mitspuersinnreisen

Mit dem Bulli durch's Land der Bären und Wölfe

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Prince Rupert und die drei Damen

Was soll nach dem tollen Tag im Sägewerk noch folgen. Sowohl Cäcilia und Hans als auch ich verabschieden uns von John Lammerts van Bueren, so sein voller und ganz und gar holländischer Name, mit einem Gefühl, das man am ehesten mit Ehrfurcht umschreiben kann. Welch eine Geschichte.

Die Nacht verbringen wir auf einem komfortablen Campsite am Lakelse nahe Terrace. Schwimmen im See und dann ist der Zeitpunkt gekommen meinen Lachs aus der Kühltruhe zu holen. Tiefgefroren braucht er eine Weile bis ich ihn zubereiten kann, doch zwischenzeitlich würfle ich die Karotten, die Schalotten, dazu Frühlingszwiebeln, das Korottengrün, eine gelbe und eine rote Paprika, die ich in Olivenöl in der Pfanne anröste. Später lege in die Lachstranchen obenauf und pochiere alles noch einmal für etwa acht Minuten abgedeckt über dem Grill. Ein Sonntagsessen!

Am Morgen weckt mich die Sonne beizeiten. Noch einmal springe ich in den See und genieße die Ruhe umgeben von uralten riesigen Zedern. Vögel und Eichhörnchen springen in ihnen herum und ich spüre nichts als Frieden.

Dann ist es so weit. Es ist nun an der Zeit, mich von meinen beiden Freunden, Cäcilia und Hans zu verabschieden. Zwar heben wir mit Prince Rupert das gleiche Ziel aber andere Zeitpläne. Ich gebe zu, ein wenig Trauer liegt in den letzten Umarmungen, aber wir werden uns in Deutschland oder in der Schweiz wiedersehen.

An Prince Rupert habe ich relativ wenig Erwartungen. Die Stadt ist eine jener nordamerikanischen Städte die schnell gewachsen sind und ebenso schnell ihre Blütezeit hinter sich gelassen haben. Im Hafen hoffe ich auf Informationen zu den Fährfahrplänen zu erhalten, dort dort wird lediglich auf das Internet verwiesen. An der Waterfront stelle ich mich zu einer Gruppe Menschen, die hier auf das Erscheinen der Wale oder wenigstens eines Seehundes hoffen, doch bleibt das Hoffen unerfüllt. Also fahre ich zurück. Mit Nachdruck legte mir John bei unserer Besichtigung nahe, einen Cappuccino im Café Cowpuchino zu trinken. Er sei der beste Cappuccino am Nordpazifik. Das Café liegt in dem alten Viertel von Prince Rupert und schon der Gedanke an einen guten Kaffee lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Wegbeschreibung dorthin, die von den Einheimischen bekam war eindeutig. Genauso eindeutig machte man mir jedoch klar, dass das Café wegen einer privaten Feier geschlossen sei. Dann werde ich Die Stadt wohl verlassen, ohne in diesem wirklich hübschen Lokal den berühmten Cowpucino Cappuccino probiert zu haben. Der alte Ortsteil,

Hafen von Prince Rupert


Cow Cove ist recht hübsch. Ehemalige Schiffsausrüster, einige alte Häuser direkt am Hafen und eine Bar mit Bordell wurden hübsch restauriert und das Bordell empfängt auch heute noch seine Gäste die mit wohl gefüllter Geldbörse hier sicher auf ihre Kosten kommen. Heute allerdings wird man nach leicht bekleideten und lasziv am Tresen lehnenden Damen lange Ausschau halten müssen. Dafür erwartet freundliches Personal den Gast zu einem kulinarischen Vergnügen in gediegener Atmosphäre. Nebenan befindet sich ein Lokal mit einer hübschen Terrasse die einen schönen Blick über den Hafen und hinaus auf den Pazifik verspricht. Eigentlich, so beschließe ich habe ich mir nach drei Monaten einmal wieder ein Glas Wein verdient. Ohne lange Diskussionen mit meinem inneren Schweinehund sitze ich fünf Minuten später auf eben dieser Terrasse vor einem Glas Rotwein und genieße die warmen Strahlen der August-Abendsonne. „Ahhh, wunderbar“. Siehe da, als Zugabe zu der Karaffe Rotwein bekomme ich einen Seehund zu sehen, der neugierig durch das Hafenbecken schwimmt und sich durch die Sonnenstrahlen den Bauch wärmen lässt. Der Sonnengang findet hinter den Bergen statt. Schade, aber schnell wird es kühl, ich zahle und und verabschiede mich gut gelaunt. So schlecht ist Prince Rupert doch nicht. Mein Quartier beziehe ich, mangels eines besseren Platzes auf einem Wanderparkplatz, etwa fünf Kilometer nördlich der Stadt. Ich bin nicht der Einzige. Vier weiter Autos stehen dort, zwei davon Camper-Vans. Naja, für eine Nacht wird’s gehen.

Etwas bohrte am Morgen in mir. Es war das Verlangen doch noch einmal zu versuchen, ob ich nicht heute zu meinem Cappuccino komme. Also fahre ich noch einmal in die Stadt. Wenn ich schon mal da bin, kann ein Besuch im Visitor Center nichts schaden. Ich frage die Dame hinter dem Tresen nach Fährverbindungen zu den Insel, doch außer den teuren BC-Ferries hatte sie keinen Tipp für mich und von einer Fährgesellschaft, die sich Pacific Highway nannte, die wie ein Bus zwischen den Insel verkehrt, wusste sie gar nichts. Empfehlungen, was es in der Stadt und ihrem Umfeld zu sehen gibt nannte sie nur das Übliche. Museum Waterfront und die Shopping Mal. Erst die Nachfrage ob es sich lohnt in das nahe Port Edward zu fahren, brachte sie auf die Spur, dass ich das in jedem Falle tun solle. Dort gäbe es eine Alte Konservenfabrik, in der Lachs in Dosen für den weltweiten Handel produziert wurde. Die acht Dollar Eintritt seien jedoch bar zu bezahlen, da dort kein Netz für die Kartenzahlung vorhanden sei. Ein Bus führe alle Stunde. Eine Aussage die sich, sowohl was die Kartenzahlung als auch die Busverbindung anbelangt schon bald als falsch herausstellt. Eine ältere Dame stand die ganze Zeit schweigend hinter mir und gab mir den gewünschten Tipp, dass die von mir gesuchten Wassertaxis direkt unten im Hafen ablegten und zu einem festgelegten Fahrplan, aber auch nach Wunsch zu den vielen kleinen Insel fahren. Ich bedankte mich für den Hinweis, und ging zum Anleger, doch das Tor war noch verschlossen. Zeit für den Cappuccino Tatsächlich hatte John recht. Der Cappuccino war köstlich ich sitze auf der Bank vor dem Café und sehe die Dame aus der Tourist-Info zu mir herüber winken. Ich winke zurück und da kommt sie herüber. „Ich hoffe, sie nehmen es mir nicht übel, dass ich sie so einfach anspreche, ich tue das sonst nicht“ spricht sie mich sichtlich peinlich berührt an. „Ich habe vernommen, dass sie heute nach Prince Edward zu der „Old Cannery“ fahren möchten. Habe ich das richtig verstanden?“ „Ganz genau, ich versuche die Führung um ein Uhr zu erwischen“. „Wissen sie, ich habe zwei Freundinnen, die ebenfalls heute dorthin fahren wollen, doch der Bus fährt schon lange nicht mehr dort hinaus und wenn ich mit dem Auto fahre, wäre es dann wohl möglich meine Freundinnen mitzunehmen?“ Natürlich gab es da kein Zögern. Ich müsse ein wenig Platz schaffen, da ich nur einen freien Sitz habe, doch wenn eine der Damen mit meiner Kühltruhe als Sitz vorlieb nähme spricht nichts dagegen. „Wissen Sie, eine der Damen ist sehr groß“. Mit einer Geste deutet sie an, was sie mit „groß“ meinte. Eine viertel Stunde später wurden mir Anneke und Margriet, zwei holländisch stämmige Damen um die siebzig, vorgestellt. Schon auf der Fahrt in die Old Cannery entwickelt sich lebhaftes Gespräch. Die beiden sind Cousinen, die bereits seit Jahrzehnten gemeinsam durch die Welt reisten. Einst als Hippies, mit allem Drum und dran und später so, wie es sich für erwachsene Lady gehörte. Am Ziel angekommen bestehen die Damen darauf, meinen Eintritt zu übernehmen. Der Besuch des alten Fischereibetriebes ist sein Geld wert.

Old Cannery in Port Edward

Die Anlage ist liebevoll restauriert und die Führung beschreibt anschaulich die Arbeit in der Konservenfabrik. Sie führt aber auch vor Augen, welch strenge Hierarchie bei der Verteilung der Aufgaben herrschte. Da waren die Weißen. Zumeist hatten sie die „Kragen und Krawattenjobs“ in der Verwaltung. Dann kamen die „Indiginousginous peoples“. Die Männer hatten die schwere Arbeit zu leisten und die Frauen die schmutzigste und krankmachende Arbeit bei der Reinigung und beim Ausnehmen der Fische.

The Old Cannery in Port Edward

Den ganzen Tag, oft zwölf oder dreizehn Stunden am Stück hatten sie ihre Hände im kalten Wasser und dann gab es schließlich noch die Chinesen, die bekannt waren, für den Umgang mit den Messern. Sie zerlegten bis zu fünfundvierzig Lachse in der Minute. Ich sehe sie förmlich vor mir, die scharfen blutigen Messer, die mit gekonntem Schwung einen ganzen Lachs vom Kopf und Schwanz sowie den Flossen und Finnen befreiten, so schnell, dass man den Vorgang kaum mit den Augen verfolgen konnte. Später wurde die Arbeit der Chinesen, die man hier die „Chinks“ nannte, durch eine Butchetry-Maschine ersetzt. Der offizielle Name dieser Maschine wäre heute undenkbar. Auf dem Messingschild des Herstellers prangte als Maschinenbezeichnung der Name „Iron Chink“.

