Heute habe ich mir also den Besuch des Canadian Museum Of Human Rights vorgenommen. Ein in jeder Hinsicht bemerkenswertes Museum. Ich erreiche das Museum am Morgen über ein weiteres Meisterwerk der Ingenieurkunst, die Luis-Riel-Fußgängerbrücke über den Red River. Leider ist der Pavilion in der Mitte der Brücke, an dem diese mit Oberschenkel-dicken Stahltrossen über eine hohen, schräg stehenden Mast aufgehängt ist, geschlossen. Covid hat überall seine Spuren hinterlassen, wie so viele geschlossene Restaurants und Cafés. Die Antwort auf die Frage nach dem Grund lautet fast immer gleich. „Covid!“

Luis-Riel-Brücke in Winnipeg

Schon von außen zieht mich das Museum durch seine außergewöhnliche Architektur in seienen Bann. Am Auffälligsten sind die ineinander verschachtelten Glasfassaden, die auf einem Kalksteinsockel fußen, der selbst wiederum wie die Wurzel einer überdimensionalen Zeder erscheint.

Museum of human Rights, Winnipeg, ON
Museum of Human Rights, Winnipeg, ON

Auf sieben Ebenen zeigt das Museum die unterschiedlichen Aspekte der allgemeinen Menschenrechte, wobei es vom Haupteingang im Sockel bis hinauf in die siebte Ebene von einer düsteren bis in die immer heller werdenden Ebenen geht. Jede Ebene ist ausschließlich über Rampen aus Alabaster zu erreichen, die von innen beleuchtet werden, oder aber über Fahstühle. Von den oberen Ebenen öffnet sich der Blick in die Büros der Verwaltung, die nach oben offen sind und untereinander sowie nach außen nur durch Glaswände und Fenster voneinander getrennt sind. Bei der Betrachtung der Alabasterrampen fühle ich mich ein wenig an das Treppenbild von Escher erinnert, auf deren Treppen man nicht eindeutig entscheiden kann, ob sie hinauf oder hinab führen.

Alabaster-Rampen im Canadian Museum of Human Rights

Die Ausstellung selbst widmet sich verschiedenen Themen. Sie beginnt mit einer Studie darüber, wie Vorurteile, oder Konditionierung einerseits von Nutzen sind um das Gehirn bei raschen Entscheidungen zu entlasten, andererseits aber die Gefahr in sich bergen, Dinge, Menschen und Situationen in „Kästchen“ zu ordnen und sie dann ohne Überprüfung auf Sinnhaftigkeit auf unterschiedliche Situationen anzuwenden. An einigen Versuchsaufbauten kann man dies bei sich selbst nachvollziehen. Rassismus als eine Folge von Vereinfachungen und Zuordnungen ohne Beweisführung. Weiter geht es über die historische Auslegung von unterschiedlichen Vorstellungen zu den, den Menschen zugehörigen Rechte und Pflichten, der Suche nach dem gemeinsamen Nenner und schließlich der Definition der allgemeinen Menschenrechte, wie sie heute in der Carta der UN definiert ist. Weiter geht es über die vielen Verletzungen dieser grundlegenden Rechte durch die Kolonialherrschaft, durch das dritte Reich, und viele weitere Menscherechtsverletzungen in der Geschichte der Menschheit, wobei Kanada dabei ganz aktuell auch den Gräueltaten der Residential Schools und der katholischen Kirche bei der „Umerziehung“ der First Nations große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Je höher ich mich hinaufarbeite – und es bedeutet wirklich Arbeit, wenn man sich mit der Geschichte der Menschenrechte befassen möchte – wird es immer heller, immer hoffnungsvoller. Positive Beispiele der Verwirklichung dieser Rechte gewinnen die Oberhand und sollen den Besuchern Hoffnung geben. Ich unterhalte mich im Anschluss an denn Besuch mit einer Angestellten des Museums und irgendwie scheint mir die Wirklichkeit gerade in eine ganz andere Richtung zu gehen. Die gewünschte Hoffnung mag sich bei mir nicht einstellen, ganz das Gegenteil geschieht. Ich werde traurig. Was ist mit dieser so wunderbaren Idee der allgemein, für jeden Menschen geltenden Grundrechte geworden? Überall auf der Welt werden sie mit Füßen getreten Menschenrechte werden, ganz vereinfacht ausgedrückt, dem Streben nach Macht weniger mit Füßen getreten. Einschüchterung, Gewalt, Ausgrenzung und der komplette Entzug dieser Rechte ist in vielen autokratisch geführten Ländern dieser Welt zum Werkzeug und zur Waffe verkommen. An aktuellen Beispielen mangelt es zur Zeit ganz und gar nicht.

Beinahe fünf Stunden brachte ich in dem Museum zu, dass ich nur jedem Besucher Winnipegs ans Herz legen kann. Doch nun bin ich erschöpft und dies nicht nur körperlich. Die Stadt bietet viele weitere kulturelle Höhepunkte, doch ich kann mich nicht dazu entschließen, auch diese noch zu besuchen. So muss es damit getan sein, dass ich sie mir in einer Sightseeing-Tour bei meiner Weiterfahr anschaue, damit ich wenigstens einen äußeren Eindruck gewinne.

Es ist die Hauptverkehrszeit und alle Welt scheint aus der Stadt hinauszuströmen. Lange Schlangen und zähes Stopp and Go sind ermüdend, doch ich möchte es heute noch bis Kenora am Lake of the Woods schaffen und als ich dann endlich im Dunkeln meinen Platz für die Nacht gefunden habe, zieht mich nur noch ein Gedanke in die Stadt. Ein kaltes Bier in Gesellschaft. Im Boatshouse, dem einzigen Pub, der nach neun Uhr noch geöffnet hat, finde ich wonach ich suchte. Es ist laut und die Menschen sind bester Stimmung. Die „Blauen“ haben beim Football gewonnen, wer immer die „Blauen“ sind. Ich freue mich einfach mit und schon bin ich in einer fröhlichen Runde und ehe ich mich versehe, ist auch schon wieder Sperrstunde. Dreiundzwanzig Uhr werden in Kanada die Boardwalks hochkant gestellt und das Licht verlöscht auf den Straßen. Glücklicherweise habe ich meine Stirnlampe dabei und finde problemlos zu meinem FidiBus, dessen Heizungsautomatik seit einer Stunde gegen die zwei Grad Celsius erfolgreich angeheizt hat. Ich schnappe mir meinen Reader, aber lese keine Zeile. Stattdessen zieht der Tag noch einmal an mir vorüber. Hier in Kenora schließt sich erstmals der Kreis meines Roadtripps. Hier rastete ich bereits im Juni auf meiner Reise nach Norden. Doch morgen schon werde ich die bekannte Route verlassen und immer an der Grenze, aber mit ausreichend Abstand zu den USA eine südliche Route nach Thunder Bay einschlagen.