Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

Autor: ERBMD919 (Seite 2 von 10)

Geboren am 21.05.1951
Geburtsort: Bad Elster
Beruf: Diplom-Mineraloge, IT-Management
Seit 2009 im Ruhestand

Grenzüberschreitung

Bis zu Mayken sind es noch einige hundert Kilometer. Es ist mir bewusst, dass ich die Strecke keinesfalls an einem Tag bewältigen werde. Und so führt mich mein Weg zunächst nach Sault Ste. Marie. Von unterwegs buche ich einen Platz auf einem Campingplatz direkt am Kanal und den großen Schleusen, die den Lake Superior mir dem Lake Huron und dem Lake Munuscong verbinden. In Sault Ste. Marie wies mir mein Navi den Weg nach Süden und somit auf die andere Seite der Stadt, die auf US-Boden liegt. Das war ganz und gar nicht so gedacht. Doch ein Blkick auf die Karte zeigte mir, dass ich ich bei der Buchung tatsächlich nicht bemerkte, dass der Platz auf der falschen Seite meiner Reise liegt. Um zu wenden ist es zu spät und schon stehe ich am USA-Grenzhäuschen. Nein, ich habe kein i45-Formular ausgefüllt und ich habe auch kein ESTA-Visum. Was nun. Offensichtlich hat der Grenzbeamte keine Lust oder es ist kurz vor seinem Feierabend, jedenfalls öffnet er die Schranke und winkt mich durch. Aha, denke ich man kommt also auch auf diesem Wege einfach und unkompliziert in die USA. Der Campingplatz ist einer jener Plätze, die hauptsächlich den riesigen Mobilehomes und Trailer vorbehalten sind und so komme ich mir mit meinem vergleichsweise zwergenhaften FidiBus etwas verloren vor. Nun ja, für eine Nacht ist es okay.

Algoma Stahlwerk in Sault Ste. Marie
Blick von der US-Seite nach Sault Ste. Marie und die Grenzbrücke im Hintergrund

Früh am Morgen packe ich meine sieben Sachen, genieße die heiße Dusche, unterhalte mich mit dem Personal des Platzes und dann mache ich mich auf die Suche nach einem Liquor-Store um den Eierlikör für Stefan und Tanja kaufen, den man in Nova Scotia nicht bekommt. Außerdem möchte ich wissen, weshalb meine Prepaid-Karte keine Verbindung aufbauen kann. Sie ist doch gerade erst wieder geladen worden. In der Mall von Sault Ste. Marie finde ich einen TELUS- Laden und nach einigem Hin-und Her. Probierten wir es mit einem Neustart meines Telefons. Siehe da, brav logte es sich ins Netz an und verrichtete fleißig seinen Dienst. In einem Telefonat mit Mayken stellt sich heraus, dass ich für die Fähre von Manitoulin Island nach Tobermory in den nächsten Tagen kein Ticket mehr bekomme und so muss ich den Highway entlang des Ostufers des Lake Huron wählen. Schade, denn Manitoulin Island wäre ein schönes Tagesziel gewesen und ich hätte gern dort noch eine Nacht verbracht.

Die Weiterfahrt ist dennoch sehr schön und passend zum goldenen Herbst passiere ich auf dem Weg einige der größten Goldminen Kanadas.

Gegen Mittag erreiche ich Sudbury. Hier gab es die größte Nickelmine Kanadas, die man als Teil des Museumsprogrammes „Dynamic Earth“ befahren kann. Doch nicht nur Nickel machte die Stadt berühmt, sie ist auch geologisch bekannt, da sie im so genannten Sudbury Basin liegt, einer Senke, die vor fast zwei Millionen Jahren durch den Einschlag eines Meteoriten entstanden ist. NASA-Astronaut wurden hier an dem Gestein ausgebildet um darin die typischen Strukturen solcher Ereignisse zu erkennen um sie dann auf dem Mond identifizieren zu können.

Das Museum Science North mit seiner Attraktion Dynamic Earth möchte ich nicht verpassen. Gegen Mittag stelle ich den FidiBus auf den Parkplatz des Museums und erlebe an der Kasse die erste Enttäuschung. Der Besuch des Stollens ist nicht möglich. Die Saison ist beendet und so ist dieser Bereich des Museums geschlossen. Das übrige Museum ist eher ein Erlebnismuseum für Kinder und Jugendliche, die hier interaktiv und in Seminaren naturwissenschaftliche Erkenntnisse sammeln. So blieb als einziges Highlight das Erlebnis des 3D iMaxx Kinos, wo ich mir einen Film über die Asteroidenjäger anschaute in dem sehr Anschaulich die Bemühungen der Weltraumunternehmen gezeigt wurden um möglicher Asteroideneinschlage, wie den der den Trog von Sudbury erzeugte, abzuwehren. Das jüngste Beispiel ist der Aufprall der Sonde DART in den Asteroiden Didimos.

Es wird dunkel und der Weg führt mich weg vom Highway auf kleinere Nebenstraßen. Teils sind es nur geschotterte Pisten. Es stinkt nach nach frisch gejauchten Felden und Schweineställen. Und dann stehe ich um neun Uhr am Abend vor Maykens Haustüre und obwohl ich sie zuvor nur einmal zu Heidruns Hochzeit traf, fühle ich mich wie zuhause bei alten Freunden. Wir sitzen an der Küchentheke, trinken ein – oder waren es zwei Gläser Wein und im Handumdrehen ist es halb zwölf. Zeit ins Bett zu gehen.