The iron Chink eine diskriminierende benennung der chinesischen Mitarbeiter. Heute ist die Bezeichnung glücklicherweise tabu

Während der Rückfahrt erhält Anneke einen Anruf von ihrer Freundin Carol. Später erzählt mir Anneke mit der rauen Stimme einer Kettenraucherin, Carol hätte sie gefragt wie der „german Guy“ sei. „is he okay?“. Die Antwort muss wohl positiv ausgefallen sein, denn für den nächsten Tag werde ich eingeladen um mit den drei Damen Carol, Anneke und Margriet auf die kleine Insel Dodge Cove zu fahren. Über dies Einladung freue ich mich wahnsinnig, auch wenn das bedeutet, dass ich eine weitere Nacht auf dem Parkplatz vor den Toren Prince Ruperts zu verbringen habe. Erst einmal wartet aber ein Glas Rotwein auf meiner Terrasse auf ich.

Pünktlich um elf treffen wir uns im Cowpuccino, trinken Kaffee, essen ein Schinken-Käse-Bagel und dann rauschen wir im Wassertaxi hinüber nach Dodge Cove. Carol holt uns am Hafen ab und gemeinsam gehen wir den Schotterweg bis zu ihrer Cabin. Die Insel ist ein Traum. Alte Blockhäuser stehen verstreut in wunderschön angelegten Gärten. Neben bunten Blumen ist es Gemüse das hier üppig wächst. Anneke wird hier mit Hallo begrüßt. Sie ist nicht nur bekannt sondern ganz offensichtlich auch sehr beliebt. Lange Zeit wohnte sie auf einer Nachbarinsel und arbeitet als Briefträgerin, in der Konservenfabrik in Prince Rupert und wurde bekannt durch ein Buch, in dem das Leben junger Frauen an der Nordküste British Columbias beschreibt und in dem Sie ihr Leben und Reisen mit ihrer Cousine als ihren feministischen Beitrag zu der damals nur zögerlich in Gang kommenden Feminismus Diskussion. Sie beschreibt zwei Frauen, die sich nicht von Vorurteilen und frauenfeindlichen oft Frauen verachtenden Bemerkungen erschrecken lassen, sondern einfach ihren Weg gehen.

Carol stellt mich ihrem Freund und Lebenspartner Bill vor. Ein Mann mit weißem Haar, dass in allen Himmelsrichtung von seinem Kopf absteht. Der Bart ist grau und ebenso ungezähmt wie sein schütteres Haupthaar. Am auffälligsten aber sind seine lachenden Augen. Ich mag Bill auf Anhieb. Er stellt sich mir als Bill vor, dem man nichts glauben darf. „I’m a big genious liar“ und wolle ich die Wahrheit wissen, dann solle ich mich an Carol halten. Carol bestätigt mir, dass Bills Spezialität Anglerlatein, Seemannsgarn und unglaubliche Stories seien. Wir sitzen im Garten vor dem Haus, trinken ein Glas Limonade und schauen über die alten hölzernen Docks aufs Meer. Alte Geschichten werden in die Gegenwart geholt, alte Lieben neu zum Leben erweckt und die Luft ist gefüllt von Fröhlichkeit und unserem Lachen. Nicht eine Sekunde bin ich fremd. Stolz führt uns Bill durch seinen Shop, die Werkstatt. Erst auf den zweiten Blick eröffnet sich mir das System, das aus unendlichen Mengen scheinbaren Schrotts ein wohldurchdachtes „geordnetes Chaos“erkennen lässt. Es ist wunderbar Bills Freude zu sehen, wenn er mit strahlenden Augen einen alten Bootsmotor freilegt und erklärt, wie er ihn zum Laufen gebracht hat.

Eine Werkstatt die keine Wünsche offen lässt. Margriet und Bill

Zur Zeit arbeitet er daran ein altes, ehemaliges Fischerboot wieder flott zu bekommen. Sein Freund helfe ihm dabei, auch, wenn er genau genommen an beiden Händen nur Daumen habe. Aber die Frau seines Freundes wäre froh, ihn auf diese gut auf seinem Spielplatz untergebracht zu haben. Carol hat inzwischen das Mittagessen fertig Sokey-Lachs mit Reis und Pilzen und zum Nachtisch ein Crumble mit Beeren aus dem Garten. Ein Freund wird gerufen. Cai ist vor einigen Jahren aus Deutschland hierher gezogen und lebt mit seiner kanadischen Frau nun in Kanada. Wir unterhalten uns angeregt und die Frage, was es für ihn bedeutet Kanadier zu sein verwirrt ihn, doch nach einigem Nachdenken ist es die Freiheit die er erfährt. Was zählt ist die Erfahrung, die Persönlichkeit, die ihm ein freies Leben garantiert. Beinahe jeder Job stünde ihm offen. Wohlstand spielt nur eine untergeordnete Rolle, und dann ist es diese unendliche Natur und das Leben, das man in völligem Einklang mit ihr führen kann. Ungehetzt und stressfrei. Jeden Morgen beginnt ein neuer Tag.

Blick von Bills Haus auf den Kanal

Später gesellt sich noch ein ehemaliger Abgeordneter aus Ottawa zu uns, der sich seit einem schweren Unfall aus der Politik zurückgezogen hat und sein Leben hier auf Dodge Cove genießt. Viel zu schnell vergeht der Tag. Das Schnellboot wird uns in einer viertel Stunde wieder abholen. Der Abschied ist herzlich, Carol bleibt auf der Insel bei Bill. Als ich Carol erkläre, dass dies ein ganz besonderer Tag für mich gewesen sei, gerade so, als sei ich bei meiner eigenen Familie zum Sonntagsbesuch, da strahlt sie und nimmt mich noch einmal in ihre Arme. Es tut gut. Angekommen in Prince Rupert lade Anneke und Margriet zu einem Wein und einem Snack ein. Es bleibt nicht bei einem Wein, was unsere Laune weiter hebt. Am Ende verabschieden auch wir uns. In meine Adresssammlung füge ich nun die Adressen der beiden Damen hinzu und muss Margriet versprechen unbedingt anzurufen wenn ich in der Nähe von Ottawa bin oder Anneke sobald ich weiß wann ich Vancouver erreiche. Beide boten mir an gern bei ihnen wohnen zu können. Noch einmal fahre ich zu meinem Parkplatz und noch einmal höre ich die Geschichten eines „Mitbewohners“ von der Schwierigkeit eine bezahlbare Wohnung zu finden, selbst wenn man einen gut bezahlten Job als „Longman“ im Hafen hat. Longman, also die Schauerleute werden gesucht wie die Nadel im Heuhaufen und entsprechen gut ist der Lohn. Zwischen fünfundvierzig bis sechzig Dollar die Stunde. Aber nicht jeden Tag gibt es Arbeit und manchmal nur für ein paar Stunden.

Ich gehe schlafen. Morgen geht es weiter. Noch ein letztes Mal hinauf in den Norden.

Ein Baum wird zu Musik

Es dauert ein wenig, bis wir herausfinden, wo wir Johns Sägewerk finden. Doch endlich sind wir auf dem richtigen Weg. Er führt uns hinaus aus Terracce, ein paar Kilometer auf dem Highway 113 nach Norden. Fdoch dann sehen wir das Tor zur Einfahrt. Wir werden bereits erwartet. Es gibt erst einmal einen richtig guten Espresso in Johns Büro. Es ist gemütlich ja sogar wohnlich. Holländer haben’s wohl doch gern gemütlich. John erledigt noch ein paar Schecks für Mitarbeiter, Lieferanten und Dienstleister, die alle lieber einen Scheck in der Hand halten, als sich auf die Wunder der elektronischen Geldübermittlung zu verlassen. Dann hat er Zeiet. Sechzig Prozent seines Geschäfts wickelt er mit Steinway ab, die restlichen vierzig Prozent gehen in das Geschäft mit anderen Musikinstrumentenhersteller, zumeist in die Produktion akustischer Gitarren, Schiffsbauern und in den Flugzeugbau.

John van Bueren verwandelt Bäume in Musik

Hier in Terrace werden nur die ersten Schritte gemacht.Er sucht im Sommer die Bäume aus, die er für geeignet hält, wozu er mit dem Hubschrauber in die Wälder zu den Flächen fliegt, die für den Einschlag freigegeben sind. Der Baum muss gerade gewachsen sein und im unteren Stamm dürfen sich nur wenige Äste befinden. Die Fichten sind zumeist zwischen zweihundertfünfzig und sechshundert Jahre alt. Sie sind in sich völlig unverdreht und kerzengerade. Die Bäume werden markiert, geschlagen und dann im Anschnitt noch einmal von John beurteilt. Was nicht seinen Kriterien entspricht, verkauft er an andere Sägewerke weiter. Der Zuschnitt ist eine Wissenschaft für sich, die Maschine, aus der Schweiz geliefert und unbeschreiblich teuer, schneitet die Bretter in einer Genauigkeit von 0,5 mm. Unvorstellbar, besonders hier in Kanada, wo es solche Sägen nicht gibt. Da verläuft ein solcher Schnitt über zwölf Meter schon einmal um zwei Zentimeter. Der Schnitt erfolgt stets genau senkrecht zu den Jahresringen. Bei diesem Verfahren wundert es dann auch nicht, dass es etwa vier Stunden dauert, bis ein solcher Stamm zugeschnitten ist. Die Säge arbeitet so fein, dass dieses Holz bereits ausschaut wie gehobelt. Ich streiche über die Oberfläche und es ist kein Widerstand zu spüren, kein Spahn stellt sich meiner Hand entgegen. Normalerweise eine Arbeit von zwanzig Minuten. Es wird die Dicke, die Breite und die Feuchte gemessen, bevor die Lagen zum ersten Trocknen im Freien gelagert werden. Von hier aus gehen die Zuschnitte über Land nach Prince Rupert und auf dem Seeweg nach Vancouver. Dort erfolgt der genaue Zuschnitt, die Feinarbeit und eine weitere Trocknung und wieder geht es auf die Reise, dieses Mal nach Holland. Dort wird der zukünftige Klangboden des Flügels aus den einzelnen Zuschnitten zusammengesetzt und mit Knochenleim verleimt. Das Holz wird zuvor wieder bis auf ein paar wenige Prozent getrocknet um anschließend den, dem jeweiligen Holz entsprechende natürliche Feucht aufzunehmen. So ist gewährleistet, das der Klangboden wie aus einem Stück auf immer und ewig zusammen hält. Jetzt ist der Zeitpunkt das Holz auf seine vorerst letzte Reise zu schicken: Zu Steinway nach Hamburg. Hier wird dem Klangboden die Musik ins Holz gegeben, der Korpus geformt und dann ist es so weit. Der Baum erklingt. Ja, immer werde ich daran denken, wenn ich in Zukunft in einem Konzert sitze und den Namen Steinway auf einem Flügel sehe, Ich werde den Stamm vor mir sehen und die Hände, die aus ihm ein solch perfektes Instrument zum Erklingen bringen.

