Für den weiteren Verlauf der Strecke stehen mir diverse Alternativen offen. Ich kann den einfachen, den sicheren Weg nach Osten nehmen und meine Fahrt auf bekanntem Weg über den Highway siebzehn nach Südosten bis nach Thunder Bay fortsetzen. Oder ich zweige in dem Industrieort Dryden vom Highway siebzehn ab und nehme die Strecke über den Highway fünfhundertundzwei zunächst nach Süden und um dann auf dem Highway elf nach Osten und weiter nach Thunder Bay zu fahren. Ein Risiko, denn auf den zweihundert Kilometern die vor mir liegen gibt es weder eine Siedlung noch irgendwelchen technischen Support. Wie sich später zeigte, trifft dies für die gesamte Strecke zu. Mit diesem Wissen starte ich dennoch über die elf. Es ist spät als ich mich auf den Weg mache, denn ich erinnere mich an ein Restaurant in Kenora, die angeblich die besten Burger bereiten. Schon auf der Reise in den Norden kehrte ich hier ein, um meine Hochstimmung mit einem Cesar und einem Bier zu feiern. Nun ja, Geschmäcker sind unterschiedlich und meine Zunge hat ihre Geschmacksknospen tatsächlich schon mit weitaus besseren Burgern verwöhnt.

Meine App weist für den vor mir liegenden Routenabschnitt keinen Übernachtungsplatz aus und so beschließe ich ab fünf Uhr den nächsten mir geeignet erscheinenden Platz für die Nacht auszuwählen. Nach zwanzig Minuten Fahrt lasse ich die letzten Häuser Kenoras hinter mir und tauche ein in den Wald. Ich bin allein auf der Straße und so bleibt es heute während der gesamten Fahrt. Beste Voraussetzungen um den Tempomat auf die gewohnten achtzig Stundenkilometer zu setzen und es einfach laufen zu lassen. Das Wetter meint es wieder gut mit mir und die Sonne kleidet den Wald in Farben, die den kommenden Herbst und damit den prachtvollen Indian Summer ankündigen. Es sind die Birken und Espen, die bereits mit einem zarten Gelbton den Wechsel der Jahreszeit ankündigen. Links und rechts des Weges öffnet sich hin und wieder der Blick auf Sumpfland, sterbende Bäume und immer wieder Seen und Tümpel. Links vor mir taucht ein mächtiger Elch im Unterholz auf. Ich halte an, stelle den Motor ab, doch der Elch ist mistrauisch und zieht sich in den Wald zurück. Doch ich harre aus, ganz ruhig mit der Kamera im Anschlag. Richtig, da sehe ich ihn erneut aus dem Unterholz in Richtung Straße trotten. Welch ein kapitales Tier. Sein Geweih ist weit ausladend und er stellt sich vor mir in Pose bevor er der Meinung ist, ich hätte ihn jetzt lange genug bewundert. So trottet er gemächlich über die Straße und verschwindet auf der anderen Seit wieder im sumpfigen Wald.

Ich bemerke, dass die Sonne viel von ihrer Kraft verloren hat und hier im Schatten des Waldes nur schwer gegen die aufkommende Kälte ausrichten kann. Um kurz nach fünf Uhr beginne ich nach einem Nachtlager Ausschau zu halten und tatsächlich tut sich rechter Hand eine Zufahrt zu einem See auf. Es ist ein „Historic Site“ wie ich feststelle, ein Gedenkstein wurde zu Ehren der Fertigstellung des Manitou Highways errichtet und der Ort bietet mir, durch Bäume verborgen, einen ruhigen und sicheren Schlafplatz. Die Sonne senkt sich auf die Baumwipfel des Sees, der ruhig und unbewegt vor mir liegt. Ich werfe einen Stein ins Wasser und beobachte, wie die Spiegelungen der Bäume, des Himmels und der Wolken wie in einem Kaleidoskop in ständiger Bewegung sind. Außer dem sachten Plätschern der Wellen, die über die Steine rollen ist es ruhig. Nicht einmal ein Vogel stört diese Ruhe. Ich lasse meine Gedanken schweifen und dann sind da nicht einmal mehr Gedanken. Wie die Kreise im Wasser breiten sie sich aus, ziehen weiter und weiter um am Ende einfach wieder in der Ruhe des Sees zu verlaufen.

Mehr und mehr verstehe ich, wie die hier lebenden indigenen Bewohner der First Nations ihre enge Beziehung zur Natur, den Tieren, den Planzen und dem Wasser entwickelt haben. Hier kann ich nachempfinden, wie Ruhe und Frieden in die Seele Einzug halten. Wie sich das Gefühl in mir ausbreitet, eins zu sein mit meiner Umgebung. Ich bin ein Teil von alle dem. Eingehüllt in diese Ruhe habe finde ich in den Schlaf.

Der folgende Tag beginnt mit der nun schon routinehaften Vorbereitung auf die nächste Etappe.

Das Bettzeug an die frische Luft bringen, nun gehört bereits mein warmer Schlafsack dazu, meinen Wasserkessel befüllen, eine Hand voll Kaffee hinein und während der Kessel beruhigend vor sich hinsummt schiebe ich mein Bett zusammen, packe das Gepäck wieder an seinen Ort und nun gilt es aufzupassen, dass der Kaffee beim Aufkochen nicht aus dem Kessel quillt und ich die Sauerei aus meinem Kocher und von der Unterlage zu beseitigen habe. Nicht immer gelingt mir das. Wechselweise gibt es Brot, Toast mit Speck oder Toast mit Speck und Rührei und wenn es mal schnell gehen soll gibt’s Müsli. Heute fühle ich mich nach Rührei mit Käse und Toast.

Bevor ich meinen FidiBus wieder zum Leben erwecke, schaue ich noch einmal, dass er genügend Schmiere hat, drehe den Zündschlüssel zum Vorglühen dreimal, das hat sich bei Kälte bewehrt, und er dankt es mir mit einer kleinen Abgaswolke, die wie der Hauch in der Winterkälte davon kündet, das er bereit ist, mit mir in den neuen Reisetag aufzubrechen.

Ein paar Stunden später treffe ich wieder auf den Highway Nummer siebzehn. Die Einsamkeit habe ich verlassen