Feuer und Eis

Als nächstes steht auf meinem Plan ein Besuch bei Heidruns Cousine Mayken. Sie lebt nahe Toronto in Listowel, doch bis dahin habe ich noch drei Tage Fahrt vor mir. Von Thunder Bay aus starte ich recht früh. Die Fahrt entlang am Ufer des Lake Superior verleitet mich immer wieder zu einem Stopp. Er ist gewaltig. Mit einer Fläche von zweiundachtzigtausend Quadratmetern ist beinahe vier mal so groß wie Hessen. Bei seinem Anblick scheint man auf ein Meer hinauszuschauen. Im Pukaskwa National Park lege ich einen weiteren Stopp ein. Er liegt am nordöstlichen Ufer des Sees und bietet einige schöne Trails entlang des Ufers. Noch am Abend mache ich mich auf den Weg um auf einem zweistündigen Weg einen ersten Eindruck zu bekommen. Anfangs laufe ich über Waldwege, von denen der erdige Geruch des Waldbodens aufsteigt. Dann steige ich über die vom Eis abgeschliffenen Granitfelsen immer höher. Der Weg ist mehr zu ahnen, als das er erkennbar ist, doch versetzt man sich in jemanden hinein, der einen Pfad durch dieses Landschaft finden soll, so wird schnell deutlich, dass die Möglichkeiten begrenzt sind und am Ende trifft man immer wieder an eine markante Marke. Der Blick am Ende des Trails ist umwerfend. Die Sonne steht flach über dem Wasser, das silbrig und im Takt eines schlagenden Herzens gegen das Ufer rollt.

Lake Superior, Pukaskwa National Park

Gegen das Licht erscheinen die Inseln schemenhaft. Immer wieder vergesse ich, dass dies nicht das Meer ist, wenngleich es das gleiche Gefühl, den gleichen Wunsch in mir weckt hinauszuziehen, die Weite zu erfahren, zu erforschen, was auf der anderen Seite ist. Nur eine Kleinigkeit fehlt, die den See vom Meer unterscheidet. Es ist der Geruch nach Salzwasser, nach Fisch und Tang.

In der Nacht regnet es und auch am Morgen legt sich der leise Nieselregen auf die Blätter des Waldes. Kurz kämpfe ich mit mir, ob ich tatsächlich zu einer weiteren Tagestour aufbrechen soll oder lieber weiterfahre. Doch dann gewinnt die Neugier. Noch einmal möchte ich in die Wälder und Sumpfgebiete, über Granitfelsen und Vulkangestein laufen und den Park mit den Füßen erleben. Feuer und Eis! Das ganze Gebiet des Lake Superior liegt in einer einst vulkanisch hoch aktiven Zone, bevor sich eine kilometerdicke Schicht aus Eis darüber legte und bis auf wenige Stellen die weicheren vulkanischen Gesteine abhobelte. Lange Riefen in den harmonisch ausgeschliffenen Felsen zeugen von der unglaublichen Kraft, mit der das Eis dieses Land formte.

Herbstbilder

Herbstbilder

Es ist kalt geworden. Die Temperaturen bleiben auch am Tag im einstelligen Bereich. Meine Heizung läuft nun deutlich öfter, länger und auf höherer Leistung. Dadurch steigt auch mein Treibstoffverbrauch ein wenig. Die schöne Seite der Kälte zeigt sich in der täglich zunehmenden Farbenpracht der Wälder. Anfangs war es Gelb der Birken und Espen nun kommt Orange hinzu und in den Baumwipfeln leuchten die ersten zarten Rottöne.

Ich kann mich nicht satt sehen. Alle paar Kilometer halte ich an und halte meinen Eindruck im Foto fest und kaum habe ich das Foto gemacht, erscheint mir an anderer Stelle eine noch buntere, noch prächtigere Farbpalette lohnenswerter und wieder halte ich an. So komme ich kaum voran. Die Sonne verleiht den Farben Kraft und Lebendigkeit.

Noch einmal macht die Natur mit ihrer Pracht auf sich aufmerksam, putzt sich noch einmal heraus, damit wir sie nicht vergessen, wenn sie sich in den nächsten Wochen ihrer Blätter befreit. Düster und grau wird sie sich in den langen und eisigen Winter verabschieden.

Auf meiner Weiterfahrt besuche ich unter Anderem auch das McMichael Museum in der die „Group of seven“, vergleichbar mit dem „Blauen Reiter“ in Deutschland, ihr Land auf unterschiedliche Art in Gemälden und Skizzen zu erfassen. Bei allen sieben Künstlern ist es stets der Herbst, der das charakteristischste Stimmungsbild ihrer Landschaften zeichnet.

Lawren P. Harris

So ist es kein Wunder, dass die Landesfahne Kanadas das schlichte rote Blatt des Ahorn in sich trägt.

Nirgendwo habe ich bisher leuchtendere Wälder gesehen, die ihre Kraft aus dem so vielfältigen Artenreichtum der Bäume und Pflanzen schöpft, die wir in Europa nicht mehr kennen.

Noch einmal Backcountry

Für den weiteren Verlauf der Strecke stehen mir diverse Alternativen offen. Ich kann den einfachen, den sicheren Weg nach Osten nehmen und meine Fahrt auf bekanntem Weg über den Highway siebzehn nach Südosten bis nach Thunder Bay fortsetzen. Oder ich zweige in dem Industrieort Dryden vom Highway siebzehn ab und nehme die Strecke über den Highway fünfhundertundzwei zunächst nach Süden und um dann auf dem Highway elf nach Osten und weiter nach Thunder Bay zu fahren. Ein Risiko, denn auf den zweihundert Kilometern die vor mir liegen gibt es weder eine Siedlung noch irgendwelchen technischen Support. Wie sich später zeigte, trifft dies für die gesamte Strecke zu. Mit diesem Wissen starte ich dennoch über die elf. Es ist spät als ich mich auf den Weg mache, denn ich erinnere mich an ein Restaurant in Kenora, die angeblich die besten Burger bereiten. Schon auf der Reise in den Norden kehrte ich hier ein, um meine Hochstimmung mit einem Cesar und einem Bier zu feiern. Nun ja, Geschmäcker sind unterschiedlich und meine Zunge hat ihre Geschmacksknospen tatsächlich schon mit weitaus besseren Burgern verwöhnt.