Cäcilia und Hans staunen über die Johns Führung durch das Sägewerk

Und dann erzählt uns John noch eine andere Geschichte:

Er schlägt auch die Bäume für den Bau japanischer Tempel. Hierzu kommt der Architekt, und es gibt nur jeweils einen Architekten, der dazu bestimmt ist den Tempel zu bauen, der vvor dem Schlagen der Zeder rituelle Gebete und das glückliche Gelingen zu Ehren der Götter spricht. Ist der Baum geschlagen, wird der, auf seine Länge zugeschnittene Baum nach Japan verschifft. Dort wird er ähnlich dem Klangboden getrocknet und so zugeschnitten, dass man die Segmente bis zu der gewünschten Höhe aufeinander stellen kann. Wieder aht der Architekt und Priester die Gebete zu sprechen und die rituellen Handlungen zu vollziehen, bevor der Bbau des Tempels begonnen werden kann. Alle Verbindungen werde so gesteckt und in exakte Profile gelegt. Und wie bei Steinway sorgt die Aufnahme der spezifischen Feuchte dafür dass die Verbindung über jahrhunderte stabil und sicher ist. Kein Leim, kein Zapfen, kein Nagel und keine Schraube hält das Holz zusammen. Es ist seine eigene Kraft, die auf Ewigkeit eine Einheit bildet. Und noch etwas ist bemerkenswert. Stirbt der Architekt vor Fertigstellung des Tempels, so bleibt dieser unvollendet. Niemand darf den Tempel fertigstellen. Er ist im Kraftfeld des Architekten, es ist sein Baum, es sind dessen Gebete. ohne ihn ist der Tempel ohne seinen göttlichen Segen.

Wir werden still. Kann ein Baum mehr Würdigung?

Begegnung mit der Heimat

Vom Salmon Glacier fahre ich nun wieder hinunter nach Steward. Noch einmal das WiFi der Tourist Info nutzen einen Kaffee trinken und auf nach Prince Rupert. Das ist der Plan, doch wieder soll es ganz anders werden.

Als ich aus der Tourist Info komme stehen eine Frau und ein Mann neben meinem FidiBus .

„Du bist aus Erbach und ich kenne deine Frau aus der Bücherei“ werde ich empfangen. Ich bin überrascht und erstaunt. Gitte, ja kann ich mir vorstellen, aber mich? Woher kennt sie mich? „ Ich habe dich auf der Beerdigung deiner Frau gesehen“ klärt sie mich auf. Mein Gott, das ist ja schon eine Weile her. Wir kommen ins Gespräch über ihren Job als Lehrerin, er ist Zimmermann, war bei der Baulust und so gab es viele gemeinsame Berichte und Begebenheiten. Wieder zeigt sich wie klein die Welt ist und wie hoch die Wahrscheinlichkeit überall auf der Welt auf Menschen zu stoßen, mit denen sich gemeinsame Erlebnisse verbinden. Nach einer gefühlten Ewigkeit verabschieden wir uns und dann noch eine letzte Empfehlung. Unbedingt soll ich nach Vancouver Island übersetzen und von dort auf die Insel Gabriola, dort wohnt ein befreundetes Künstlerehepaar. Dort kannst du wohnen, sie freuen sich auf dich. Wieder ein neues Ziel.

Ich sitze im Café und denke darüber nach, wieviel Glück ich auf dieser Reise erfahren habe. Im Leben hätte ich es mir nicht erträumt, einmal so reich an neuen Erlebnissen von einer Reise zurückzukehren. Es ist die Reise meines Lebens. Und während ich so über alles nachdenke kreuzt ein grauer Sprinter neben mir auf. Cäcilia und Hans. Sie sind also doch noch nicht auf dem Weg nach Prince Rupert. Anders als ich hatten die beiden noch einmal bei der Bärenplattform Stopp gemacht und tatsächlich zwei Bären erlebt, die sich am Fluss den Magen ordentlich voll geschlagen haben. Ein wenig neidisch bin ich schon auf die tollen Bilder. Wir trinken gemeinsam Kaffee und im Laufe des Gesprächs stellen wir fest, dass wir uns sehr gut gut vertragen. Ja, es fühlt sich nach einer neuen Freundschaft an. Der Entschluss, gemeinsam ein paar Tage zu reisen ist schnell gefasst und so brechen wir nun zusammen auf. Auf der Suche nach einem geeigneten Platz zum übernachten einigen wir uns auf den Decker Lake, der auf meiner App als besonder ruhig geschildert wird. Und das war er dann auch. Als ich auf die Forststraße zu dem See einbiege hoffe ich, dass der Hans es sich nicht doch noch anders überlegt. Der Weg wird schmal, sehr schmal und die Schlaglöcher sind nur im Schleichgang zu durchfahren. Aber dann, nach einer halben Stunde heftiger Schaukelei öffnet sich vor uns eine Lichtung in den Fichten. Zwei Picknicktische, eine Feuerstelle und der wunderschöne stille Decker Lake liegen vor uns. Heute gibt es zu Feier des Tage gegrillte Würstchen. Es ist einer jener unvergesslichen Abende, von denen ich so sehr geträumt habe.

Decker Lake BC

Wenn wir schon zusammen reisen, dann können wir auch gemeinsam Johns Sägewerk besuchen.

Tags darauf, kurz vor Terrace schreibe ich john eine Email und informiere ihn, dass ich noch Freunde mitbringe und John ist begeistert.

Also, auf geht’s

…und noch einmal Alaska

Von Jade City aus war der Weg nach Meziadin war der Weg recht ereignislos, sieht man einmal davon ab, dass schon von Weitem etwas entdeckte, dass wie ein Bär aussah und sich am Ende als ein Prachtexemplar eines Schwarzbären bestätigte.

Schwarzbär am Cassiar Highway

In aller Ruhe pflückte er am Straßenrand Beeren. Später wurde meine Aufmerksamkeit auf ein Karibu gelenkt, das ich auf einem kurzen Spaziergang aus den Büschen auf mich zukommen sah. Wieder einmal zeigt es sich, dass ich wirklich immer alle Foto- und Filmtechnik im Rucksack haben muss, zusätzlich zu dem Bärenspray, dass man selbst zum Pinkeln immer griffbereit halten soll. Gebraucht habe ich es bisher noch nicht und ich hoffe, dass das auch so bleibt.

An einem Restaurant treffe ich ein Schweizer Ehepaar wieder, mit denen ich bereits in Whitehorse ausgiebig geplaudert hatte. Wieder wechselten wir ein paar Worte und dann zog jeder wieder seiner Wege. Die Schweizer in Richtung Prince Rupert und ich in das Café.

Am Abend entschied ich mich dazu, Lake Mezaidin Camp Ground zu übernachten, denn es gab in der Nähe nichts, wo ich hätte stehen können. Es war eng auf dem Campground und so frage ich meine Nachbern, ob es ihnen recht sei, dass ich meinen FidiBus neben ihnen Parke. Eine folgentreiche Frage! Noch während ich mich einrichte werde ich gerufen und an das Campfeuer des besagten Ehepaares gerufen. Sie waren so angenehm davon überrascht, dass ich sie um Erlaubnis fragte, dass sie diesen netten „Gentleman“ näher kennenlernen wollten. Wie sich herausstellt, sind die beiden Texaner. Im Verlauf des Abends laden Norman und Barbara mich zum Essen ein und ich bin begeistert. Ein wunderbares Steak mit Kartoffeln und Röstzwiebeln. Besser als in jedem Restaurant.

Norman holt seine letzten Bierdosen hervor und es wird ein sehr fröhlicher Abend. Ich vermeide alles, was geeignet wäre ein Gespräch über Trump zu provozieren. Doch Erna tut’s dann doch. Ich bin nach dem Bier nicht mehr bereit zu diskutieren oder mir an einem so schönen Abend die Stimmung zu ruinieren. Meine Sorge ist unbegründet. Einmütig erklären beide, Trump sei in Idiot, ein Lügner und ein Verräter. Aus tiefstem Herzen stimme ich ihnen zu und erkläre, er sei es gar nicht wert, auch nur über ihn zu sprechen. Und so war’s das mit Trump.

Früh am Morgen starte ich zunächst nach Steward, von wo aus eine Straße nach Hyder und auf einer recht üblen Schotterpiste hinauf zum Salmon Glacier führt. Im Tourist Information Center von Steward erledige ich die Formalitäten für die Wiedereinreise aus Alaska nach Kanada. Selbst wenn man das Land nur für Stunden verlässt, so hat man bei der Einreise die aktuelle ArriveCan-App nachzuweisen. Bürokraten sind überall auf der Welt zuhause und zumeist lästig.

Zwei Kilometer hinter Stewadrd überschreite ich die Grenze in Hyder, Alaskas südlichstem Grenzübergang.

Hier gibt es eine Beobachtungsstation, von wo aus man die Bären beim Lachsfischen aus nächster Nähe beobachten kann. Für acht Dollar versuche ich mein Glück und ziehe nach zwei Stunden erfolglosen Wartens weiter. Schließlich habe ich noch sechzig Kilometer vor mir und die haben’s in sich. Um mich herum eröffnet sich eine spektakuläre Landschaft.

Bear Glaciar

Hohe schneebedeckte Berge, Riesige Wasserfälle und tiefe Schluchten. Immer wieder halte ich an und sauge die Eindrücke in mich hinein und das erste Mal befällt mich ein Gefühl, dass mir sagt: Matthias, hierher wirst du nie wieder zurückkehren. Ich muss die Bilder festhalten, nicht nur auf meinem Foto, sondern ganz besonders im Kopf.

Unerwartet taucht die Zunge des gewaltigen Salmon Glacier vor mir auf. Graue und weiße Streifen sind Zeichen seines Fließens. Am Abbruch schimmert das Blau des uralten Eises, dass nun noch einmal eine Verwandlung erfährt und zu einem trüben aber reißenden Gletscherfluss wird. Welch ein Schauspiel.

