Weiter geht es langsam aber unaufhaltsam nach Osten Richtung Halifax. Die nächste Stadt ist Trail. Ich näher mich von den Bergen her und schon von Weitem sehe ich einen, sich lang dahinziehenden Industriekomplex. Trail ist relativ groß und modern. Die Stadt wird von dem schnell dahinfließenden Columbia River geteilt.
Über eine Brücke gelange ich auf die andere Seite und such mir einen Platz von dem aus ich einen guten Blick auf die Industrieanlage habe. Über Wikipedia recherchiere ich, über die Stadt und dieses Werk. Es stellt sich heraus, dass es Kanadas größte Blei/Zink Schmelze ist. Wiedereinmal ein Superlativ, von denen es in diesem Land ja greadezu wimmelt. Das größte…, die kleinste…, das einzige…, der längste… so ließe sich die Liste für alle möglichen sogenannten Touristenattraktionen bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Nicht immer muss man das ernst nehmen, denn in der nächsten Siedlung, dem nächsten Park steht ein noch älteres Gebäude, ein noch höherer Baum. Doch in dem Falle der Schmelze finde ich das Attribut in mehreren Veröffentlichungen bestätigt. Mit eintausend-vierhundert Arbeitsplätzen ist das Werk auch der größte Arbeitgeber der Stadt und der Region.
Meine Neugier ist nun gestillt und mittlerweile versinkt die Sonne hinter den Bergen. Heute mache ich nicht viel des Federlesens, stelle meinen Fidibus am Rande des Highways auf einen Rastplatz an einem kleinen, aber unerreichbaren See. Das dichte Unterholz versperrt mir den Weg. Meinen Kocher baue ich auf einem dicken Baumstupf auf, mache Wasser für meine Rigattoni heiß, öffne eine Dose Thunfisch und schon bald dampft die Pasta mit Thunfisch in Sahne-Thymian-Sauce im Teller. Den Thymian habe ich bei meiner vorletzten Übernachtung in den Bergen gesammelt und er verbreitet einen intensiven würzigen Geruch in meinem FidiBus, der alle anderen, möglicherweise weniger wohlriechenden Gerüche überdeckt. Der Sauce verleiht er eine feine mediterrane Note. Gutes Essen muss weder teuer sein, noch bereitet es viel Aufwand. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen und mit dem Untergang der Sonne erwacht die Kühle. Dank meiner Heizung wird es in meinem FidiBus schon bald heimelig warm. Ein paar Seiten in meinem Buch, ein Gläschen eiskalten Rosé und schon trägt mich Morpheus auf sanften Flügeln in sein Traumland.
Am Morgen ist es kalt. Sieben Grad zeigt mein Thermometer und der Rastplatz erweist sich auch nicht als sooo einladend, dass ich hier die Mühen der Kaffeezubereitung auf mich nehmen möchte. Also fahre ich in die kleine Gemeinde nach Erie und gönne mir dort in einem Schnellreataurant einen Kaffee bevor ich mich wieder auf die Socken mache.
Noch einmal steigt der Highway #3, der Crownet-Highway auf eintausendsiebenhundertundfünfzig Meter zum Kootenay-Summit-Pass hinauf. Entgegen vieler Unkenrufe ist er frei von Schnee, worüber ich dem Wettergott sehr dankbar bin. Am Fuße des Passes liegt die Stadt Creston, eine jener typisch amerikanischen Städte, die auf einen Europäer als nüchtern und bar jeden Charmes wirken. Dennoch biege ich ab , als ich einen Tim Hortens entdecke. Es ist Zeit meinen Blog zu aktualisieren und meine Galerien vorzubereiten, sodass ich demnächst auch die wieder ins Netz lade kann.
Ich unterhalte mich mit einigen Gästen, die mir den Hinweis auf ein Wild-Reservat geben, elf Kilometer zurück auf dem Highway. Das hört sich verlockend an und so fahre ich zurück. In einer weiten Flussaue liegt das Reservat. Gänse, Enten, Kolibris und viel andere Vögel kann man hier im Frühjahr und im Sommer beobachten. Ich jedoch bekomme von all dem nichts mehr mit. Es ist zu spät. Nur ein Ochsenfrosch glotzt mich mit großen Augen an. Man soll sie auf einer Liste am Eingang eintragen, wenn man einen solch mächtigen Kerl sieht, denn er ist hier unerwünscht, eine invasive Art, auf deren Speiseplan alle anderen kleineren einheimischen Froscharten stehen. Der Ochsenfrosch überträgt darüber hinaus eine Pilzart, die zum Sterben der hier lebenden Reptilien führen kann. Der Teil des Wildreservates, der auf der anderen Seite der Straße liegt soll möglichst gemieden werden. Dort treiben sich in diesem Jahr ungewöhnlich viele Bären herum, die gierig nach allem suchen, was essbar ist um sich die letzte Fettschicht für den Winter zuzulegen. Nach zweieinhalb Stunden bin, ich außer mit der Sichtung dieses Frosches und ein paar Enten, erfolglos am Eingang zurück, trage meine Froschsichtung in die Liste mit Datum und Ort ein und fahre weiter. Mein Ziel, ein Provincial Park östlich von Cranbrook liegt noch mehr als einhundert Kilometer entfernt und ich fürchte, bis ich dort ankomme ist es dunkel.