Meine App weist für den vor mir liegenden Routenabschnitt keinen Übernachtungsplatz aus und so beschließe ich ab fünf Uhr den nächsten mir geeignet erscheinenden Platz für die Nacht auszuwählen. Nach zwanzig Minuten Fahrt lasse ich die letzten Häuser Kenoras hinter mir und tauche ein in den Wald. Ich bin allein auf der Straße und so bleibt es heute während der gesamten Fahrt. Beste Voraussetzungen um den Tempomat auf die gewohnten achtzig Stundenkilometer zu setzen und es einfach laufen zu lassen. Das Wetter meint es wieder gut mit mir und die Sonne kleidet den Wald in Farben, die den kommenden Herbst und damit den prachtvollen Indian Summer ankündigen. Es sind die Birken und Espen, die bereits mit einem zarten Gelbton den Wechsel der Jahreszeit ankündigen. Links und rechts des Weges öffnet sich hin und wieder der Blick auf Sumpfland, sterbende Bäume und immer wieder Seen und Tümpel. Links vor mir taucht ein mächtiger Elch im Unterholz auf. Ich halte an, stelle den Motor ab, doch der Elch ist mistrauisch und zieht sich in den Wald zurück. Doch ich harre aus, ganz ruhig mit der Kamera im Anschlag. Richtig, da sehe ich ihn erneut aus dem Unterholz in Richtung Straße trotten. Welch ein kapitales Tier. Sein Geweih ist weit ausladend und er stellt sich vor mir in Pose bevor er der Meinung ist, ich hätte ihn jetzt lange genug bewundert. So trottet er gemächlich über die Straße und verschwindet auf der anderen Seit wieder im sumpfigen Wald.

Ich bemerke, dass die Sonne viel von ihrer Kraft verloren hat und hier im Schatten des Waldes nur schwer gegen die aufkommende Kälte ausrichten kann. Um kurz nach fünf Uhr beginne ich nach einem Nachtlager Ausschau zu halten und tatsächlich tut sich rechter Hand eine Zufahrt zu einem See auf. Es ist ein „Historic Site“ wie ich feststelle, ein Gedenkstein wurde zu Ehren der Fertigstellung des Manitou Highways errichtet und der Ort bietet mir, durch Bäume verborgen, einen ruhigen und sicheren Schlafplatz. Die Sonne senkt sich auf die Baumwipfel des Sees, der ruhig und unbewegt vor mir liegt. Ich werfe einen Stein ins Wasser und beobachte, wie die Spiegelungen der Bäume, des Himmels und der Wolken wie in einem Kaleidoskop in ständiger Bewegung sind. Außer dem sachten Plätschern der Wellen, die über die Steine rollen ist es ruhig. Nicht einmal ein Vogel stört diese Ruhe. Ich lasse meine Gedanken schweifen und dann sind da nicht einmal mehr Gedanken. Wie die Kreise im Wasser breiten sie sich aus, ziehen weiter und weiter um am Ende einfach wieder in der Ruhe des Sees zu verlaufen.

Mehr und mehr verstehe ich, wie die hier lebenden indigenen Bewohner der First Nations ihre enge Beziehung zur Natur, den Tieren, den Planzen und dem Wasser entwickelt haben. Hier kann ich nachempfinden, wie Ruhe und Frieden in die Seele Einzug halten. Wie sich das Gefühl in mir ausbreitet, eins zu sein mit meiner Umgebung. Ich bin ein Teil von alle dem. Eingehüllt in diese Ruhe habe finde ich in den Schlaf.

Der folgende Tag beginnt mit der nun schon routinehaften Vorbereitung auf die nächste Etappe.

Das Bettzeug an die frische Luft bringen, nun gehört bereits mein warmer Schlafsack dazu, meinen Wasserkessel befüllen, eine Hand voll Kaffee hinein und während der Kessel beruhigend vor sich hinsummt schiebe ich mein Bett zusammen, packe das Gepäck wieder an seinen Ort und nun gilt es aufzupassen, dass der Kaffee beim Aufkochen nicht aus dem Kessel quillt und ich die Sauerei aus meinem Kocher und von der Unterlage zu beseitigen habe. Nicht immer gelingt mir das. Wechselweise gibt es Brot, Toast mit Speck oder Toast mit Speck und Rührei und wenn es mal schnell gehen soll gibt’s Müsli. Heute fühle ich mich nach Rührei mit Käse und Toast.

Bevor ich meinen FidiBus wieder zum Leben erwecke, schaue ich noch einmal, dass er genügend Schmiere hat, drehe den Zündschlüssel zum Vorglühen dreimal, das hat sich bei Kälte bewehrt, und er dankt es mir mit einer kleinen Abgaswolke, die wie der Hauch in der Winterkälte davon kündet, das er bereit ist, mit mir in den neuen Reisetag aufzubrechen.

Ein paar Stunden später treffe ich wieder auf den Highway Nummer siebzehn. Die Einsamkeit habe ich verlassen

Menschenrechte

Heute habe ich mir also den Besuch des Canadian Museum Of Human Rights vorgenommen. Ein in jeder Hinsicht bemerkenswertes Museum. Ich erreiche das Museum am Morgen über ein weiteres Meisterwerk der Ingenieurkunst, die Luis-Riel-Fußgängerbrücke über den Red River. Leider ist der Pavilion in der Mitte der Brücke, an dem diese mit Oberschenkel-dicken Stahltrossen über eine hohen, schräg stehenden Mast aufgehängt ist, geschlossen. Covid hat überall seine Spuren hinterlassen, wie so viele geschlossene Restaurants und Cafés. Die Antwort auf die Frage nach dem Grund lautet fast immer gleich. „Covid!“

Luis-Riel-Brücke in Winnipeg

Schon von außen zieht mich das Museum durch seine außergewöhnliche Architektur in seienen Bann. Am Auffälligsten sind die ineinander verschachtelten Glasfassaden, die auf einem Kalksteinsockel fußen, der selbst wiederum wie die Wurzel einer überdimensionalen Zeder erscheint.