Salmon Glacier

Um drei Uhr habe ich mein Ziel erreicht. Ich stehe über dem Gletscher und schaue hinab. Mein Gott, wie beeindruckend diese Landschaft aus Eis und Fels ist. Und doch – Deutlich sind die Spuren seines Abschmelzens zu erkennen. Zehn oder gar zwanzig Meter hat er sich von den Berghängen bereits zurückgezogen und auch dieser Riese wird schon bald keinen Fluss mehr nähren. Es ist erschreckend. Eine Kette von Folgen wird das Ergebnis sein. Erst der Gletscher, dann der Fluss, die Ebene wird trocken. Es fehlen die jährlichen Überschwemmungen, kein Wasser in den Wasserfällen und den Bächen, keine Lachse, keine Bären…

Salmon Glacier

Dennoch jetzt genieße ich das Szenario dass sich meinen Augen bietet. Und… der graue Sprinter des Schweizer Ehepaares schwenkt auf den Parplatz ein. Irgendwie gewöhnt man sich auf Reisen schnell aneinander und so scheint es mir, als freute es uns beide, uns hier oben wieder zu treffen. Also beschließen wir hier oben zu übernachten. Ich habe Feuerholz dabei und schon spenden uns die Flammen genug Wärme um uns zusammenzusetzen und von unseren Plänen zu erzählen. Cäcilia und Hans wollen, je nach Budget weiter über die USA nach Südamerika reisen. In der Nähe von Vancouver besuchen sie Verwandte, die sie nie zuvor getroffen haben und sie sehen sich als „Budget Traveller“, gerade so wie ich. Später gesellen sich noch ein deutschen und ein österreichisches Paar zu uns und wiedereinmal haben wir einen spannenden Erzählabend.

Bevor die Österreicher, Erna und Harry am nächsten Morgen weiterziehen, bringen sie mir noch ein großes Päckchen selbst gefangenen Sokey-Lachs. Super und nun bin ich doch froh, meine Kühltruhe mitgenommen zu haben. Dort hinein wandert mein Lachs, ich stelle den Regler auf gefrieren und freue mich auf eine festliche Gelegenheit ihn zuzubereiten. Cäcilia und Hans machen sich auf den Weg und ich bin erst einmal allein.

Mit einigem Schrecken stelle ich fest, dass sich mein Dachgepäckträger in Auflösung befindet. Eine Gummihalterung hat sich bereits irgendwo auf der Holperpiste verabschiedet, die anderen Träger sind alle Locker oder werden nur noch durch das Gewicht der Ladung gehalten. Während ich das also korrigiere kommt ein Truck mit drei Männern, von denen zwei sofort auf einem Berg verschwinden.

„John“ stellt er sich vor und bei dem üblichen Woher, Wohin zeigt sich, dass er Holländer ist, der seine neuen Mitarbeiter an diese Stelle bringt um sich von der Gewaltigkeit dieses Gletschers beeindrucken zu lassen. John, so erzählt er mir hat in Terrace ein Sägewerk. Doch es ist ein besonderes Sägewerk. Er schneidet dort das Holz, das später zu einem Steinway-Flügel verarbeitet wird. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Wieder so eine besondere Begegnung. Meine Neugier ist erneut geweckt und ich denke mir, dass ich nichts verlieren kann wenn ich ihn bitte, sein Werk besuchen zu dürfen. John scheint auf die Frage nur gewartet zu haben und schon habe ich seine Karte. Und ich solle mich melden, sobald ich in Terrace sei. Es ist so einfach immer wieder etwas Neues zu erfahren. Neugier ist der Schlüssel zum Erleben. Immer wieder zeigt sich die alte Weisheit als so zutreffend.

Jade

ade City ist ein Ort mir gerade einmal achtzig Einwohnern und sind ausnahmslos im Mining-Business beschäftigt. In jedem Reiseführer findet sich die Beschreibung des Jadegeschäftes, das man tatsächlich nicht verpassen sollte. Ein großes Schild verkündet gut sichtbar „Free Coffee“ .Neben den üblichen Souvenirs findet man dort auch wirklich kunstvoll verarbeiteten Schmuck aus Jade und Silber. Man kann den Künstlern bei der Arbeit zuschauen oder einfach ein nettes Gespräch mit Jonas führen, wenn das Geschäft noch nicht so voll im Gange ist.

Free Coffee in Jade City

Da ich die Nacht auf dem einfachen, dafür aber kostenlosen Campingplatz verbracht habe, bin ich bereits um neun Uhr im Geschäft und identifiziere auf Anhieb Jonas, einen deutschen Mitarbeiter, der mir von Lina und Philipp wegen seiner Geschichten über den Jadebergbau ans Herz gelegt wurde. Doch bevor er erzählt bekomme ich den kostenlosen Kaffee angeboten, der nicht nur „free“ war sondern auch „dark rosted“und gut. Der Eigentümerin des Geschäftes ist auch die Eigentümerin einer Jademine, die hoch in den Bergen etwa achtzig Kilometer östlich von Jade City in den Bergen gelegen ist. Dieses Jahr kann sie jedoch wegen des noch immer dort liegenden Schnees erstmals nicht betrieben werden. Circa zehn Meter hohe Schneefelder versperren den Zugang zur Mine.

Und noch etwas setzt mich in Erstaunen. Jade City steht für etwa achtzig Prozent der weltweit geförderten Jade in dieser Qualität. Wegen ihre Zähigkeit und Härte gilt sie als besonders widerstandsfähig und damit als besonders wertvoll. Bisher war ich im Glauben, China und der asiatische Raum sei für die Hauptfördermenge dieses begehrten Gesteins verantwortlich. Nun, ich werde dieser neuen Information im Laufe meiner Reise nachgehen.

Doch Jonas hat noch einen weiteren Tipp für mich auf Lager: Etwas abseits gäbe es eine Piste zu einer ehemaligen Asbestmine. Sie schlängelt sich etwa zwanzig Kilometer auf einer Schotterpiste, vorbei an Geisterorten ehemaliger Goldminen, aber auch vorbei an gut gesicherten zu noch betriebenen Minen. Nach einer halben Stunde taucht die alte Mine aus dem Busch auf. Auf dem Gelände stehen zahllose Minenfahrzeuge, Bagger, Trucks, Schlepper und vieles mehr herum, ein wahres Freilichtmuseum. Die alte Mine jedoch verbirgt sich hinter einem hohen Zaun. Ganz klar, dies ist ein Fall für meine Drohne, die stets einsatzbereit in meinem FidiBus auf Arbeit wartet. Mit ihrer Hilfe verschaffe ich mir einen Blick über den Zaun. Riesige Halden bergen, wenn man ein wenig sucht wunderschöne Jadebrocken – oder eher Bröckchen und wenigstens eines davon sammele ich ein. Ein Mitbringsel für Gitte.

Relikt einer vergangenen Zeit
Verlassene Asbestmine nahe Jade City

Auf dem Weg zurück ins Tal fallen mir die vielen bunten Blumen am Wegesrand auf. Ja, für ein paar Wochen zeigt sich nun die Sommerflora, bevor der kurze Herbst und dann der lange Winter kommt.

Zurück in Jade City versucht Jonas mich zu überreden über den Winter hier zu bleiben. Seine Chefin suche dringend Ersatz für ihn, denn er wird nach drei Jahren Kanada im September wieder nach Deutschland zurückkehren. Seine Chefin zahle gut und es gehe hauptsächlich um Wartung der Maschinen, ein Job, der keine speziellen Vorkenntnisse erfordere. Einmal im Monat, sofern die Straße befahrbar sei müsse ich ich nach Prince Rupert zum Einkaufen fahren. Zwölf Stunden Fahrt im Sommer, im Winter wohl etwas mehr, für eine Richtung. Im Großmarkt werden dann für etwa sechstausend Dollar Lebensmittel für die gesamte Gemeinde eingekauft. Inklusive Benzin sei das immer noch billiger als in dem knapp einhundertfünfzig Kilometer entfernten Watson Lake einzukaufen, wo es keinen Großmarkt gibt. Mir wird schwindelig bei dem Gedanken auf der gefrorenen Schneepiste bei Nacht und Schneetreiben mit Truck und Anhänger unterwegs zu sein.

Ich lehne also das Jobangebot dankend ab. Oh ja, Jobs liegen auf der Straße, wenn man in der Grauzone des Arbeitsgesetzes Geld verdienen möchte. Seit Covid hat sich die Nachfrage in den abgelegenen Gebieten nach Personal drastisch verstärkt. Doch die jungen Menschen versuchen in den Städten ihr Glück.

Mich zieht es nun weiter. Telegraf City ist mein nächstes Ziel. Der Weg dorthin zählt zu den großen Attraktionen eines Kanadareisenden. Von Jonas lasse ich mir den Weg beschreiben, der abermals vom Cassiar Highway nach Norden abzweigt. Zwanzig Prozent Steigung/Gefälle, eine raue, nur vier Meter breite Schotterpiste, auf der einen Seite steil aufragender Fels, auf der anderen Seite einhundert und mehr Meter tiefe und ebenso steile Abhänge. Besonders gefährlich bei Regen, wenn sich die Piste in eine Rutschbahn aus Schlamm verwandelt. Okay, ich weiß Bescheid.

Kurz hinter Jade City stoße ich auf den Abzweig nach Telegraph City. Nun geht es also einhundert fünfzehn Kilometer mit etwa zwanzig bis dreißig Kilometern pro Stunde bergauf. Und dann beginnt es zu regnen und tatsächlich setzt sich das Profil meiner Reifen sofort mit dem lehmigen Schlamm zu und ich komme ins Schlingern. Meine Vernunft schaltet sich ein und nach ein paar weiteren Kilometern finde ich eine Stelle, die breit genug ist um zu wenden. Ein Manöver, das mir die Schweißperlen auf die Stirne treibt, doch nach einigem Vor und Zurück zeigen die Scheinwerfer meines tapferen FidiBus wieder ins Tal. Zurück zum Cassiar Highway nach Meziadin, dem Ausgangspunkt eines weiteren Abstechers nach Alaska.

Alaska Highway – Zurück nach Watson Lake

Für die Weiterfahrt in Richtung Watson Lake ist noch einiges zu erledigen.

Meine Lebensmittel müssen dringend ergänzt werden, meine Telefonkarte muss erneuert werden und dann gehe ich noch einmal Kaffee trinken und meine Mails checken. Ein Update über das Weltgeschehen ist auch von Nöten, denn wenn man mich hier zu den neuen Entwicklungen in Europa im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine befragt möchte ich nicht ganz mit leeren Händen dastehen. Doch dann, am Mittag endlich fahre ich los, nachdem ich meinen FidiBus wieder aufgetankt habe. Glücklicherweise haben sich die Dieselpreise wieder etwas beruhigt und man bekommt den Liter Diesel wieder für zwei Dollar neun.

