Es ist Sonntag, der achtundzwanzigste August. Morgen möchte ich in Vancouver sein, die letzte Möglichkeit Lina und Philipp zu treffen, bevor sie am Dienstag in die USA weiterreisen. Ich sollte also heute bis Kamloops fahren. Es läuft alle prima, der Highway ist gut ausgebaut und ich komme flott voran, bis etwa fünfundzwanzig Kilometer vor Golden. Ein Hinweis auf eine Vollsperrung macht die Weiterfahrt erst einmal unmöglich. Ich frage einen Truckdriver, der ja mit seinen Kollegen stets über Funk Verbindung hat, wie lange die Sperrung dauert. Seine Antwort bedeutet das Aus für ein Wiedersehen mit meinen Freunden. Ich müsse mit achtundvierzig Stunden Sperrung rechnen. Es sei ein schwerer Unfall passiert, in den zwei Trucks verwickelt sind und da der Unfall drei Menschen das Leben kostete, müsse erst die zuständige Staatsanwaltschaft am Unfallort die Ursache klären. Ein Blick auf die Karte macht mir schnell deutlich, dass ich hier in einem Land bin, dessen Straßennetz bei Weitem nicht so dicht ausgebaut ist wie zuhause. Der Umweg bedeutet zusätzliche dreihundertachtzig Kilometer. Ich schreibe Philipp eine Nachricht, dass ich es nicht schaffen werde, doch es gibt kein Netz. Meine Nachricht wird also noch eine Weile unversendet bleiben.

Vielleicht fahre ich heute bis Lake Luise und mache dort eine Tageswanderung. Wieder mache ich die Rechnung ohne den Wirt, Lake Louise hat in weitem Umkreis keine freien Parkplätze und ist daher für den Autoverkehr gesperrt und so entschließe ich mich auf dem Highway #93 und #95 in Richtung Kamloops zu fahren, weiß aber, dass ich es so weit in keinem Fall schaffen werde. Ich habe nun Zeit gewonnen und die nutze ich zum Sightseeing. Auf dem Weg liegen die Marble Falls. Sie bieten auf meiiner Wanderung einen Einblick in vierzehn Millionen Jahre Erdgeschichte. Tief eingeschnitten in den Fels hat sich der Fluss seinen Lauf gegraben. Bis zu fünfundsiebzig Meter hat er sich in den Stein geschliffen und dabei natürliche Brücken, Kolke und bizarre Felsgebilde herausgefräst. Wie es bereits der Name andeutet, durchneidet das Wasser auf seinem Weg mächtige Bänke von Marmor. Tief unter mir trifft die Sonne für einen Moment den Grund. Grün leuchtet das Wasser, eingerahmt von gelben Sedimenten früherer vulkanischer aktivitäten, gelbem Dolomit und dem weißen Marmor. Und rotem einsenhaltigen Gestein. Bei Radium Hot Springs durchfahre ich enge Schluchten. So genannter Grünstein der Felsen sind Zeuge einer frühren Zeit der Gebirgsbildung, als durch das Aufeinanderschieben der Platten nicht nur die Gebirge entstanden, sondern damit einhergehend auch Erdbeben und ein ausgedehnter Vulkanismus, Quelle vieler der Hot Springs, dort, wo das Wasser von der Oberflächein das Poröse Kalk und Lavagestein eindringen kann und sich im Erdmantel erwärm um dann als heißes Wasser wieder aufzusteigen.

Am späten Nachmittag habe ich den Trans Kanada Higway #1 erreicht. Genug für heute. Nach kurzer Strecke verlasse ich den Highway, steuere den Waitabit Creek Provincial Park an und suche mir einen Platz direkt am Fluss. Campfire sind nun nicht mehr erlaubt, es ist die zweithöchste Gefahrenstufe für Waldbrände erreicht und Regen ist nicht in Aussicht, wohl aber Temperaturen bis nahe vierzig Grad Celsius.