Museum of human Rights, Winnipeg, ON
Museum of Human Rights, Winnipeg, ON

Auf sieben Ebenen zeigt das Museum die unterschiedlichen Aspekte der allgemeinen Menschenrechte, wobei es vom Haupteingang im Sockel bis hinauf in die siebte Ebene von einer düsteren bis in die immer heller werdenden Ebenen geht. Jede Ebene ist ausschließlich über Rampen aus Alabaster zu erreichen, die von innen beleuchtet werden, oder aber über Fahstühle. Von den oberen Ebenen öffnet sich der Blick in die Büros der Verwaltung, die nach oben offen sind und untereinander sowie nach außen nur durch Glaswände und Fenster voneinander getrennt sind. Bei der Betrachtung der Alabasterrampen fühle ich mich ein wenig an das Treppenbild von Escher erinnert, auf deren Treppen man nicht eindeutig entscheiden kann, ob sie hinauf oder hinab führen.

Alabaster-Rampen im Canadian Museum of Human Rights

Die Ausstellung selbst widmet sich verschiedenen Themen. Sie beginnt mit einer Studie darüber, wie Vorurteile, oder Konditionierung einerseits von Nutzen sind um das Gehirn bei raschen Entscheidungen zu entlasten, andererseits aber die Gefahr in sich bergen, Dinge, Menschen und Situationen in „Kästchen“ zu ordnen und sie dann ohne Überprüfung auf Sinnhaftigkeit auf unterschiedliche Situationen anzuwenden. An einigen Versuchsaufbauten kann man dies bei sich selbst nachvollziehen. Rassismus als eine Folge von Vereinfachungen und Zuordnungen ohne Beweisführung. Weiter geht es über die historische Auslegung von unterschiedlichen Vorstellungen zu den, den Menschen zugehörigen Rechte und Pflichten, der Suche nach dem gemeinsamen Nenner und schließlich der Definition der allgemeinen Menschenrechte, wie sie heute in der Carta der UN definiert ist. Weiter geht es über die vielen Verletzungen dieser grundlegenden Rechte durch die Kolonialherrschaft, durch das dritte Reich, und viele weitere Menscherechtsverletzungen in der Geschichte der Menschheit, wobei Kanada dabei ganz aktuell auch den Gräueltaten der Residential Schools und der katholischen Kirche bei der „Umerziehung“ der First Nations große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Je höher ich mich hinaufarbeite – und es bedeutet wirklich Arbeit, wenn man sich mit der Geschichte der Menschenrechte befassen möchte – wird es immer heller, immer hoffnungsvoller. Positive Beispiele der Verwirklichung dieser Rechte gewinnen die Oberhand und sollen den Besuchern Hoffnung geben. Ich unterhalte mich im Anschluss an denn Besuch mit einer Angestellten des Museums und irgendwie scheint mir die Wirklichkeit gerade in eine ganz andere Richtung zu gehen. Die gewünschte Hoffnung mag sich bei mir nicht einstellen, ganz das Gegenteil geschieht. Ich werde traurig. Was ist mit dieser so wunderbaren Idee der allgemein, für jeden Menschen geltenden Grundrechte geworden? Überall auf der Welt werden sie mit Füßen getreten Menschenrechte werden, ganz vereinfacht ausgedrückt, dem Streben nach Macht weniger mit Füßen getreten. Einschüchterung, Gewalt, Ausgrenzung und der komplette Entzug dieser Rechte ist in vielen autokratisch geführten Ländern dieser Welt zum Werkzeug und zur Waffe verkommen. An aktuellen Beispielen mangelt es zur Zeit ganz und gar nicht.

Beinahe fünf Stunden brachte ich in dem Museum zu, dass ich nur jedem Besucher Winnipegs ans Herz legen kann. Doch nun bin ich erschöpft und dies nicht nur körperlich. Die Stadt bietet viele weitere kulturelle Höhepunkte, doch ich kann mich nicht dazu entschließen, auch diese noch zu besuchen. So muss es damit getan sein, dass ich sie mir in einer Sightseeing-Tour bei meiner Weiterfahr anschaue, damit ich wenigstens einen äußeren Eindruck gewinne.

Es ist die Hauptverkehrszeit und alle Welt scheint aus der Stadt hinauszuströmen. Lange Schlangen und zähes Stopp and Go sind ermüdend, doch ich möchte es heute noch bis Kenora am Lake of the Woods schaffen und als ich dann endlich im Dunkeln meinen Platz für die Nacht gefunden habe, zieht mich nur noch ein Gedanke in die Stadt. Ein kaltes Bier in Gesellschaft. Im Boatshouse, dem einzigen Pub, der nach neun Uhr noch geöffnet hat, finde ich wonach ich suchte. Es ist laut und die Menschen sind bester Stimmung. Die „Blauen“ haben beim Football gewonnen, wer immer die „Blauen“ sind. Ich freue mich einfach mit und schon bin ich in einer fröhlichen Runde und ehe ich mich versehe, ist auch schon wieder Sperrstunde. Dreiundzwanzig Uhr werden in Kanada die Boardwalks hochkant gestellt und das Licht verlöscht auf den Straßen. Glücklicherweise habe ich meine Stirnlampe dabei und finde problemlos zu meinem FidiBus, dessen Heizungsautomatik seit einer Stunde gegen die zwei Grad Celsius erfolgreich angeheizt hat. Ich schnappe mir meinen Reader, aber lese keine Zeile. Stattdessen zieht der Tag noch einmal an mir vorüber. Hier in Kenora schließt sich erstmals der Kreis meines Roadtripps. Hier rastete ich bereits im Juni auf meiner Reise nach Norden. Doch morgen schon werde ich die bekannte Route verlassen und immer an der Grenze, aber mit ausreichend Abstand zu den USA eine südliche Route nach Thunder Bay einschlagen.

Straßen-Randbemerkungen

Im weiteren Verlauf meiner Reise konnte ich mich langsam wieder an Kurven gewöhnen. Es gab die eine oder andere und glücklicherweise wird hier auch die kleinste Abweichung von der Geraden mit einem Hinweisschild rechtzeitig angezeigt. Irgendwann überfuhr ich die Grenze von Saskatchewan nach Manitoba und der auffälligste Unterschied zu Sasketchewan sind hunderte von Ölpumpen, die überall in den Feldern stehen.