Die Fahrt über den Highway führt mich auf bekanntes Terrain. Dennoch bieten sich immer wieder Möglichkeiten anzuhalten und in Gedanken den Weg der Stampeders nachzuzeichnen. Lake Schwatka und Marsh Lake, welche körperlicher Einsatz der Pioniere, die diese Route erkundeten, bevor sie den Männern und Frauen eröffnet wurden und damit der große Zug der zigtausend Menschen begann. Dreihundert Kilometer vor Watson Lake und kurz vor … geriate ich in ein schweres Gewitter. Der Wind wird zum Sturm, der Himmel verfärbt sich schwarz und der Regen prasselte herab. Blitze schlagen irgendwo in den Bäumen ein und meine Scheibenwischer schaffen es kaum noch, mir die Sicht auf die Straße frei zu wischen.

Meine Uhr verrät mir, dass es bereits fünf Uhr ist, Zeit um die Fahr für heute zu beenden. In Johnsons Crossing ist ein Campground und den steuere ich heute an. Inzwischen hat das Gewitter aufgehört und als sei nichts gewesen scheint die Sonne. Zeit für ein Campfeuer. Holz ist genügend vorhanden. Und es dauert nicht lange bis ich mir genug Holz gespalten habe um auch für morgen noch einen Vorrat zu haben.

Von hier bis Watson Lake sind es etwas mehr als dreihundert Kilometer, eine bequeme Tagesreise.

Kurz hinter Watson Lake passiere ich den Abzweig auf die Canol Road zum Campbell Highway. Soll ich? Soll ich nicht? Ich soll! Also mache ich kehrt und versuche auf den Highway zu gelangen, der mir auf dem Hinweg wegen der Waldbrände verwehrt geblieben ist. Die Canol Road wurde gebaut um nach dem Angriff auf Pearl Harbour eine Pipline zu bauen, die die Ölversorgung Yukons und der Northwestern Territories sichern sollte. Meine Karte weist diese Straße als ungewartet aus und wahrlich, das war sie auch. Nach zwanzig der zweihundert Kilometer langen Strecke gebe ich auf. Bis hierher tastete ich mich mit zehn oder fünfzehn Stundenkilometern vorwärts. Vor mir nichts als zweihundert Kilometer aneinandergereihte Schlaglöcher und nach zwei Stunden nicht ein Auto. Das Risiko einer Panne und keiner Hilfe scheint mir zu groß. Ich wende und versuche meinen FidiBus heile wieder auf den Alaska Highway zu fahren. Nach weiteren zwei Stunden kann ich aufatmen. Asphalt. In Gedanken verbeuge ich mich vor den Arbeitern, die dieses Straße so bequem gemacht haben. Am Abend bin ich in Watson Lake, kaufe an der Tankstelle noch einen Sixpack Bier und dann gönne ich mir im Recreation Center eine heiße Dusche und eine Sauna. Das ist mir doch glatt vier Dollar wert. Donnerwetter tut das gut! Alle Verspannungen des anstrengenden Tage fahren mit dem Schweiß aus mir heraus. Schlagartig werde ich müde. Campsite ich komme.

Bevor ich heute, am fünften August Richtung Jade City aufbreche besuche ich das Watson Lake Northern Light Center. Für acht Dollar bekommt man hier eine Show geboten die mich zutiefst beeindruckte Die Entstehung des Polarlichtes wird hier ebenso erklärt, wie die Bedeutung die die First Nations dieser Himmelserscheinung zuwiesen. Und dann die Polarlichter selbst aus der Sicht der ISS aber am eindrucksvollsten von einem Filmemacher mit einer Spezialkammera aufgenommen. Schnell wird aus dem Film die Illusion direkt unter diesem wundervollen Lichtspektakel zu stehen. Zwanzig Minuten staune ich über das, was sich um mich herum und über mir abspielt. Unsere Welt, sie ist so schön.

Cassiar Highway

Bis Jade City werde ich es heute schaffen, die Northern Light Show hat mich viel Zeit gekostet, Zeit die ich aber besser nicht hätte nutzen können.

Auf dem Cassiar Highway nehme ich einen Mann mit, der hier trampt, was schnell zu einem Geduldsspiel werden kann. Nur wenige Autos fahren den Highway in dieser Richtung. Er sei First Nation. Es sei ja nicht weit bis nach Good Hope Lake. Praktisch der nächste Ort. Nicht weit heißt in diesem Fall einhundert Kilometer. Wir unterhalten uns über die Waldbrände, über die Jagd und seinen Job. Er ist ein „dies und das“. Seine Aufgabe ist es wie die der anderen Clanmitglieder zu fischen, zu jagen und ein wenig zu handeln. Sein Bruder Cousin sei im Juni verschwunden, erzählt er mir. Betrunken und bekifft sei er nach einem Streit in den Wald gelaufen und bisher noch nicht zurückgekehrt. Ob er sich keine Sorgen macht und ob man ihn sucht frage ich. Nein, suchen kann man ihn nicht. Der Wald sei groß, dicht und unwegsam. Da würde das Search and Rescue Team gar nicht erst aufbrechen. Aber sein Cousin kennt sich im Wald aus. Wenn er nicht wiederkommt, dann sei er wohl verunglückt. Das kann hier schnell passieren.

Hmm, Ich werde nachdenklich. In Good Hope Lake steigt er aus und ich setze meine Fahrt für die letzten zwanzig Kilometer bis nach Jade City fort. Später werde ich die Suchanzeigen an der Straße und in den Terrace finden. Dieser Highway und der Yellowhead Highway sind dafür berüchtigt, dass hier immer wieder junge Menschen, zumeist junge Frauen verschwinden. Trampen ist daher verboten und sowohl Tramper als auch diejenigen, die Tramper mitnehmen erwartet eine saftige Strafe.

Vom Stahl, Beton und Steuertabellen zum Sauerteig

Ich wache auf, schaue auf die Uhr und sehe, es ist fünf vor halb drei am Morgen, der Wecker klingelt in fünf Minuten. Auf ein Frühstück verzichte ich, ich richte meine Sachen. Foto und Filmkamera sind einsatzbereit und die Ersatzakkus sind geladen. Das Konzept steht ebenfalls und so fahre ich los. Wie abgemacht klopfe ich halb vier an das Fenster der Bäckerei. Silvia die Chefin öffnet mir die Tür. Außer ihr ist noch eine junge Bäckerin in der Backstube und bereitet sich auf ihre Arbeit vor. Sie ist aus Thüringen, was auch ohne ihre Erklärung nicht schwer zu erkennen ist. Bis sie so weit ist, werden wir das Interview produzieren. Im Verkaufsraum gibt ein paar Tische und Stühle für die Gäste, die hier später bei Kaffee und Kuchen sitzen. Es ist ein guter Platz für das Interview, das ich später unter das Video schneiden möchten. Die Kamera wird eingerichtet und los geht es. Als erstes berichtet Klaus. Sein Weg vom Prüfingenieur eines bedeutenden Prüfbüros für Brückentechnik bis zum Entschluss all das aufzugeben um sich mit einem völlig neuen Thema auseinanderzusetzen fasziniert, geht mit dem Berufswechsel zugleich auch ein Ortswechsel und eine vollständige Veränderung des bisherigen Lebens vonstatten. Nicht weniger interessant ist die Entscheidungsfindung, die Silvia zu diesem Schritt bewogen hat. Aus einem Steuerbüro in eine Bäckerei. Da gibt es ebenso wenig Verbindungen wie vom Ingenieur zur Bäckerei.

Getragen wurde ihre Idee jedoch von der gemeinsamen Vorstellung einem nachhaltigen und ökologischen Umgang mit dieser Welt. Bereits früh engagierten sich Silvia und Klaus in diversen Umweltprojekten im Ausland. Sie studierten das Leben der Wale, tauchten zu den Haien und unterstützten Forschungsteams bei ihrer Arbeit. So wurden sie auch Teil einer Filmreihe, die sie sie bei der Arbeit in dem Forschungsteam zeigt. So kam eines nach dem anderen und irgendwann reifte die Entscheidung aus dem Überfluss zurückzutreten und sich darauf zu besinnen, was wesentlich im Leben ist. Essen ist nun einmal wesentlich und gesund essen im Besonderen. Fortan wollten sie Bäcker sein in einem Land, dass ihnen die Freiheit eines solchen Traumes ermöglichte, und das in einer grenzenlosen und fast unberührten Natur. Die geräumige Wohnung in der Umgebung Münchens wurde aufgegeben, Das Bäckerhandwerk erlernten sie bei einer befreundeten Bäckerfamilie und los ging’s in die kleine, vierzig Quadratmeter große Wohnung über der gekauften Bäckerei in Whitehorse. Die Bäckerei existierte ja bereits als Alpine Bakery, die ebenfalls von einem deutschen Ehepaar betrieben wurde, die nun aber aus Altersgründen die Zeit zu einem Wechsel gekommen sahen. Ein guter Start.Doch Silvia und Klaus beließen es nicht bei der Herstellung biologischen Brotes. Ihre Idee ging weit darüber hinaus. Gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze für die Mitarbeiter, einbeziehen regionaler Produkte, faire Preise für die Erzeuger. Damit sollte die Alpine Bakery weit über Whitehorse hinaus wirken.

Zwischenzeitlich war es so weit. Der Teig war in dem großen Kneter geknetet. Er kam auf den Tisch und wurde in Pfundlaibe geteilt und gewogen. Die Backform war mit einem gemehlten Tuch ausgelegt und hier hinein kam nun der Teig. Der Steinofen war bereits über Nacht geheizt worden und wurde nun gesäubert. Hier hinein wanderten nun die Backformen. Ein zweiter Teigansatz wurde im Kneter verarbeitet. Nach einer Ruhezeit wurde auch dieser von … aus dem Kneter auf den Tisch geholt, wieder geschnitten, aber anders als zuvor die in die Kastenform wurden diese in Körbchen gegeben, wo sie nun noch eine Weile gehen konnten. Später wanderten auch diese runden Laibe in den Ofen. Weitere Mitarbeiter erschienen. Mutter und Tochter, ebenfalls aus Thüringen kümmerten sich um den Backvorgang, beziehungsweise machten sich an die Herstellung von Yoghurt. Immer wieder wurde die Temperatur der Milch gemessen, bis er dann in Gläser abgefüllt in die Kühltheke gestellt wurde. Um neun Uhr wurde die Ladentür geöffnet. Inzwischen lag das frische Brot duften und noch warm in den Regalen. So ganz nebenher wurde weiteres Gebäck gebacken und so lag nun eine beachtlicche Auswahl feinster Backwaren bereit.Kurz nach neun war der Laden voll. Eine Frau aus Dawson City kaufte große Mengen Brot, wir kamen ins Gespräch und natürlich kannte sie Helmut und auch seinen Freund und Farmer Otto. Er war ihr Nachbar. Auch Hotels und Restaurants deckten sich mit Brot und Yogurt ein. Während sich die Reagle stetig leerten wurde der Ofen für den nächsten Tag vorbereitet. Armdickes Holz, etwa einen Meter zwanzig lang wurde in den Ofen geschoben und in der Restwärme geröstet um so zu einem guten und sicheren Brand vorgetrocknet zu werden. Sofort verbreitete der würzige Duft des Fichtenholzes in der ganzen Bäckerei. Um zwei waren die Regale leer, Zeit um sich zu verabschieden. Zu Abschied schenkt mir Klaus ein Buch mit Fotos, die er aus der ganzen Welt mitgebracht hatte. Fotos, deren Ursprung sich oft erst offenbarte, wenn man den Text dazu las. Die Gedanken, die sich mit dem Foto verbanden und die nur noch einmal deutlich machten, welche behutsame Einstellung die Leitschnur der Arbeit für die beiden darstellt.

