz gibt, folge ich der Beschilderung zu einem Provincial Parks Camping in Field. Von hier aus sehe ich hoch in den Felsen die Stollenausgänge der alten Blei/Zink-Minen. Während diese einfach nur still da oben ihren schwarzen Schclund präsentieren, zeigt sich die nahe Bahnlinie als weniger ruhig. Mit lautem Dieselgeröhre und dem Poltern und Quitschen der Waggons sowie dem durchdringenden Tuten des Signalhorns kriechen die oft über einen Kilometer langen Güterzüge den Berg hinauf, von zwei bis vier Lokomotiven unterstützt. Mit zwei Kehrtunneln schafft sie es, eine Steigung von zweikommasieben Prozent zu überwinden. Die technische Leistung versöhnt mich mit dem Lärm und so schlafe ich dann doch recht schnell.