Ich weiß nicht, ob ich es bereits erwähnte, aber Kanada ein Land mit reichen Ölfeldern besitzt nur eine einzige Raffinerie für die Produktion von Treibstoffen wie Benzin und Diesel und die steht in der Provinz Ontario. Das hier geförderte Öl wird über lange und teils marode Pipelines in die USA gepumpt, dort raffiniert und kommt dann als Benzin, Diesel, Kerosin u.s.w. zurück. Die kanadischen Raffinerien, die das eigene Öl weiterverarbeiten, rffinieren es zu chemischen Vorprodukten und Asphalt. Das ärgert die Menschen hier im Lande, denn nach ihrer Meinung verteuert es die Energiekosten deutlich. Ich denke jedoch, dass zur Zeit niemand in die hohen Kosten einer Raffinerie-Infrastruktur investieren möchte, die letztendlich ebenfalls die Kosten für Benzin und Diesel in die Höhe treiben würden. Erschwerend kommt hinzu, dass langfristige Vertraäge mit den USA eine zeitnahe Umstellung so gut wie unmöglich machen*.

Immerhin fließen achtundvierzig Prozent des Rohöls durch die Pipeline in die einzige kanadische Raffinerie. Diese Pipeline ist jedoch uralt und genauso marode wie die Pipelines in die USA. Lecks flickte man, indem man sie einfach mit Beton ummantelte. Ein Bruch dieser Pipeline würde die Energieversorgung Kanadas empfindlich treffen und obendrein einen unbezifferbaren Schaden für die Umwelt bedeuten. Präventive Maßnahmen sind bisher nicht geplant oder sie sind den Menschen, mit denen ich darüber sprechen konnte nicht bekannt.

Es ist heute der siebenundzwanzigste November und ich plane am Abend in Winnipeg zu sein. Die Landschaft wird einerseits wieder ein wenig abwechslungsreicher. Neben den endlosen Feldern gibt es nun vermehrt wieder kleiner Wälder. Am Horizont sehe ich eine dunkle Rauchwolke, die den Himmel verdeckt. Unmöglich kann dies ein Waldbrand sein, dafür hat es hier in den letzten Tagen zu viel Regen gegeben, von dem ich glücklicherweise nichts abbekam. Der Himmel verfinstert sich derartig, dass mitten am Tag Abendstimmung herrschte. Der Brandgeruch wird beißend, und dann wird mir die Ursache schnell klar. Links und rechts des Highways brennen die abgeernteten Felder. Ich sehe Landarbeiter mit Flammenwerfern, die die Stoppelfelder niederbrennen. Ich kann es kaum fassen. Mittlerweilen gibt es so einiges, dass mich in Erstaunen versetzt, für ein Land, dass so oft als Vorbild für den Umweltschutz genannt wird. Unmengen an Einwegartikeln, eine Verpackungswut, die Ihresgleichen sucht und riesige Verpackungseinheiten für Lebensmittel provozieren es geradezu, dass große Mengen davon im Müll landen.Es ist schwer nur eeine Hähnchenbrust zu kaufen, in der Packung sind mindestens vier, ich kann nicht ein Steak kaufen, in der Packung sind vier. Bratwürste oder Grillgut ist offensichtlich für größere Grillpartys ausgelegt und eine Fleischtheke, wo man sich das Fleisch aussuchen und nach Bedarf, auch für einen einzelnen reisenden älteren Herren zuschneiden und abwiegen lässt, ist nur in den wirklich großen Einkaufszentren zu finden. Eine Metzgerei habe ich bisher nur sehr, sehr selten gefunden. Dafür braucht man den Tipp eines erfahrenen Kanadiers und darf, was Entfernung anbelangt, nicht allzu zimperlich sein. Wie dem auch sein, am Abend bin ich kurz vor Einbruch der Dunkelheit in Winnipeg und finde einen Schlafplatz auf dem riesigen Parkplatz vor dem Fort Gibraltar. Zwei weitere Autos mit Übernachtungsgästen parken in respektvollem Abstand und ihre „Bewohner“ richten sich ebenfalls für die Nacht ein.

Der kommende Tag soll dem Museum of Human Rights gewidmet werden. Also dann, bis morgen!

*Dies ist meine Einschätzung und ist nicht durch Fakten/Zahlen belegt.

Schrecksekunden

Die Sonne scheint, als ich aufwachte. Es ist jetzt acht Uhr, meine Navi zeigt jedoch neun Uhr an. Ach ja, ich habe eine Zeitzone überschritten und muss die Uhr wieder eine Stunde vorstellen. Zum Frührstück mache ich mir zur Abwechslung mal wieder Pfannkuchen, dieses mal mit Erdnussbutter.

Um zehn kehre ich wieder zurück auf den Highway. Bis Winnipeg sind es dreihundert Kilometer, immer geradeaus. Die Straße ist wieder wie mit der Schnur gezogen und fast könnte ich Winnipeg an ihrem Ende sehen, wenn da nicht der Horizont wäre. Wieder mal Zeit zum Cruisen! Ich stelle den Tempomat wie gewohnt auf achtzig Kilometer ein und los geht’s. So fahre ich etwa eineinhalb Stunden und muss nicht viel mehr dabei tun als das Lenkrad festzuhalten. Doch da geschieht das, was mir unvermittelt das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Die Sekunde des Erkennens

Beinahe instinktiv straffe ich meinen Gurt, setze mich ganz eng angelehnt im Sitz zurecht und lehne mich instinktiv nach rechts. Kalter Schweiß tritt auf meine Stirn, mein Herz rast, da spüre ich auch schon, wie mich die Fliehkraft in den Sitz presst, meine Gesicht folgt der Gravitation und dann war auch schon alles vorüber. Alles was ich höre ist das vertraute Brummen meines FidiBus. Ich schaue zurück und da liegt sie, nur etwa zwanzig Meter hinter mir, die erste Kurve seit gefühlten Tagen.

Nachdem dieser Schreck überwunden war ging es ohne weitere Katastrophen weiter nach Winnipeg. Mal sehen, wo ich heute schlafen werde.

Nach einem Sightseeing-Tag werde ich wohl übermorgen in Richtung Toronto aufbrechen.