Erneut war durfte ich besondere Menschen kennenlernen und erfahren wie ich meinem Wunsch, die Menschen in den Mittelpunkt meiner Reise zu stellen, Stück für Stück näher komme.

Meine Zeit in Yukon Territory geht nun zu Ende. Morgen breche ich auf und reise neuen Erlebnissen entgegen.

Eine Idee wird gebacken

Ich bin also wieder zurück in Whitehorse. Irgendwie scheint die Stadt Dreh- und Angelpunkt meines Roadtrips durch Yukon Territory zu sein. Nach einer ruhigen Nacht am Schwatka Lake bringe ich als erstes den Ersatzreifen zurück, fahre weiter zu John und montiere die neuen Bremsbeläge und fahre anschließend in die Stadt. Mein Brot geht zu Ende und wo bekäme ich ein besseres Brot als in der Alpine Bakery mit ihrem fantastischen Brot. Danach beschließe ich meinem FidiBus mit einem Ölwechsel etwas Gutes zu tun. Es ist mittlerweile um vier, früh genug um noch ein Stück in Richtung Watson Lake zu fahren. Ich denke noch einmal an die Bäckerei und frage mich, weshalb ich sie eigentlich nicht in meiner Dokumentation bedacht habe. Es gibt ja nichts, was sich nicht noch ändern ließe, also wende ich, fahre zurück nach Whitehorse, komme vor Ladenschluss in der Alpine Bakery an und frage nach der Chefin oder dem Chef, stelle meine Idee vor, den Werdegang eines Brotes vom Teig zum fertigen Brot zu filmen. Silvia ist sofort dabei, müsse das aber über das Wochenende noch mit ihrem Mann besprechen. Noch am selben Abend bekomme ich ich die Nachricht, dass sie mich am Dienstag Morgen um halb vier in der Bäckerei erwarten. Hurra, ein spannendes Projekt nimmt seinen Lauf.

Bis Dienstag habe ich noch vier Tage Zeit und so beschließe ich, mich nach Atlin auf den Weg zu machen, das von Whitehorse zweihundert Kilometer entfernt ist. Schon die Fahrt dorthin über Carcross ist einfach toll. Es ist warm, die Sonne scheint und ich cruise einfach so dahin. Am Little Atlin Lake finde ich ein schönes Plätzchen für die Nacht. Es liegt nahe der Straße, aber es ist ruhig. Vom See her ertönen Stimmen. Mit dem Fernglas erkenne ich ein Kanu, das mit drei Personen besetzt hin und her über den See fährt. Dann wird es auch schon Zeit ins Bett zu gehen. Atlin ist ein Dorf an einem der Enden der Welt. Die Straße endet kurz hinter Atlin, Telefonisch ist der Ort nur über das Festnetz zu erreichen. Die Bürger haben sich bisher erfolgreich gewehrt, ein Mobilfunknetz aufzubauen. Auch einen Südlichen Anschluss der Straße nach Juneau, der von den USA bezahlt worden wäre, fand vor den Augen der Gemeinde keine Gnade. Wie so viele kleine Gemeinden im Yukon und in British Columbia verdankt auch Atlin seine Existenz dem Goldrausch. Und noch immer ist er hier hautnah zu spüren. In die nahen Berge führen immer wieder Straßen hinauf zu den Minen, die manch einer Familie ein gutes Auskommen sichern. Doch zunächst einmal suche ich mir einen geeigneten Platz zum übernachten. Der offizielle Campingplatz ist einfach nur hässlich und außerdem besetzt von riesigen Wohnmobilen und Motorhomes. Hier möchte ich nicht eine Nacht bleiben. Auf meinem Gang durch den Ort fällt mir das kleine Museum auf. Es ist sehr hübsch. Es stellt das Leben um 1890 bis heute dar. Bis in die fünfziger Jahre war Atlin nur aus der Luft, zu Wasser oder im Winter mit Hundeschlitten zu erreichen. Das Leben hier in der Abgeschiedenheit war hart. Schon früh wurde hier eine RCMP-Station errichtet und ein Gericht etabliert. Die Dame im Museum erklärte mir dann, dass ich doch mit meinem Auto auf der großen Wiese des Parks übernachten solle. Dort gäbe es Feuerstellen und Picknicktische und es koste nichts. Ein guter Rat, wie sich herausstellen sollte. Ich richte mich also auf der Wiese des Parks ein und werde sogleich von den Hunden eines weiteren Wohnmobilbesitzers verbellt. Grund genug mit dem Hundebesitzer ins Gespräch zu kommen.

Atlin, Main Street

Während ich mir mein Mittagessen bereite, kommt Greg herüber. Er möchte mit seinem Quad, hier nennt man sie Sidebyside, am See entlang fahren um zu einem schönen Aussichtspunkt zu gelangen. Er würde sich freuen, wenn ich mitkäme. Ich lasse mich nicht lange bitten, stelle meinen Kocher aus und springe auf. Über die Straße, Trampelpfade und dann über Stock und Stein holpern wir auf diesem kleinen Geländefahrzeug an ein ruhiges und unberührtes Seeufer, doch der erwartete Ausblick auf einen großen Gletscher bleibt im Verborgenen. Also stoßen wir weiter in das unwegsame Gelände vor. Völlig unerwartet steigt Greg auf die Bremse. Was ist los. Dann sehe ich es. Ein Braunbär! Er trottet gemächlich durch das Gebüsch, reißt hier ein paar Beeren und dort ein paar Beeren und es sieht so aus, als wolle er bewusst nicht erst alle Beeren des einen, dann die des anderen Busches fressen.

Braunbär in Atlin

Und dann wird der Blick frei auf die weiße Fläche des Gletschers. Etwa zehn Kilometer ist er entfernt, doch noch näher werden wir heute nicht heran kommen. Dennoch packt uns die Begeisterung und immer wieder sehen wir sie vor uns, die lange Schlange der Stampeders die sich vom Gletscher zum Ufer des Lake Atlin bewegt um auf ihm den Weg von Skagway über den Lake Atlin, den Marsh Lake bis zum Yukon zu gelangen und von dort weiter auf dem Yukon nach Dawson City, dem Traum vom Reichtum zu folgend.

Lake Atlin und der Llewellyn Gletscherim Hintergrund

Doch wir finden zurück ins Jetzt und Heute, am Seeufer finden wir wunderbares trockenes Schwemmholz, das wir einsammeln und für unser Feuer auf der Ladefläche verstauen. Wir essen gemeinsam, trinken ein paar Biere und verabreden uns am nächsten Morgen zum Frühstück in seinem Camper. Pünktlich klopfe ich am nächsten Morgen an Gregs Türe. Sein Wagen ist im Vergleich zu anderen Campern recht gemütlich eingerichtet. Ein großer Salon mit grauer Ledercouch, ein großer Tisch, ein geräumiges Bad mit Toilette und Dusche und eine vollwertige Küche. Eigentlich ein Tinyhouse, ausreichend für zwei Personen. Greg brät ein paar Lachsfilets, Spiegelei und Speck. Er erzählt von seiner Familie. Seine Frau ist First Nation aus Whitehorse, seine Tochter und sein Sohn sind hier in Atlin zur Hochzeit eines Freundes eingeladen. Er ist hier um bei Bedarf auf die Enkelkinder aufzupassen. Ich habe den Eindruck, er ist froh sich mit mir die Zeit zu vertreiben. Es gibt so viele Probleme. Er ist krank und erholt sich gerade von einem Infarkt. Auch seine Frau ist krank, doch ihre Krankheit ist eine andere, eine, die mit Medikamenten allein nicht zu heilen ist und die leider unter First Nations nicht selten ist. Bevor er in den Ruhestand gegangen ist arbeitet Greg als Mechaniker bei Swiss Air, solange es die noch gab. Dann machte er so dies und das, was wohl die häufigste Jobbeschreibung der Menschen in Yukon ist. Er bietet mir an, die Wartezeit bis zum Dreh in der Alpine Bakery bei ihm zu schlafen, er hätte genügend Platz. Am Montag morgen fahren Greg und ich zurück nach Whitehorse, er fährt noch einmal zwischendurch zu einem See zum Angeln.

Es ist ein gutes Gefühl, wenn ich merke, dass die Menschen Vertrauen zu mir haben, ihre Geschichten erzählen und sich wünschen, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Inzwischen ist dies ein wenig anstrengend. Beinahe täglich bekomme ich eine Nachricht mit der Frage wo ich stecke, was ich tue und ob alles mit mir und mit dem FidiBus okay ist. Schließlich wünschen sich alle eine Antwort und habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, nach dem Frühstück erst einmal meine Antworten zu formulieren. Dank der hilfreichen Kommunikationstechnik werden die selbständig versendet, sobald ein Telefonnetz verfügbar ist.

Am Abend verabreden Greg und ich uns erneut in einer Bar, etwa zehn Kilometer nördlich von Whitehorse. Greg möchte meine Einstellung zu Amerika wissen. Wegen meiner traumatischen Beziehung zu diesem Land warne ich ihn vor, er dürfe von mir nicht unbedingt ein objektives Bild erwarten, denn so sehr ich mir auch Mühe gebe, immer schwingt meine unglückliche Zeit in den USA hinein und verfärbt das Bild wie ein Tropfen Tinte in einem Eimer Wasser. Wir diskutieren die Rolle der USA im Ukrainekrieg und in China. Europa und sein Bild von Kanada, und wieder Europa und Ukraine. Die Themen sind kompliziert. Wir setzen das Gespräch bei ihm zuhause fort und am Ende bietet er mir erneut an, bei ihm zu übernachten. Doch zwanzig Kilometer nachts um drei bis nach Whitehorse zu fahren ist mir dann doch zu aufwendig. Um elf Uhr nachts steht mein FidiBus also wieder am gewohnten Platz an der Staumauer. Ich bin ein wenig aufgeregt, denn gleich ist es so weit. Die Alpine Bakery wartet.