Im Vorbeifahren sehe ich nur dreißig Kilometer hinter Creston eine Farm an einem Fluß und ein Schild „Camping“ huscht an mir vorüber. Ich überlege nicht lange, wende mit elegantem Schwung auf der Straße und fahre zurück. Das ist ein guter Platz für die Nacht. Es ist einer der vielen Selfregistered Campsites, auf dem man sich einträgt, sein Geld in einen Umschlag steckt und sich einen Platz sucht. Ich habe kein passendes Bargeld, aber das macht gar nichts, denn überall kann man das Geld einfach an eine e-Mail-Adresse überweisen und genauso mache auch ich das heute. Manchmal ist diese neue Welt so wunderbar unkompliziert wenn nicht… aber lassen wir das.
Die Tagesleistung meiner Reise in den letzten Tagen war keinesfalls rekordverdächtig. Sie lag die letzten drei Tage bei hundert oder knapp unter hundert Kilometern. Wie ein Gummiband, dessen Dehnfähigkeit sich langsam dem Ende nähert scheint mich das Land festzuhalten, doch meine Entscheidung steht fest. Alle früheren Pläne, über den Winter vielleicht doch noch zu bleiben habe ich beiseite geschoben und es sind nicht nur die Medikamente, die ich benötige und die ich hier nicht bekomme, es sind auch noch einige wichtige Dinge, die ich Zuhause zu regeln habe. – Und dann sind es neue Pläne.
Außerdem warten Jill und Wayne in Halifax auf mich und ja, auch Zuhause werde ich erwartet und das ist ein schönes Gefühl. Zeitzone um Zeitzone kehre ich zurück. Also weiter, immer weiter nach Osten.
Heute Nacht schlief ich recht unruhig, wurde immer wieder wach und ich merke, etwas ist anders und während ich nach dem Frühstück in meinen FidiBus klettere und mich wieder auf den Weg mache, weiß ich plötzlich, was anders ist – Ich bin im Heimkehrmodus! Das Gummiband hat seine Spannung verloren. Vor mir liegen die letzten Berge, stolz ragen sie empor. Ihre Gipfel sind über zweitausend Meter hoch. Die letzten Pässe warten auf mich und verlasse ich ich am Abend British Columbia. Ich befinde mich nun in Alberta, der Provinz mit dem billigsten Diesel. Beinahe muss ich mich nun zwingen, meinen Zeitplan einzuhalten um nicht vorzeitig in Halifax anzukommen. Als hätte das Schicksal meinen Zwang gespürt schlug es zu. An einem Rastplatz möchte ich kurz aussteigen, verhakele mich am Zündschlüssel und reiße ihn aus dem Schloss. Voller Schcrecken fürchte ich ihn im Schloss abgebrochen zu haben, doch ich hatte Glück. Allerdings war der Schlüsselhalter mit der Fernsteuerung in seine Einzelteile zerlegt. Nach einiger Suche fand ich alles auf dem Boden verstreut und baute es wieder zusammen. Schlüssel ins Zündschloss, gedreht, FidiBus brummt und verstummt! Verdammt was ist das jetzt wieder. So oft ich es erneut versuchte, sooft wiederholte sich FidiBus Protest. Dann kam die Erleuchtung: Die Wegfahrsperre war nicht deaktiviert und dazu gab es doch dieses kleine Keramikteil mit dem Code. Ich suche den gesamten Boden ab. Nichts zu finden! Also brauche ich den Ersatzschlüssel und… finde auch den nicht. Ich sehe mich schon die Nacht auf dem Rastpatz verbringen, bis ich in meiner Werkstatt in Michelstadt anrufen kann um mir einen Rat zu holen, wie ich diese blöde Wegfahrsperre austricksen kann. Ich weiß, es ist kein Hexenwerk, denn sie unterbricht lediglich die Stromzufuhr zu Dieselpumpe. Eine Idee habe ich noch. Meine Fußmatte besteht aus zwei Lagen und so trenne ich sie und siehe da, zwischen Dreck und Splitt liegt ein kleines, rechtecckiges schwarzes Teil. Sicher kein Splitt. Mit Tape klebe ich es versuchsweise neben das Zündschloss, zünde und FidiBus brummt in gewohnter Manier. Das war’s also. Ich demontiere die Fernsteuerung, finde den Platz, an den dieser Codebaustein gehört und alles ist wieder gut.
Um ein wenig Zeit in Alberta zu verbringen überlege ich mir, noch einmal ein Stück nach Norden, Richtung Calgary zu fahren um dort dem Dino Provincial Park mit seinen vielen Zeugnissen der der Dinosaurier, Knochen, Spuren und Dinosaurier-Eier. Und dann wartet Winnipeg, Toronto und Quebec Stadt auf mich, wo ich mich überall wenigstens zwei Tage aufhalten möchte. Kurz hinter der Grenze zu Alberta und nur ein paar hundert Meter unterhalb des letzten Passes finde ich in einem Recreation Area einen geeigneten Platz für die Nacht. Es wird kalt und erstmals werden Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes erwartet. Schon in Sparewood fielen mir die frisch zusammengeschobenen Schneehaufen auf und automatisch suche ich nach dem Filmteam. Doch dieses Mal ist es keine Illusion, keine inszenierte Winterweihnachtsschow. Es hat geschneit. Noch immer hängen schwarze Wolken in den Bergen Es wird Zeit die Sommeklamotten in der Kleidungskiste zu verstauen und stattdessen die Wintersachen in den Schrank zu legen.
Morgens habe ich Eis auf den Scheiben und bis die Heizung programmgemäß um sieben Uhr startet bleibe ich lieber in meinem warmen Schlafsack.
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