Von Jill und Stephan habe ich gehört, dass der Tornado hauptsächlich die Ostküste Nova Scotias und Neufundlands getroffen hat. Hierhat das Meer über hundert Häuser fortgerissen. Viele Menschen gelten noch immer als vermisst. In Halifax wurden Bäume entwurzelt, der Strom und das Telefonnetz fielen kurzzeitig aus, aber die Schäden halten sich hier im Großen und Ganzen noch in Grenzen. Dieser Hurrican war der schwerste, der je in der Region Atlantic Canada registriert wurde. Ich bin froh, nicht in ihn hinein geraten zu sein.

Im Weizenland

Vor mir liegen nun die grenzenlosen Weizenfelder. Jetzt verstehe ich, was es bedeutet diese Felder zu bearbeiten. Allein entlang der Straße zieht sich ein Feld über zehn Kilometer nur in der Länge dahin, die Breite kann ich gar nicht abschätzen. Teils wurden sie bereits abgeerntet, zum Teil ist man noch mitten in der Ernte. Am Abend habe ich in Morse die Gelegenheit mit einer Erntehelferin zu sprechen. Susan ist zweiundzwanzig und ist aus Edmonten nur für die Ernte angereist. Sie wohnt mit sechs anderen Erntehelfern neben mir auf dem Campingplatz in einem dieser gigantischen Mortorhomes. Sie fährt, wie ihre Kollegen einen Mähdrescher. Sieben Stück sind auf dem Feld im Einsatz. Gesteuert werden sie per GPS um die Überlappung der Spuren so gering wie möglich zu halten. Achtzig Zentimeter sind die Zielvorgabe. Ein Warnsystem verhindert, dass die Maschinen miteinander kollidieren und Daneben stehen die Fahrer und die Fahrerin in ständigem Funkkontakt.

Alle Hindernisse sind im Feld markiert und in den Fahrweg einprogrammiert. Der Weizen wird dann mit Trucks in die Verladeterminals gefahren wo er erst in gigantischen Silos gelagert wird und dann mit der Bahn zu den Mühlen oder den Verladestationen in den Häfen transportiert wird.

Bis Mitte Oktober wird Susan noch im Einsatz sein, dann muss sie sich einen neuen Job für den Winter suchen. Wahrscheinlich findet sie einen Job in einer Bar als Bedienung, das wäre ihr Wunsch.

Das Gold des Getreides und der blaue Himmel erinnern mich an die Fahne der Ukraine, die hier in beinahe jeder Gemeinde im Winde weht. Noch empfinde ich dieser Landschaft, trotz gegenteiliger Informationen und Befürchtungen meiner kanadischen Freunde und anderer Reisender keine Langeweile. Immer wieder drängt sich mir der Vergleich mit der Wüste Libyens auf. Selbst das Farbenspiel über den Tag hinweg ist ähnlich. Nur Berge, ja Berge sucht man hier vergeblich. Das Wattenmeer ist im Vergleich zu den Weiten Albertas und Sasketchewans ein veritables Mittelgebirge. Nicht, aber auch gar nichts stört hier den Blick. Aber es ist gerade diese Unendlichkeit, die in Mir eine wohltuende Ruhe erzeugt.

Heute, am dritten Tag dieser Fahrt durch Felder und Prairien kommen die ersten Zeichen von Ermüdung es ist Zeit Strecke zu machen.

Stephan, den ich am zweiten Tag meiner Reise im FidiBus traf hat mir geschrieben. Er erwartet mich und wünscht sich, dass ich aus einem Liquor Store in Ontario Eierlikör mitbringe. Den bekäme man in Nova Scotia nicht. Meine Besuchsreihe ist groß und wenn ich das ohne Stress schaffen möchte, dann muss ich mich ein wenig sputen. Morgen werde ich dann mit Winnipeg ein weiteres Ziel meiner Reise erreichen. Weitere Ziele sind dann Toronto, Quebec Stadt und Prince Edward Island. Am vierzehnten oder fünfzehnternOktober werde ich wohl in Halifax ankommen. Die Termine für den Rückflug und die Rückverschiffung meines FidiBus stehen unverändert. Am einundzwanzigsten Oktober bringe ich meinen FidiBus zum Hafen, nachdem ich ihn gründlich gereinigt und für die Reise hübsch gemacht habe. Allein der Gedanke an all die Vorbereitungen meiner Abreise lastet schwer auf mir und so konzentriere ich mich noch einmal auf die Tage, die noch vor mir liegen und in denen mein FidBus mir noch ein Zuhause bietet.

Hoodoos und alte Knochen

Hoodoos und alte Knochen

Um sechsuhrdreißig wache ich auf. Irgendwo da draußen heulen sich die Coyoten an. Ja, genau so stelle ich mir die Prairie vor. Es fehlt nur noch der ‚lonesome rider‘ um die Westerngeschichte vollständig zu machen. Langsam steigt die Sonne hinter den Hügeln hervor und mit ihren Strahlen fühle ich, wie die Wärme in die Eiseskälte der Nacht eindringt. Es tut gut.

Nach dem Morgenkaffee bin ich pünktlich um halb acht auf dem vereinbarten Parkplatz und schaue in die zerfurchte Landschaft deren meist fotografierte Naturgebilde die Hoodoos sind, Erdpyramiden, auf deren Spitze ein Stein ballanciert, bis die Pyramide eines Tages unter ihm hinweg erodiert ist. Und da sehe ich was ich heute morgen nur hören konnte. Zwei Coyoten schleichen durch die Graslandschaft. Doch bevor ich meine Kamera aus dem FidiBus holen konnte waren sie schon verschwunden und alle Mühe, sie irgendwo noch einmal zu Gesicht zu bekommen, doch mein Hoffen ist vergebens. Später wird mir Lois, die Rangerin, die unsere Gruppe durch die Badlands zu dem Bonefield führen soll, erklären, dass ich Glück hatte, überhaupt diese scheuen Tiere zu Gesicht bekommen zu haben. Die beste Chance hat man, wenn man mit einem nicht zu großen Hund der unangeleint umherspringt, diese Kollegen zu beobachten. Sie haben Hunde zum Fressen gern.