Von Chicken nach Whitehorse

Auch Chicken hat seine Existenz dem Goldrausch zu verdanken. Und auch heute noch wird dort das edle Metall geschürft. Direkt am Top of The World Highway gelegen, kann man Chicken nicht verpassen. Ein Besuch in der sehr außergewöhnlichen Bar sollte kein Reisender versäumen. Chicken besteht im Großen und Ganzen aus einem recht großen Souvenierladen, einem Flugplatz, einigen Wohncontainern und in Downtown drei Häusern aus der Zeit des Goldrausches. Das sind ein weiterer Souvenierladen, deutlich charmanter als der erstgenannte, der Bar und der Bäckerei, gleichzeitig Café und Restaurant. Auf einem großen Platz steht eine Dredge, jene riesige Maschine mit der tonnenweise der BBoden umgegraben wurde um das Gold herauszuwaschen, und anderes Gerät, das vom Fluss hierher verlegt wurde. Durch iOverlander weiß ich, dass ich hier, hinter der Bar und dem Café kostenlos übernachtet werden darf, wenn man sich zuvor an der Bar anmeldet. Bei der Gelegenheit bestelle ich mir einen Ceasar und habe ein nettes Gespräch mit einem schweizer Paar, das ebenfalls mit ihrem VW T3 auf dem Wege nach Fairbanks sind. Natürlich wird über die Fahrzeuge gefachsimpelt. Doch am Ende muss ich mir einfach eingestehen, dass ich das ultimative, alternativlose und sparsamste Auto aller Zeiten chauffiere.

Der restliche Weg zum und auf dem Alaska Highway ist einfach berauschend. In der Ferne sind bereits die schneebedeckten Gipfel des St. Elias Gebirges zu sehen. Hier sind die größten, nichtpolaren Eisfelder der Welt. Doch wie lange noch? Der Klimawandel macht sich hier auf dramatische Weise bemerkbar. Experten gehen davon aus, dass die letzten Gletscher bis 2030 geschmolzen sind. Es ist mir eine schreckliche Vorstellung, dass diese majestätischen Bergriesen, mit ihren stolzen mehr als viertausend und fünftausend Metern Höhe schon so bald nichts anderes mehr sind als Geröll- und Steinwüsten. Immer weiter nähere ich mich den Bergen und kann mich kaum von ihrem Anblick losreißen. Kurz vor Haines Junction sehe ich ein großes Schild: „Flightseeing“. Ich zögere nicht, biege ab zum Flughafen und bin fest entschlossen, mir einen Flug über die Gletscher zu leisten. Zweihundert Dollar sind viel Geld für mich, aber es wird Möglichkeiten geben, wie ich das wieder hereinhole. Leider kann man mir heute das Vergnügen nicht bieten, es ist kein Pilot am Platz. Halb traurig, halb erleichtert darüber, zweihundert Dollar gespart zu haben, setze ich meine Fahrt nach Haines Junction fort, leiste mir ein Essen beim Chinesen und treffe in der Bar einen Schweizer und seine kanadische Frau, die nun seit vierzig Jahren hier leben . Marliese arbeitet, wie achzig Prozent der Kanadier in Yukon, für das Government, im Finanzsektor. Martin war Flugzeugmechaniker bei Swiss Air und dann, in Kanada pachtete Martin eine Tankstelle und arbeitete gelegentlich als Mechaniker. Heute arbeitet er nicht mehr.

Zusammen mit Jill versuchten wir Martin zu überzeugen, dass Schwule und Lesben in unsere Gesellschaft gehören wie Katholiken und Evangelische, wie Buddhisten und Moslems. Er würde sie am liebsten los werden. Was immer das auch bedeutet. Er äußert sich dazu nicht näher Überzeugen können wir ihn nicht, aber zumindest können wir ihm zeigen, dass er mit seiner Meinung auf erheblichen Widerstand stößt

Martin treffe ich am nächsten Morgen in der Village Bakery und ich stelle ihm die Frage, die ich zwischenzeitlich jedem stelle. „Was macht für dich das Leben in Kanada aus?“. Und wieder ist die Antwort: Das freie Leben, die Möglichkeit das auszuüben, was du kannst. Niemand fragt danach, ob dein Beruf erlernt wurde oder ob du „selfmade“ bist. Aber es sei ein Unterschied in Yukon zu leben oder in British Columbia. Die Menschen seien dort anders. Es ist so. In keiner anderen Provinz habe ich den Stolz, mit dem man von dem „freien Yukoner“ spricht deutlicher erlebt als hier. Es scheint, als sei hier noch der alte Pioniergeist lebendig geblieben. Frei heißt hier allerdings auch, weiter entfernt von Gesetz und Vorschriften. „Wir Yukoner leben von, mit und nach der Natur und dem Verstand. In Ottawa wissen die ja gear nicht, was hier geschieht“. Ein wenig scheint es mir, als seien es die „alten Yukoner“ die das verklärte Bild vergangener Zeiten vor Augen haben. Es sind aber auch die jüngeren Männer und Frauen an unserem Tisch, die von der Freiheit erzählen im „Busch“ eine Hütte zu bauen, zu jagen, zu fischen, im Winter lange Skidoo-Touren mit Freunden zu machen oder mit Schneeschuhen an den Füßen durch unberührten Schnee zu wandern.

Noch einmal übernachte ich am Fluss, nahe Haines Junction und dann verlasse ich ein wenig wehmütig die Berge. Mir wird bewusst, dass ich nun bereits auf der Rückreise bin, für die ich mir reichlich Zeit nehmen werde.

Am Abend erreiche ich Whitehorse, beziehe wieder meinen Platz am Schwatka Lake.

Mein Programm für morgen steht fest. Ich bringe das Ersatzrad zurück, hole die Bremsbeläge bei Jo ab, baue sie ein und checke dabei den Zustand der Reparatur des Bremssattels und hole meine Videokamera bei Jill ab, und dann geht es weiter Richtung Süden.

Und wieder kommt es anders.

Begegnungen

Endlich geht es wieder weiter. Der Top of The World Highway erweist sich als eine gut gewartete Piste. Leider ist der Himmel noch verhangen und der viel gerühmte Blick vom Dach der Welt über die unendlichen Weiten der Wälder Kanadas bleibt wohl für mich verborgen. Es kann also nichts schaden, wenn ich Helmuts Rat folge und zu einem Freund nach Forty Mile am gleichnamigen Fluss fahre. Irgendwo nach etwa fünfzig Kilometern würde eine Piste zu einer ehemaligen Asbestmine abzweigen. Diesaer Piste folge ich etwa sechzig Kilometer. Zum Teil geht es steil bergab, Waschbrettpiste und dann Kurven, das erfordert immer wieder die ganze Aufmerksamkeit. FidibBus lässt sich unter solchen Umständen nur schwer in der Spur halten. Doch irgendwann komme ich an die Brücke über den Forty Mile-River, die mir Helmut beschrieben hatte und dann sehe ich auch schon die Blockhäuser der ebenfalls beschriebenen Produktionsgesellschaft von RAW-Films. Es wird der ich-weiss-nicht-wieviel-hundertste Film über den Goldrausch gedreht. Und dann sehe ich einen Mann, in Jeans, von rot/blauen Hosenträgern gehalten, ein kariertes Holzfällerhemd. Das auffälligste ist jedoch sein langer, sicher seit Jahren nicht mehr geschnittener, grauer Rauschebart. Unter der unverzichtbaren Baseball Cap schauen ergraute wild abstehende Haare hervor. Die Beschreibung, die ich von Helmut bekam passt. Das muss Earl sein. Und tatsächlich, es war Earl. Wir gehen in ein großes Blockhaus, das er als Küche und Essraum für die Filmgesellschaft gebaut hat. In der Küche arbeitet , wie ich vermute Sally, seine Frau, doch es ist Agnes, die in wenigen Minuten Heidelbeermuffins und Nussriegel backt. Die waren richtig lecker. Stolz zeigt Earl mir alle Häuser, die er mit Beil, Säge und Muskelkraft aufgestellt hat. Ich bin ehrlich beeindruckt. Ich frage ihn,was das Leben in der Einsamkeit am Yukon ausmacht und wie zumeist nach dieser Frage fällt die Antwort sehr umfangreich aus. Es ist die Abwesenheit von Bürokraten. Niemand fragt hier draußen was du tust. Du kaufst das Land und dann ist es auch schon gut. Mit der Schule habe er es nicht so gehabt und die „fucking tests“ hat er nie begriffen. Für alles brauchte man einen Test. Führerschein, Berufsausbildung, einfach für alles. Hier draußen braucht er keinen Test. Er habe nicht mal einen Flugschein, aber Hrelmut und ein anderer Freund brachten ihm das Fliegen bei und er kaufte sich ein Flugzeug, schlug sich im Wald eine Piste frei und flog, Hielt nach Karibus und Elchen Ausschau und freute sich dass er fliegen kann. Das sei es, was Kanada für ihn bedeutet. Tut tust einfach was du für richtig hältst und vergisst, dass es Ottawa und eine Regierung gibt. die sind weit weg und wissen ohnehin nichts vom Leben im Busch. Mit dem Fliegen klappte es halt nicht immer. Eines Tages blieb der Motor mitten über den Wäldern stehen. Über Funk rief er Freunde, unter anderem Helmut an und flog sein Flugzeug kontrolliert in die Fichtenwälder. Er sei dabei am Kopf verletzt worden und sei seitdem ein wenig vergesslich. Wie zum Teufel hätte ein Fluglizenz das verhindert? Fliegt man mit Lizenz besser? Früher, da sei man jeden Monat in die Stadt gefahren, aber heute, die Stadt, gemeint ist Dawson, sei viel zu groß, zu viele Bürokraten. Nein vier mal im Jahr ist genug und Sally sei schon ewig nicht mehr dort gewesen. Es wird gekauft, was nötig ist, Werkzeug, Schrauben und halt sowas, und dann schnell nachhause. Schnell ist dabei relativ, denn die Fahr dauert immerhin etwa drei Stunden. Im Winter gehe man seine Trappline ab, jage Bären , Karibu, Elche, damit hat man dann Vorrat für das Jahr. Nein, die Stadt habe ja nichts mehr zu bieten. Und seit die Demokraten in den USA an der Regierung sind wird alles nur noch schlimmer. Alles wird teuer, überall stiften sie Krieg an, nein Trump wäre der richtige Mann gewesen. Sogar Putin hätte ihn akzeptiert. Im Übrigen, fragt er mich, sei es nicht so, dass in der Ukraine die Nazis an der Macht sind und die Amis die NATO für die Ukraine geöffnet haben. Da müsse Putin sich doch wehren. Er wolle ja nur das alte Russland wieder herstellen. Ich drücke mich mit einem Achselzucken um eine Diskussion herum, Erkläre, dass die Nazigeschichte ein Vorwand Putins sei und ich eine andere Meinung zum Ukrainekrieg und Trump habe, aber es sei in einer so schwierigen Lage eben immer schwer zu beurteilen was richtig oder falsch sei. Mit diesem Einwand gibt sich Earl zufrieden. Es sei gut, dass ich meine Meinung habe, wie ja auch Helmut ganz anders über Trump dächte, aber er schätze an uns Kerlen, dass wir deswegen nicht herumbrüllen und uns prügeln wollen. Hier draußen ist ohnehin alles egal. Ich bitte ihn um ein Foto und wir gehen hinaus vor das Haus. Bye-bye und FidiBus rollt vom Hof. Ich mache noch einen kleinen Umweg zu der alten Goldgräbersiedlung am Zusammenfluss des Forty Mile River in den Yukon. Zweitausendundneun übernachtete ich hier auf meinem Weg mit dem Kanu nach Eagle, meiner nächsten geplanten Station.

Eagle

Die Wolken sind verschwunden und nun sehe ich die weit über das Land. Tiefe Schluchten und unzählige Flüsse, die sich ihr Bett schroff in den Fels gefressen haben. Zwei Stunden benötige ich zurück zum Highway. Und dann kommt der Abzweig nach Eagle. Von eintausend Metern geht es wieder hinab bis auf vierhundert Meter. Wieder benötige ich für die etwa vierundsiebzig Kilometer etwas mehr als zwei Stunden die Strecke hat einen wahrhaft alpinen Charakter mit unendlich vielen Ausblicken. Ich merke mir die Stellen für die Rückfahrt. In Eagle mache ich mit FidiBus eine Runde durch d en Ort, Er hat sich sehr verändert, seit ich ihn vornunmehr dreizehn Jahren das letzte Mal sah. Freilich, damals hatte das Eis die gesamte Uferbebauung abrasiert. Häuser wurden fortgeschwemmt, andere vom meterhohen Eis zerstört, wieder ander wurden einfach nur beiseite geschoben, ohne großen Schaden zu nehmen.

Heute ist wirkt der gesamte Uferbereich aufgeräumt. Anstelle des historischen alten General Store wurde etwas weiter vom Fluss entfernt ein neues hässliches Hotel gebaut mit einem Supermarkt und einer Bar im Erdgeschoss. Einige Hhuser wurden wieder aufgebaut, andere neu errichtet, teilweise an höherer Stelle. Es ist Abend, und ich habe nun den Wunsch etwas zu essen und dann ins Bett zu gehen. Einen Schlafplatz finde ich in der Nähe des Flugfeldes. Bald knistert mein Lagerfeuer und dann ist Feierabend.

Wie ich zum Geheimnisträger wurde

Um acht Uhr stehe ich auf. Das scheint meine Zeit zu sein. Mit Frühstück, Zusammenpacken und, kurzen Motorcheck brauche ich knapp eine Stunde, Dann Zähneputzen und meine Vergesslichkeitscheckliste abarbeiten aber dann lasse ich den FidBus wieder brummen. Hheute möchte ich mir Eagle ein wenig genauer anschauen. Am alten gericht, dem ersten im Yukon, treffe ich auf eine Gruppe, die sich zu einer Führung zusammengefunden hat. Alte Freunde, die sich hier tafen um gemeinsam den Yukon bis nach Circle zu paddeln. Am Ende schlagen sie vor, dass ich mich ihrer Führung anschließen soll. Die Gästeführerin erklärt mir, dass sie 2009, als das Eis kam elf Jahre alt war. Also ist sie heute vierundzwanzig Jahre alt, eine kleine quirlige Person mit einem burschikosen Kurzhaarschnitt und mit einem sympatischen Lachen in den Augen. Sie sei die Schwester des jetzigen Bürgermeisters erklärt sie mir und sie arbeite für die Provincial Parks, Dass sie hier sei, sei eher ein Zufall, da sie normalerweise draußen, mitten im Busch in Coal Mine wohne, in der Nähe des Slaven Roadhouses. Zwei Stunden zu Fuß vom Yukon aus durch den Wald habe sie zu laufen, doch machmal fliegt ihr Bruder sie nach Coalmine. Ich frage sie nach Ron, dessen Keller ich damals, vom Schlamm befreit habe und erfahre, dass er zwischenzeitlich gestorben sei. Das Cannabis habe ihm den Garaus gemacht. Er habe von morgens bis abends geraucht und eines Tages fehlte er im Stadtbild.

Ich stehe vor seinem Haus und die Erinnerung steht deutlich vor mir, wie er mir damals, auf seinen Gehstock gestützt die Türe öffnete und ich ihm erklärte, dass ich hier sei um seinen Keller auszuschaufeln. Mein Gott, hatte der sich gefreut. Nach zwei Tagen meldete ich ihm Vollzug und als ich ihm erzählte, dass ich eine Fluglizenz habe, bot er mir zum Dank an, mit seiner Piper eine Runde über dem Yukon zu drehen. Angesichts seines Fluggereätes, dessen letzte Wartung sicher länger als zwanzig Jahre zurücklag, verzichtete ich damals auf das zweifelhafte Vergnügen.

Nun steht es also da, das Haus, genau so, wie ich es in Erinnerung habe, aber es ist tot. Ein Raum ist leer geräumt, Küche und Schlafzimmer aber sind unverändnert, nur dass sich der Schleier des Verfalls darüber ausgebreitet hat. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein Haus zu betreten, das niemand mehr bewohnen wird und eines Tages in sich zusammenfällt, wie so viele der historischen Gebäude nach und nach an die Natur zurückgegeben werden.

An einem über und über mit Schildern dekorierten Schuppen halte ich an um ein paar Fotos zu machen. Ein Mann in Jeans und dem obligatorischen karierten Holzfällerhemd spricht mich sichtlich stolz an. Es sei sein Schuppen und wir reden. Ich erzähle ihm von d er Führungmit der netten jungen Frau. „It’s my sister“ erklärt er mir. Aha, ich stehe also vor dem neuen Bürgermeister. Man habe ihn zu dem Amt gedrängt, aber zu tun gäbe es ohnehin nicht mehr viel. In der Schule gäbe es noch ganze zwölf Schüler und wenn die fort seinen. Sei Eagle bald nur noch eine weitere Geschichte im Epos der sterbenden Siedlungen im Busch. Natürlich wollte ich wissen, ob d er alte Bürgermeister noch hier im Ort sei. Oh ja, er wohne ganz am Ortseingang, in seiner Tankstelle und Werkstatt. Er würde sich sicher freuen, wenn ich ihm einen Besuch abstattete. Warum nicht? Seine Werkstatt liegt ja auf dem Weg, also bahne ich mir meinen Weg durch alte Fahrzeuge, vorbei an einem Flugzeug und diversem Schrott und klopfe an die Tür seines Shops. In einem Durcheinander von Süßigkeiten, Werkzeug, Öldosen und Konsereven

sitzt Bo auf einem Klappstuhl, schaut mich an und als ich mich ihm vorstelle, lacht er und erinnert sich. Wir plaudern eine Weile über die Zeiten, die sich verändert haben, die Menschen und dann kommt das Gespräch auf Putin. Da ich ahne, worauf das Gespräch hinausläuft, wechsele ich elegant das Thema um darauf in ein noch bizarreres Gespräch gezogen zu werden. Warum man bei uns keine Waffen tragen dürfe. Jeder Gangster trage doch bei uns eine Waffe und die ehrlichen dürfen das nicht? Da half es auch nichts, dass ich ihm erklärte, die Gangster dürfen auch keine Waffen tragen, manche tun’s halt trotz allem. Der beste Schutz sei immer noch eine Waffe und um das zu unterstreichen, zeigt er mir seine Pistole, die er am Gürtel im Holster stecken hat. Ich bin beeindruckt. Der Preis der Sicherheit sei Blut erklärt er mir im Brustton der Überzeugung. Mein Gegenargument, dass es kaum ein Land gibt dass mehr durch Schusswaffen getötete Menschen aufzuweisen habe als die USA, wiegelt er ab. Alles Selbstmörder oder tragische Unfälle. Aber Jo Biden, der Verräter, will die USA vernichten. Er liefert sie dem Machtspiel der Chinesen aus und dann bekomme ich einen ausführlichen Vortrag gehalten über die von China und den kommunistischen Demokraten geplante Umwandlung der USA in eine kommunistische Diktatur. Ich lasse das mal so stehen und dann vertraut er mir etwas an:

Nun, wenn ich es für mich behalte verrät er mir etwas.Er wisse, wer Kennedy ermordet habe. Hier auf dem Stuhl, auf dem du sitzt saß ein Mann vom CIA und erklärte mir, er habe Kennedy das letzte Mal durch sein Zielfernrohr lebendig gesehen und Lee Harvey Oswald, ebenfalls ein CIA-Agent der die Sache zu verraten drohte, habe ebenfalls durch seine Hilfe sterben müssen.

Endlich also gehörte ich zu dem Kreise derer, die die Wahrheit kennen und ich werde mich hüten, ein Wort darüber zu verraten. Ich möchte zum Abschluss ein Foto von Bo machen. Er besteht darauf, „Only with my Trump cap“, schnappt sich seine rote Baseball cap mit der Aufschrift „Trump“ und setzt sich in Position. Leider war ich von den mir anvertrauten Geheimnissen noch derart schockiert, dass ich erst später bemerkte, dass mein Foto nicht korrekt fokussiert hatte. Instinktiv hatte er wohl einen Weichzeichner über die harten Fakten gelegt.

Irgendwie fühle ich mich erleichtert, als ich nach zwei Stunden in den FidiBus steige und Chicken, mein nächstes und für heute letztes Ziel ansteuere.

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