Lois, unserere Rangerin (re)
Hoodoos im Dinosaur Provincial Park

Lois weiht uns in ihre Tour ein. Drei Stunden werden wir durch diese Landschaft wandern und dabei verschiedene seltene Kakteen sehen, vielleicht ein paar Hirsche, doch vor Klapperschlangen und Skorpionen brauchen wir uns nicht mehr zu fürchten, für diese Tiere ist es bereits zu kalt. Erstaunlich sind ihre Schilderungen der hier vorkommenden ‚falschen‘ Klapperschlage. Ein harmloses und ungiftiges Reptil, dass sich jedoch die Erfurcht, die man ihrer echten Schwester nachsagt zu eigen macht, indem sie sich wie eine Klapperschlange aufrichtet und das Ende ihres klapperlosen Schwanzendes hin und her rüttelt. Das Klappergeräusch erzeugt sie mit ihrem Maul. Angeber gibt’s halt auch im Tierreich. Lois eigt uns das Ziel am Horizont und es scheint als hätten wir noch einen mehrstündigen Marsch vor uns, doch handelt es ich hier um eine optische Täuschcung, wie man sie in den Badlands so häufig antrifft.

Die ‚Zitadelle‘ . An ihrem Fuß befinmdet sich das Bonefield

Nach nur fünfzehn Minuten haben wir unser Ziel erreicht. Schon seit einiger Zeit bemerken wir knöcherne Teile in dem Sandstein. Ein Oberschenkelknochen und einen Wirbel von der Größe einer vierhundertfünfzig Gramm Konservendose. Wir sind auf dem Grund einer fünfundsiebzig millionen Jahre alten Flußlandschaft und dann erreichen wir das Bonefield. Man kann nur schwer einen Schritt tun, ohne auf die Knochen eines Dinauriers zu treten. Palaeonthologen schätzen, dass hier die Knochen von über eintausend Dinos verstreut liegen. Die Grabungen sind noch nicht abgeschlossen. Vermutet wird, dass durch eine Sturzflut diese Herde von Hadrosauriern überrascht wurden. Noch ehe sie sich in höhere Regionen retten konnten schoss das Wasser über sie hinweg. Die Tiere ertranken und wurden in dem Sediment rasch vergraben. Spätere Fluten lösten die Skelette auf und verteilen die Knochen in einem weiten Umfeld.

Wirbel eines Hadrosaurus
Saurierknochen

Es wurden nur wenige intakte und vollständige Skelette gefunden. Die Orginale befinden sich im Tyrell Museum in Drumheller. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, wenn ich daran denke, wie diese mächtigen Tiere durch den Wald trampelten. Zeugen einer Zeit und einer Welt, wie sie vor vielen Millionen Jahren existierte, als von den Menschen noch nicht einmal ein Vorgänger existierte. Später wurde alles zugedeckt von einer mächtigen Eisschicht, an deren Boden weitere Sedimente herbei transportiert wurden. Als diese Decke schmolz und das Schmelzwasser in weit mäandernden Strömen die Canyons und Schluchten, die Hoodoos und Täler in die ehemals völlig flache Ebene zu schneiden, entstanden die Badlands. Nach dreieinhalb Stunden war ich wieder zurück bei meinem FidiBus. Schnell noch eine Dusche in Der Touristeninfo, eine Trommel Wäsche waschen und dann zieht es mich noch weiter nach Nordwesten zurück, nach Drumheller. Dieses Museum muss ich sehen.

Am Abend bin ich in Drumheller. Campingplätze sind sauteuer und iOverlander hat auch keinen Vorschlag für die Nacht. Also übernachte ich völlig unromantisch auf dem Walmart-Parkplatz, die stehen Camper immer und offiziell zur Verfügung.

Tyrell Museum in Drumheller

Am nächsten Morgen bin ich schon um acht am Museum. Zu früh, es öffnet erst um zehn Uhr. Ich nutze die Zeit für einen gründlichen ‚Hausputz‘. Dann ist es so weit. Ich erbitte Einlass. Doch diese Rechnung hatte ich ohne den Wirt gemacht. Alle Karten sind ausverkauft. Zwölfuhrdreieißig könnte noch etwas möglich sein, wenn ich mich sofort per Internet anmelde. Die Enttäuschung war mir anzusehen. Gesagt getan, ich sicherte mir einen Platz für zwölfuhrdreieißig. Erstaunlich war, dass der Rechnungsbetrag für das Ticket 0,00 CAD betrug. Bloß keine Buchungsfehler machen. Doch siehe da, es ist so stark ausverkauft, da heute der Eintritt kostenlos ist. Als die erste Gruppe um halb elf eingelassen wird, winkt die freundliche Frau am Eingang mir zu zu und bedeutet mir, dass ich einfach mit rein schlüpfen soll. Sie gibt mir ein neues Ticket und drinnen bin ich. Daran sollte sich die nächsten beinahe vier Stunden auch nichts ändern. Welch ein grandioses Bild. Da standen diese Riesen der Kreidezeit. Sehr realistisch nachgebildet und in einem Szenario, wie es diese Tiere wohl zu der Zeit vorfanden.

Saurier im Tyrell Museum
Saurierskelett / Tyrell Museum

Man kann einen Blick in das riesige Präparierungslabor werfen, sieht, wie die die Funde konserviert werden und wie sie ausgegraben und geborgen werden. Es ist die weltweit größte Sammlung von Saurierskeletten und unterschiedlichen Arten und Spezies. (… schon wieder ein Superlativ) Ich kann mich kaum sattsehen. Als sich dann jedoch das Museum mehr und mehr mit Selfiestick bewaffneten Chinesen und Japanern füllte, gegen die man sich seinen Platz regelrecht erkämpfen musste, beschließe ich das Weite zu suchen. Selfiesticks im Museum, das ist so ziemlich das Letzte in einem solch empfindlichen Umfeld und sicher nicht nur mein Objekt des Ärgernisses sondern bestimmt auch Grauen für alle Museumsangestellten.

Noch während meiner Weiterfahrt in den Abend wirkt der Eindruck nach und ich sehe mich in dieser menschenleeren Welt der Kreidezeit mit seiner so viel größeren Artenvielfalt, als wir sie heute kennen.

Nun warten lange Reisetage durch die Weiten der Prairie auf mich. In ein paar Tagen möchte ich in Winnipeg sein.

Die Badlands von Alberta

Reiste ich bisher in der Horizontalen über die Oberfläche dieses riesigen Landes, so möchte ich mich nun auch in der Vertikalen reisen. Fünfundsiebzig Millionen Jahre, bis in die Tiefe der Kreidezeit dringe ich nun im Dinosaur Provincial Park ein. Dieser Park ist ein Weltkulturerbe Kanadas und da ich mich zwischenzeitlich an die Superlative gewöhnt habe, so verwundert es mich nicht, dass dieser Park das größte Badland Kanadas ist. Ein Ort, der im Sommer leicht die fünzig Grad Celsius-Marke überschreitet, und der wegen seiner unwegsamen Landschaft das „schlechte Land ist, dass man besser nicht betritt. So war es jedenfalls noch vor etwas mehr als zweihundert Jahren. Ich lasse mich überraschen.

Zunächst einmal fahre ich auf dem Highway #1 bis nach Lethbridge und bieg dann auf weniger befahrene Straßen nach Norden.

Ein letzter Blick auf die Berge der Rockies

Die Fahrt ist langweilig und bietet keinerlei Höhepunkte und so beende ich den Tag in Picture Butte, einem kleinen Nest mit einer Recreation Area, wo ich übernachten kann. Es riecht nach Landwirtschaft und das kommt mir dann doch sehr vertraut vor. Die Nacht wird kalt und so verziehe ich mich schon früh in meinen Schlafsack, in dem ich mich frostsicher verpacke. Als ich gegen Morgen aufwache zeigt das Thermometer minus vier Grad. Also krieche ich schnell wieder in die Wärme und schlafe noch eine Runde. Die Heizung habe ich auf sieben Uhr dreißig programmiert und früher komme ich nicht aus meinem Schlafsack hervor. Mit dem Frühstück lasse ich mir Zeit. Bis zu dem Dinosaur Provincial Park sind es nur drei Stunden Fahrt. Vor mir liegen Getreidefelder in einer Größe, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das Land ist flach wie ein Topfboden und bis zum Horizont versperrt kein Hindernis die Sicht. Ein Blick aufs Navi zeigt mir, dass es auf der gesamten Strecke keine Tankstelle gibt, doch für dreihundert Kilometer habe ich noch Diese im Tank und weitere zweihundert Kilometer im Reservekanister. Die Badlands beginnen. Die Felder sind verschwunden und an ihre Stelle tritt die Weite der Prairie. Es ist einerseits trostlos und dennoch kann ich mich andererseits von dem Anblick dieser Weite nicht losreißen. Mitten in dieser Graslandschaft nicken die Ölpumpen tagein tagaus und pumpen das schwarze Gold und Gas aus der Erde. Es muss mörderisch sein, wenn hier im Sommer die Temperaturen auf bis zu fünfzig Grad steigen. Mitten in dieser Landschaft taucht völlig unvermittelt und allein auf weiter Flur eine Tankstelle auf. Sie wirbt mit kühlem Bier, Lebensmitteln und Kaffee und, wer hätte es gedacht, mit Benzin und Diesel. Es ist die Gelegenheit noch einmal vollzutanken. Siebzig Liter Diesel für einhundertachtzehn Dollar. Hier in Alberta sind Benzin und Diesel am billigsten in ganz Kanada und das muss ich ausnutzen. Um drei Uhr erreiche ich den Nationalpark und das Bild, dass sich mir bietet ist umwerfend. Tief eingeschnitten in die glazialen Sedimente hat sich das Wasser der Gletscher beim Abtauen seinen Weg gesucht. Eine dichte Wald- und Auenlandschaft hat einst den Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen gebildet. Ich fühle mich in einer völlig fremden Welt. Vergraben in den einstigen Flussschlämmen liege die Knochen der Dinosaurier und anderer Fossilien. Es sind so viele, dass man kaum einen Schritt tun kann, ohne darauf zu treten. Fünfundsiebzig Millionen Jahre liegen unter mir. Es ist die größte bekannte Fundstelle für diese Fossilien und ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Mir wird klar, dass ein Tag nicht reichen wird, um diesen besonderen Ort zu erleben.

Auf dem Parkplatz hält neben mir hält ein weißer VW T4 TDI, ein Geschwisterchen?. Natürlich kommen wir schnell über dieses großartige Fahrzeug ins Gespräch und Tom berichtet mir, dass das Auto ein lautes Geräusch von sich gibt, dass ihn sehr beunruhigt. Er bittet mich mit dem Auto ein wenig zu fahren um das Geräusch zuzuordnen und schnell ist klar, dass das vordere linke Radlager defekt ist. Das Ersatzteil kann Tom telefonisch in Calgary bestellen, aber eine Werkstatt, die den Schaden zeitnahe beheben kann findet er nicht und ohne das passende Werkzeug kann auch ich ihm nicht helfen. Ohnehin liegt Calgary nun gar nicht auf meinem Weg.

Im der Touristeninformation buche ich mir für morgen eine geführte Tour durch den Park und mache mich auch heute schon mal auf die Socken und wandere durch diese bizarr geformte Landschaft. Es gibt hier Unmengen von Klapperschlangen, Skorpione und Spinnen, die alle nur allzu gern ihr Gift versprühen. Doch nein, für die Schlangen ist es bereits zu kalt. Sie liegen unbeweglich in ihren Höhlen und warten auf das nächste Frühjahr. Festes Schuhwerk ist

Als sei ich in der Wüste Afrikas. Die Badlands des Dinosaur Provincial Parks /Ab

Pflicht. Da ich morgen sehr früh für die geführte Tour am Treffpunkt sein muss, beschließe ich auf dem Campsite des Parks zu bleiben, der zwar teuer ist, dafür spare ich mir für morgen vierzig Kilometer Anfahrt von meinem geplanten Camp, habe dafür aber eine Dusche und eine Waschmaschine. Ja also, dann bis morgen!

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